Sudeleien. Anfang März 2014

Frühblüher, Biller und der doppelte Leo

Einer der ersten Märztage. Frühlingsahnen in Wald, Wiese und Vorgärten. Es geht dem Abend zu. Der süddeutsche Himmel wechselt gemächlich seinen Farbton. Aus strahlendem Hell- wird tiefes Dunkelblau, wenig später Nachtschwarz. Auf der CrossOver-Welle Bayern 2 singt Carmen Consoli von „Fiori d’arancio“ (Orangenblüte). Nach einem sonnenreichen Frischlufttag im Westallgäu zurück in der kleinen Großstadt, staune ich einmal mehr über das eindrucksvolle Blätterwachstum auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt. Während vor allem die täglich erscheinenden, gedruckten Zentralorgane unserer Presselandschaft, längst im Spätherbst ihrer Gutenberg-Existenz angekommen, dem Siechtum durch Flucht in digitale Parallelwelten zu entkommen versuchen, sprießt es heftig und bunt am guten alten Kiosk.

Geradezu inflationär sind Titel-Kreationen mit einem etwas schwammigen Begriff, der wohl irgendwelche halbgaren Sehnsüchte weckt: „Land“. Den Kombinations-Phantasien der Verlags-Kreativen sind keine Grenzen gesetzt. So entdecken wir die metaphysische „Landidee“, den ins mystische verweisenden „Landzauber“, oder bodenständigere Varianten wie „Land der Berge“ und „Land und Forst“. Zwölfmal jährlich grüßt uns „Servus in Stadt & Land“, deren aktuelle Ausgabe – ganz am Puls des Frühlings – verspricht: „Alles erwacht.“ Für den naturnahen Junkie erscheint regelmäßig die „Landapotheke“. Wer bei „Landlust“ an die flotten Mädels vom aktuellen „Bäuerinnen-Kalender“ denkt, liegt völlig falsch. Ob es Schmusekater gibt, die ihrer Heidi ein Jahresabo von „Geliebte Katze“ zum Jahrestag schenken, bleibt offen. Der Titel „Sauen“ hingegen ist deutlich genug, es sei denn schwäbisches Kundenpotential denkt dabei an forciertes Joggen.

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Katze vor Frühlingsboten

Unter den wohlgestalteten Werbeträgern besonders reichhaltig vertreten ist die mundgerechte Kategorie „Essen und Trinken“. Wer nach dem Durchblättern von „Sauen“ wissen möchte, was aus eben diesen werden kann, erfährt es zum Beispiel in „Kochen und Genießen“, „La Tavola“ oder in der schlicht deutlichen „beef!“, die mit ihren sechs Ausgaben pro Jahr Leser und Gaumen erfreuen möchte. Das fleischlose Glück versprechen „Vegetarisch Fit“ und „Kraut & Rüben“. Wenn dennoch etwas schief geht, hilft der „Naturarzt“. Auf falsche Fährte führt „Filethäkeln“. Der Titel hat absolut gar nichts mit besonders feiner Fleischzubereitung zu tun, sondern gehört aufs weite Feld der Handarbeits-Journale, deren reiche Vielfalt die große Zahl jener Zeitschriften ergänzt, die traditionsreich seit gefühlten Jahrhunderten mit anmutigen Frauennamen von Brigitte bis Verena treue Käuferinnenschichten finden.

Für die nächsten Monate ist weiterer Zuwachs in den Auslagen gut sortierter Bahnhofsbuchhandlungen und den Sortimenten breit aufgestellter Lesezirkel zu erwarten. Wie man hört stehen diese Titel unmittelbar vor der Markteinführung: „LandFlucht“, „Mark und Bein“ „Dinkel und Bohne“, „Vegan im Alter“, „Mein Fleisch & ich“. Fordern Sie heute noch Probeexemplare bei den herausgebenden Verlagen an!

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Frühlingsboten vor Hintergrund

Dem aller Unhandlichkeit zum Trotz auflagen-erfolgreichen Wochenblatt „Die Zeit“ konnte ich neulich entnehmen, dass dem notorischen Konfliktsucher und Möchtegern-Großschriftsteller Maxim Biller der deutschsprachige Schreiber-Nachwuchs zu lau ist. Weil bildungsbürgerlich mittelschichtig verweichlicht, weil mit verwechselbarem Geruch der Nachwuchsdichter-Ställe in Leipzig und Hildesheim, weil themenschwach und faden Einheitsbrei erzeugend. Dem zeternden Gelegenheits-Romancier fehlt das Migrantische, das frisch Reingeschmeckte, das radikal-würzige Junggemüse von Balkan, Balaton und Baikal.

Nur so aus dem Bauch heraus und ohne Anspruch auf Vollständigkeit habe ich daraufhin ein paar Namen aneinander gereiht:

Terézia Mora, Sasa Stanisic, Olga Grjasnowa, Ilija Trojanow, Olga Martynova, Lena Gorelik, Vladimir Vertlib, Julya Rabinowich, Catalin Dorian Florescu, Selim Özdogan, Hilal Sezgin. (Links spare ich mir. Alle hier aufgeführten sind leicht im Netz und auf den entsprechenden Buchhandels-Plattformen zu finden. Dort erfährt man Näheres über ihre Herkunft, sprachliche Sozialisation und bis heute publizierten Werke.) Dem von eigenen Zweifeln freien, nur gelegentlich von lästiger Justiz behinderten Erfolgsschriftsteller Biller schlage ich vor, mit einem Buchhändler seines Vertrauens, wahlweise einem beschlagenen Komparatisten, über diese und andere Namen ins Gespräch zu kommen. Ein Zugewinn an Erkenntnis ist ihm sicher. (1)

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Hier wirkt der LandMann. („Er setzt seine Felder und Wiesen in Stand.“)

Was, außer Bauern im Außeneinsatz, im Märzen sicher kommt, ganz gleich ob die Landschaften bereits blühen oder noch von Schnee und Eis bedeckt sein werden wie im letzten Jahr, das ist die Leipziger Buchmesse. Und damit die schönsten Frühlingsboten aus der Dichter poetischen Gärten im Wettstreit um den Preis der Leipziger Buchmesse. In der Kategorie Belletristik stehen diese Titel – und nach ersten Eindrücken meine ich: durchaus zu recht – auf der Short-List:

Sasa Stanisic, Vor dem Fest (Luchterhand): Geschichten, Mythen und Legenden aus dem Heimatarchiv eines Dorfes. Kraft- und phantasievolle Erzählung.

Per Leo, Flut und Boden (Klett-Cotta): Der Historiker Leo verarbeitet die eigene Familiengeschichte zum Roman. Licht und Schatten deutscher Vergangenheit werden dabei differenziert betrachtet.

Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther (Suhrkamp): „Was es bedeutet, die Spuren einer verzweigten Familie zu sichern, wenn nichts sicher ist, außer dem Verschwinden, davon wird hier erzählt…“ (Verlagstext). Ein weiterer erzählender Ost-Import auf dem deutschen Buchmarkt. Bachmann-Preis 2013.

Fabian Hischmann, Am Ende schmeißen wir mit Gold (Berlin Verlag): Noch ein Debütant. Eine junge Stimme die sich an das bewährte Genre des weit ausholenden Familienromans wagt. Im Stil noch etwas unreif.

Martin Mosebach, Das Blutbuchenfest (Hanser): Es mag viele Gründe geben Mosebach nicht zu mögen, aber literarisch hat er mit diesem Buch einen Glanzpunkt gesetzt. Sein Frankfurter Gesellschaftsroman vor dem Hintergrund des Balkankrieges, ist das Werk eines reifen, erfahrenen Autors.

Bei der Online-Wahl des Publikumspreises habe ich mich für „Flut und Boden“ von Per Leo (2) entschieden. Natürlich aus Interesse am Thema und nach den Eindrücken einer Leseprobe, hauptsächlich jedoch aus einem etwas kuriosen Grund, der mit dem Namen des Autors zu tun hat. Vor einiger Zeit habe ich die familienbiographischen Aufzeichnungen „Haltet Euer Herz bereit“ des Berliner Journalisten Maxim Leo (3) gelesen. Die ostdeutschen Lebensläufe von drei Generationen Leos werden in diesem Buch sehr eindrucksvoll beschrieben. Und ich habe mich gefragt, haben diese beiden schreibenden Leos etwas miteinander zu tun? Gibt es da Verwandtschaft oder ähnlich Verbindendes? Ich bin noch nicht dahintergekommen und nehme entsprechende Hinweise gerne entgegen.

Mehr über Menschen und Bücher rund um die Leipziger Messe- und Literatur-Tage gibt es in der zweiten Märzhälfte hier auf con=libri.

(1)  Wille, A. T.: Die Osterweiterung der deutschen Literatur. – Würzburg : Kaiserbuden & Altfrau, 2014 oder 15 (in print)

(2)  Leo, Per: Flut und Boden. – Klett-Cotta, 2014

(3)  Leo, Maxim: Haltet Euer Herz bereit. – Heyne, 2011 (Originalausg. bei Blessing, 2009)