Wien hat Buch

Kleiner Rückblick auf eine österreichische Buchmesse.

November in Wien. Griesgrämiges Grau und Dämmernebel. Witwen und Waisen auf dem Weg zum Zentralfriedhof. In Kaffeehäusern setzen fahle Gestalten Testamente auf. Nur noch Tristesse und Herbstblues?

Weit gefehlt. In Halle D der Messe Wien geht es bunt und heiter zu. Licht und Spots. Lachen und Scherzen. Büchermenschen und Bücherberge. Hier wird gelesen und vorgelesen. Gestritten und gescherzt. Gefragt und bereitwillig Auskunft gegeben.

Fünf Tage ist BUCH WIEN 18. Und das mitten im November. Die Wiener haben Eigensinn. BUCH WIEN, die kleinwüchsige Nichte der gigantomanischen Verwandten in Frankfurt und Leipzig. Wachstumsgeil sind alle drei. Auch Wien registriert das jährliche Steigen der Besucherzahlen und der Ausstellungsstände mit offensivem Stolz. Hier hat vor einigen Jahren etwas begonnen dessen Potential bisher nur ansatzweise ausgeschöpft scheint.

Noch ziehen nicht alle an einem Strang. Die Medienresonanz ist eher mau, die Wiener Bevölkerung wartet wohl bereits auf die Eröffnung der Weihnachtsmärkte, derweil kommt der Wiener Schülerschaft die Aufgabe zu für Frequenz und Bewegung in den Hallengängen zu sorgen. Eine gewisse Zurückhaltung der Fachwelt erschwert vorerst das Durchstarten. Dabei muss die an mancher Stelle geringe Quantität kein Unglück sein. Es bleiben genügend dichte und vielfältige Eindrücke. Reichlich Neuerscheinungen sind zu entdecken. Und es bieten sich allerorten Gelegenheiten für ebenso interessante wie hautnahe Begegnungen mit Schriftstellern und Schriftstellerinnen, mit Darstellern und Medienleuten. Hier sind all jene Zeitgenossen richtig in deren Leben das Buch einen zentralen Platz einnimmt.

Als bloggender Bibliothekar komme ich an Marjana Gaponenko nicht vorbei. In ihrem neuen Roman Der Dorfgescheite hat sie einen skurrilen Berufsgenossen zur Hauptfigur gemacht. Der, dem Don Juan Da Pontes und Mozarts ähnlich, katalogisiert mal eben seine zahlreichen erotischen Erlebnisse bevor er sich in ein abgelegenes Kloster zurückzieht. Dort soll sich der einst heiß begehrte Einäugige einer zeitgemäßen Revision der Klosterbibliothek widmen. Seinen Ambitionen stehen jedoch allerhand nicht nur klerikale Widrigkeiten und Geheimnisse entgegen.

Eine Geschichte voller Witz und Fantasie. Im Messegespräch mit einem ORF-Journalisten besticht Gaponenko mit schlagfertiger Ironie und einem Selbstbewußtsein das ihren Gesprächspartner zeitweise zu überfordern scheint. Mir geht es gut. Ich stehe gerne im Mittelpunkt. Leselust weckende Buchvorstellung und beste Unterhaltung fürs Publikum.

Eine Buchmesse mit überschaubarer Ausstellerzahl, kompakt in einer Halle platziert. Die eigene Republik ist natürlich am besten vertreten. Doch keineswegs vollständig. Weiße Flecken hat die Verlagslandschaft durchaus. Etliche kleinere Verlage fehlen, einen Messeauftritt muss man sich personell und finanziell leisten können. Deutschland ist nur punktuell mit einigen Schwergewichten und sparsamer Präsentation angetreten. Die Skandinavier Dänemark, Schweden und Norwegen haben sich zu einem sehr schönen Gemeinschaftsstand zusammengetan. Desgleichen einige Schweizer Häuser, mit eindeutiger Dominanz des Leser-Lieblings Diogenes.

Länger, ausführlicher als in Frankfurt und Leipzig, stehen Autoren, Schauspieler, Medienstars und Kochkünstler auf den Podien und Bühnen Rede und Antwort. Es entwickeln sich gute Gespräche und notwendige Kontroversen auf den Messeforen von ORF, 3SAT, Standard und Co. Man erfährt mehr als nur den Titel des neuesten Buches. Je nach Temperament und Bereitschaft lässt sich der eine oder die andere – sei es versehentlich oder gar mit Vergnügen – verleiten kleine Einblicke in das Leben jenseits der Öffentlichkeit, in die Arbeitsweise, in persönliche Einstellungen und Ziele zu gewähren.

Skandinavien auf der BUCH WIEN. Foto: Wiebke Haag

Gleich zweimal hatte ich Gelegenheit Judith Schalansky zuhören zu dürfen. Die Ausführungen der aus Greifswald stammenden Autorin und Buchgestalterin sind klug und differenziert. Ihre Buchpräsentation, die Fragerunden und Gespräche mit ihr auf der großen ORF-Bühne und im intimen Rahmen des Literaturhauses, gehören für mich zu den interessantesten und anregendsten Momenten in diesen BUCH WIEN-Tagen.

Verzeichnis einiger Verluste heißt Schalanskys neues Buch. Was haben wir und die Welt nicht alles verloren oder aufgegeben? Die Autorin beschränkt sich auf zwölf prägnante Beispiele. Eine ausgestorbene Tigerart und untergegangene Inseln, die Lieder der Sappho und der Palast der Republik, Dinge und Gerüche der eigenen Kindheit, Erinnerungen mit autobiographischen Anklängen gehören dazu.

Jedem Verlust wird seine eigene Erzählung gewidmet. Der Schreibstil passt sich dabei einer alternden Greta Garbo ebenso an wie der Trostlosigkeit des DDR-Alltags. Schalanskys Erzählungskunst ragt deutlich aus der omnipräsenten Massenware heraus. Das wird lange bleiben, sehr zurecht wurde ihr der hochdotierte Wilhelm-Raabe-Preis zuerkannt.

Spannend für mich die Reaktion des Wiener Publikums auf Persönlichkeiten, die vor Ort bekannter und beliebter sind als jenseits der Landesgrenzen. Da gab es die eine oder andere Überraschung. Dass eine Veranstaltung mit dem Titel Faszination antiquarisches Buch die Massen anzieht und in ihren Bann schlägt, kam für mich unerwartet. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass Michael Niavarani einer der beliebtesten Kabarettisten und Schauspieler im Lande ist. Jetzt weiß ich, dass er in der Lage ist im launisch-pointierten Plauderton über seine seltenen in Leder gebundenen Reisebeschreibungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert (Alleinbesitz! Nicht einmal in der Nationalbibliothek vorhanden!) zu sprechen und damit eine großes Auditorium bestens zu unterhalten. Der erfahrene Antiquar Michael Steinbach konnte da nur noch fachlich-sachliche Stichworte liefern.

Einen ähnlichen Auflauf verursachte das Gesamtkunstwerk Arik Brauer. Inzwischen 89 Jahre alt, stets im schwarzen Anzug und mit Hut. Klein, schmächtig und immer noch voller Schwung und Energie. Mit nie versiegender künstlerischer Beweglichkeit ist er sein Leben lang unterwegs zwischen Malerei, Bühne, Dichtung und Gesang. Er hat das Alte Testament nacherzählt. Korrigierend, hinterfragend, aus der Sicht eines jüdischen Agnostikers. Für ihn jenseits aller religiösen Bedeutung ein absoluter Höhepunkt menschlicher Dichtkunst – übrigens auch und ausdrücklich in der Lutherübertragung in die damit bis heute geprägte deutsche Sprache.

Brauer erinnert an die Bedeutung für die darstellende Kunst. Die ganze Kunstgeschichte, wie wir sie heute kennen, ist ja ohne das AT nicht denkbar. Und wie ist er auf dieses Thema gekommen? Gewissermaßen durch die Hintertür. Eine seiner acht Enkelinnen hat ihn in ein Gespräch über Sinn und Herkunft verwickelt. Du Arik, was war vor dem Urknall? Wie ist die Welt entstanden? Da hat Opa Brauer ein Buch geschrieben.

Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güts nix / Ober meiner, unter meiner siach i nix / Spür nix, hear nix und i riach nix. / Denk i nix und red i nix und tu i nix / Waun da Wind wahd in de Gossn / Waun da Wind wahd am Land / Waun da wind wahd, do steckt da / Sein Köpferl in Sand.

Jahrzehnte alt, klingen die Zeilen als wären sie für hier und jetzt gedacht. Es ist der Refrain des Brauer-Liedes Köpferl im Sand, das der Sänger einst mit diesen Worten ankündigte: Das ist ein beinhartes Protestlied. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen Jederman der sich betroffen fühlt – auch gegen mich selbst. In neuem Gewand gibt es die originellen Chansons des Wiener Originals im Januar im Rabenhof-Theater zu erleben. Neu arrangiert und interpretiert von Brauers Tochter Ruth mit Band.

Apropos Theater. In Wien ist immer Theater. In den großen, wie Burg- oder Volkstheater, und in den vielen kleineren wie dem Rabenhof. Und ab und an als persönliches Drama oder private Komödie in irgend einem Beisl oder Kaffeehaus. Theater durfte folglich auf der BUCH WIEN 18 nicht fehlen. Zum Beispiel in Form einer illustren Talkrunde – allemal bunter und vielfältiger als die verwandten Fernsehformate – in der neben anderen die bekannte Darstellerin Ursula Strauß, der ehemalige Volkstheater-Intendant Michael Schottenberg und eine vorlaute Emmy Werner, einst Leiterin einer Schauspielschule, saßen. Hoch ging’s her. Ums Theaterspielen, Beziehungen und Affären, um den Mist im Fernsehen, um früher und heute, um MeToo. Mit gelegentlichem Zoff und viel Schmäh.

Die BUCH WIEN 18. Mit dem gemütlichen Reinhardt Badegruber, der liefert was noch gefehlt hat: Wiener Intrigen, Skandale und Geheimnisse. Wie diesem, eher harmlosen Beispiel: Noch im Jahre 2016 stand in der Kredenz (des Café Griensteidl, J. H.) eine Gesamtausgabe von Meyers Konversations-Lexikon aus dem 19. Jahrhundert. An den Tisch serviert werden zu diesem Zeitpunkt die schweren Kompendien allerdings nicht mehr. Der Grund: Ein paar Jahre zuvor hatte ein Gast beim Würstelessen Senf auf die Seiten gekleckert.

Im November 2018 ist inzwischen aus dem traditions- und skandalreichen Griensteidl, einst Stammlokal von Schnitzler, Altenberg und Karl Kraus, das Café Klimt geworden. Eine konsequente Neustrukturierung. Gibt es doch gleich nebenan den Klimt-Shop in dem Klimt-Malerei auf Tassen, Tüchern und vielfältigem Klimbim von den Wienbesuchern aus aller Welt erworben werden kann.

Die BUCH WIEN 18. Mit dem Geschmack Europas auf der DM-Kochbühne, der Krimi-Autorin Eva Rossmann, die auch gern vom Essen schreibt und vom Wein, dem Verlag Badewannen-Buch und seinen Büchern für die Wanne, Titeln wie Buddhas baden besser, mit Hokuspokus am Zeichentisch, mit einer Kinderbühne und reichlich Malaktionen für die erhofften Leser von morgen. Mit Frédéric Beigbeder und Richard Powers, der welken Schönheit und späten Grazie einer Erika Pluhar und einer Waltraut Haas, mit Albanien und Kroatien, aber seltsamerweise ganz ohne Georgien (oder habe ich was übersehen?).

Das alles war die BUCH WIEN 18. Vom 7. bis zum 11. November in der Messehalle D der Messe Wien und da und dort in der Stadt. Nicht ganz schlecht und als BUCH WIEN 19 im nächsten Jahr gerne wieder.

 

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