„… der rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar wird, das ist das Eierhäuschen.“ (Theodor Fontane: Der Stechlin)
Vor einiger Zeit habe ich über das unklare Schicksal des Gasthofs „Adler“ im oberschwäbischen Isny-Großholzleute berichtet. Eine Lokalität in der einst die Gruppe 47 tagte und Günter Grass erstmals aus der Blechtrommel las. Das Haus ist inzwischen seit mehreren Jahren ungenutzt und dem langsam zunehmenden Zerfall ausgesetzt. Besser ergeht es da einem anderen interessanten Gebäude von einiger literaturhistorischer Bedeutung.
Dabei hat dieses preußische Original einen eher kurzen Auftritt in Theodor Fontanes Roman „Der Stechlin“. Darin unternimmt eine muntere Gruppe rund um den jungen Offizier Woldemar von Stechlin einen heiter animierten Halbtagesausflug („Abfahrt vier Uhr, Jannowitzerbrücke“) zu einer Einkehr namens „Eierhäuschen“. Mit einem Flussdampfer geht es in das südöstlich von Berlins heutiger Mitte, damals noch außerhalb der Stadt gelegene Treptow.
Die aus Berliner Städtern, brandenburgischem Landadel, zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehende Gesellschaft kommt an, verlässt das Schiff, macht einen kleinen Spaziergang, kehrt in dem beliebten Ausflugslokal ein, stärkt sich mit „Wiener Würstl“ und „Löwenbräu“. Nach Einbruch der Dunkelheit geht es mit dem Schiff wieder zurück, unterwegs kommt man in den Genuss eines brillanten abendlichen Feuerwerks.
Wie immer bei Fontane bilden sich wechselnde Paare und personelle Konstellationen, es wird lebhaft Konversation gemacht, sehr andeutungsweise geflirtet, etwas preußische Politik verhandelt. Der Autor legt keinen Wert auf äußerliches Spektakel, begleitet vielmehr seine Figuren mit sanfter Ironie und hintergründigem Humor, der Leser nimmt etwas Zeitgeist mit und genießt den typischen Erzählstil dieses großen Meisters des realistischen Romans.
1837 wurde das Gasthaus als Kneipe für die Schiffer auf Spree, Dahme und Müggelsee eröffnet. Der Wirt verkaufte an der Anlegestelle als Nebenerwerb Eier, so entstand der originelle Name. Im 19. Jahrhundert brannte die Liegenschaft zweimal ab, bevor das Gebäude 1891 im heutigen Stil wieder aufgebaut wurde.
Selbst zu DDR Zeiten wurde es restauriert und einigermaßen in Stand gehalten. Das „Eierhäuschen“ wurde Teil des Volkseigenen Betriebes (VEB) „Kulturpark Plänterwald“. Nach der Wende ging es zunächst in Privatbesitz über und bereits 1991 mit dem zugehörigen Freizeitgelände in Insolvenz. Gelände und Gebäude wurden über 20 Jahre sich selbst und dem zerstörerischen Zahn der Zeit überlassen, bis im März 2014 der Berliner Senat das Grundstück für zwei Millionen Euro erwarb und damit auch in den Besitz des brachliegenden Vergnügungspark und des „Eierhäuschen“ kam.
Die Erwähnung des Anwesens in einem Roman von Theodor Fontane wird wohl nicht der einzige Auslöser sein, dass voraussichtlich bereits in diesem Jahr mit der Sanierung begonnen werden kann. Sicher spielte die Möglichkeit eine attraktive Naherholungsmöglichkeit für die Berliner Bevölkerung zu schaffen eine wichtige Rolle. Dafür muss vermutlich ein zweistelliger Millionenbetrag aufgebracht werden. Die Finanzierung erfolgt über einen Investitionsfonds des Landes Berlin. „Naturbezogen und grün geprägt“ Gasthaus und Gelände „als bedeutenden Anziehungspunkt für Erholungssuchende“ zu reaktivieren, haben der Senat des Stadtstaates und der Bezirk Treptow-Köpenick als Ziel ausgegeben. Auch eine Anlegestelle soll es wieder geben, damit die Ausflügler wie zu Fontanes Zeiten mit Schiff von der Flussseite eintreffen können.
Verbunden damit ist die Hoffnung, dass, wie zu Fontanes Zeiten, zahlreiche Gäste kommen, um sich an den „dicht zusammengerückten Tischen niederzulassen, eine Laube von Baumkronen über sich,“ wie es im „Stechlin“ heißt. Doch bis den neu zu pflanzenden jungen Bäumen große Kronen gewachsen sind, wird einiges Wasser die Spree hinab fließen. Immerhin: Ist die Geldnot noch so groß, in Berlin tut sich offensichtlich immer wieder rechtzeitig ein Töpfchen oder gar ein Topf auf aus dem man schöpfen kann.
Was dem chronisch klammen Berlin mit viel Finanzierungs-Kreativität zu gelingen scheint, ist im vergleichsweise pekuniär gut aufgestellten südöstlichen Baden-Württemberg bisher nicht möglich. Schwäbisch-skeptische Zurückhaltung beim Geldausgeben und seriöse Kämmerer der verantwortlichen Gebietskörperschaften haben eine ähnliche Vorgehensweise für den sehr viel älteren „Adler“ verhindert. Dessen Geschichte reicht immerhin bis zu den Bauernkriegen zurück. Die dringende Erhaltungs-Sanierung oder ein neues Nutzungskonzept sind derzeit nicht in Sicht. Verhandlungen der Stadt Isny, des Landkreises Ravensburg und des zuständigen Regierungsbezirks Tübingen mit potentiellen Investoren blieben ohne Ergebnis.
Ein Engagement der öffentlichen Hand wurde zunächst nicht ernsthaft erwogen. Doch darüber wird jetzt möglicherweise neu nachgedacht, wie in einem Bericht der „Schwäbischen Zeitung“ vom 23. Januar diesen Jahres zu erfahren war. Die Rede ist nun auch im Westallgäu von Fördertöpfen, etwa jenen des Denkmalschutzes. Dazu sollen zunächst einmal die genauen Investitionskosten ermittelt werden; man geht von einem „niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ aus. Und einen weiteren Trumpf glauben die Verantwortlichen noch im Ärmel zu haben. Nämlich „zu gegebener Zeit auf Schriftsteller Grass zuzugehen, um mit ihm als Zugpferd weitere finanzielle Unterstützer zu finden.“ Interessanterweise sind wohl die Zeiten endgültig vorbei, in denen das gesellschaftliche Engagement des Literatur-Nobelpreisträgers weit weniger geschätzt wurde.
Der Spreepark ist ja abgebrannt… Aber solche solche Ruinbrachen gibt, respektive gab es auch in Friedrichshain. Schau mal bei mir rein, da findest auch n paar exemplare…
LikeLike