Leipzig im März 2022. Ein Rückblick auf die Tage an denen so getan wurde als sei Buchmesse.
Die Leipziger Buchmesse 2022 wurde abgesagt. So ging es Anfang Februar durch Presse, Funk und Foren. Müßig, einmal mehr die Gründe für diese Entscheidung aufzuzählen. Zu erzählen bleibt, was dennoch geschah.
Den Kern der Veranstaltung bildete in den zurückliegenden coronafreien Jahren bekanntlich die eigentliche Messe auf dem Leipziger Messegelände im Norden der Stadt, mit aufwändigen Ausstellungsständen, Präsentationen, Lesungen, Diskussionen und einer breiten Medienpräsenz.

Angestoßen von den Verlegern Leif Greinus (Voland & Quist) und Gunnar Cynybulk (Kanon Verlag), ermöglicht von zahlreichen Unterstützern und Helfern, wurde in diesem Jahr ein sogenanntes buchmesse popup auf die Beine gestellt. In einer ehemaligen Fabrikhalle des werk 2, einem der soziokulturellen Dreh- und Angelpunkte der Stadt, im beliebt-berüchtigten Stadtteil Connewitz. Gedacht als Trostpflästerchen, um die entstandene Leere, die Lücke, mit einer spontanen, einmaligen Aktion zu füllen.
Irgendwie fand die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr trotzdem statt. Die Medien finden überragend positive Worte für das alternative Messeprogramm der Popup-Buchmesse. Die Rede ist von Selbstbehauptung und Erfindungsgeist. Urteilte das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, das maßgebliche deutsche Fachblatt für die Buchbranche. Und in der WELT war zu lesen: …die von 60 unabhängigen Verlagen improvisierte Pop-up-Buchmesse in Leipzig war ein Ereignis.
Bei diesen und vielen ähnlichen Einschätzungen, die Print und Online zu finden waren, ist viel Wohlwollen im Spiel. Meiner Meinung nach zu viel. Dass diese Initiative im werk 2 ein Ereignis war, dem kann ich immerhin zustimmen. Nur mit einer etwas anderen Interpretation als in den medialen Urteilen.
Bei allem Respekt für den Wagemut und die Tatkraft der Veranstalter und ihrer Helfer. 10.000 Besucher sollen es an drei Tagen gewesen sein. Mag sein. Jedenfalls wurde der Auftrieb zum Durchtrieb im Zweistunden-Rhythmus. Aufgeteilt in praktikable, den Corona-Einschränkungen gerecht werdende Herden. Online eingecheckt, drei-G-abgecheckt und als buchaffiner Schwarm ein- und losgelassen. Und schon ging es rund im meist richtungsgleichen Kreisverkehr, um Stände und ausgelegte Bücher der etwa 60 überwiegend kleineren, unabhängigen Verlage.
Statt professionell gestalteter Messestände schlichte Tische, bedeckt mit Buch an Buch und allerhand ergänzenden Materialien. Flohmarktanmutung. Da fehlten nicht nur die gewohnten Gratishäppchen und -tröpfchen, die Kugelschreiber mit Verlagslogo, die Lesezeichen oder die Luftballons für die quengelnden Kleinen. Es fehlte schlicht zu Vieles, was anziehend, einladend, werbend wirken konnte. Von der löblichen Initiative und ihrer Umsetzung war ja nicht unbedingt Erleuchtung zu erwarten, etwas mehr Beleuchtung zur Erhellung des verbreiteten Dämmers wäre schön und praktisch gewesen. So waren in der umgerüsteten Werkshalle auf die Entfernung alle Bücher grau. Und erst beim Nähertreten, für das oft energisches Drängeln erforderlich war, wurden aus den Schatten hinter den Tischen beflissene Anbieter und nicht immer kompetente Auskunftgeber.
Nun ist das werk 2 nur einer von vielen spannenden Veranstaltungsorten in Leipzig. Nur eine der zahlreichen schönen, manchmal kuriosen Lokalitäten. An mehreren dieser bewährten Orte fanden ebenfalls Veranstaltungen statt, die zu normalen Buchmessezeiten unter dem Label Leipzig liest ihren Platz gefunden hätten. Wie z. B. in der Südbrause, einst der proletarischen Wochenreinigung dienend, nun Gastronomie und beliebter Treffpunkt. In direkter Nachbarschaft zum werk 2 stellten hier unter anderem Bov Bjerg, Fatma Aydemir, Vladimir Vertlib und der frisch gekürte Buchpreisträger Tomer Gardi ihre neuesten Bücher vor.
In der Alten Handelsbörse, ein Schmuckstück, zentral im Stadtzentrum gelegen, hatte der MDR seine Bühne aufgebaut. Hier stand in Gesprächsrunden und Diskussionen häufig Politisches im Vordergrund, kam man sehr schnell vom rein Literarischen auf das aktuelle Kriegsgeschehen und seine Folgen.
Im Kreativviertel Plagwitz gibt es die Schaubühne Lindenfels. Hier weckte Österreich Vorfreude auf seinen Auftritt als Gastland der Buchmesse 2023. Unter dem Titel Wildes Österreich gab es eine Lange Nacht der österreichischen Literatur. Ebenfalls in der Schaubühne präsentierte sich Tschechien, mit einem Abend, der Echo Tschechien hieß. Dem in Deutschland sehr bekannten und beliebten Jaroslav Rudis war zudem eine eigene Veranstaltung gegönnt. Und am Abend der portugiesischen Literatur wurden die Gäste mit Ola Portugal begrüßt. Hier gab es zu Literarischem großartige Musik von dem Komponisten und Liedermacher Rodrigo Leao.
Vom zukünftigen Gastland Österreich, so war zu erfahren, wird es einen Literatur-Podcast geben. Er soll Interesse wecken an Büchern, Menschen und Geschichten aus dem Nachbarland: Literaturgespräche mit Katja Gasser. Die künstlerische Leiterin des Gastland-Auftritts spricht zweimal im Monat mit österreichischen Autorinnen und Autoren über Leben und Schreiben und darüber, wie beides wechselwirkt. Die nächste Ausgabe ist für den 4. April geplant. Dann ist Teresa Präauer die Gesprächspartnerin.

Besonders repräsentativ und prächtig ist die Kongresshalle am Zoo, die tatsächlich aus mehreren Sälen besteht. Auf der Bühne des größten wurde das Blaue Sofa aufgestellt. Das Möbel von ZDF, ORF, DLF Kultur und Bertelsmann gehört zu den beliebtesten Institutionen des Messegeschehen sowohl in Leipzig wie auch im Herbst in Frankfurt. Es erfordert einige Konzentration, um zum Eingang der Kongresshalle am Zoo zu gelangen. Lässt man die vermissen, kann es einem gehen wie mir. Erst als die vielen Eltern mit kleinen Kindern und Kinderwagen nicht mehr zu übersehen waren, ging mir auf, dass ich in der falschen Schlange stand, nämlich jener zum Leipziger Zoo.
Vor dem richtigen Eingang herrschte dann keineswegs großer Zuspruch. Man wurde zügig eingelassen und betrat den Saal, dessen Reihen eher spärlich besetzt waren. Welch ein Kontrast zum sonst üblichen begeisternden Anstürmen und Drängeln auf den Messen. Statt den dort üblichen Menschenaufläufen herrschte diesmal eine Art Seminarcharakter. Statt Begeisterungswellen gesitteter Beifall des aufmerksamen Publikums.
Eine interessante, intime Atmosphäre der Aufmerksamkeit und Hinwendung, die vielleicht den auftretenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern gar nicht so unrecht war. Zu erleben waren an den zwei Sofa-Tagen Karl-Markus Gauß, der Träger des Leipziger Preises zur Europäischen Verständigung, Florian Weber und Judith Kuckart, Lucy Fricke, deren neuer Roman Die Diplomatin beweist, dass es auch in deutscher Sprache Schreibende gibt, die einen guten Unterhaltungsroman zustande bringen. Michael Mittermeier, der das Publikum mit einem schlagfertigen Auftritt amüsierte. Und natürlich viele Weitere.
Zurück zum Leipziger popup im werk 2. Mitorganisator Greinus geht fest davon aus, dass es beim einmaligen Aufpoppen bleibt, dass 2023 wieder eine Messe im gewohnten Ambiente stattfinden wird. Mit Österreich als gut vorbereitetem Gastland. Im Interview mit dem Börsenblatt formulierte er seine Erwartungen: Die Leipziger Buchmesse wird 2023 wieder regulär stattfinden und die “buchmesse popup” staubsicher verpackt. Wir schmeißen allerdings nichts weg! Wenn wieder mal irgendwo eine Buchmesse abgesagt wird, haben wir eine schnell umzusetzende Alternative im Koffer.

Man kann dankbar sein für das, was in diesem Jahr realisiert wurde. Leipzig blieb präsent. Naturgemäß fehlte es an Breite, das war so nicht anders möglich. Es fehlte jedoch auch eine gewisse Tiefe. Darunter fallen für mich die vielfältigen fachlichen wie menschlichen Kontakte, die unerwarteten Begegnungen, die überraschenden Entdeckungen. Es fehlten die meisten Kollegen, Freunde und Freundinnen aus Ost- und Südosteuropa. Die Medienwirkung fiel bescheiden aus und gönnerhaft gleichlobend.
Leipzig im März 2022 verließ man mit der dringlichen Hoffnung, dass im nächsten Jahr wieder alles so sein möge wie bis 2019. Die Messe dort, wo sie hingehört. Das begleitende Lesefestival Leipzig liest. Das Gedränge in der Straßenbahnlinie 16, vor dem Blauen Sofa, in der Autorenarena und vor den vielen abendlichen Veranstaltungsorten in der Innenstadt. Pandemiefrei. In einem Europa ohne Krieg.
Das ist ein Test.
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