Jetzt erst Brecht.

Augsburg. Vor 125 Jahren wurde Bert Brecht geboren.

Am 10. Februar 1898 kam Eugen Berthold Friedrich Brecht als erstes Kind seiner Eltern Berthold Friedrich Brecht und Wilhelmine Friederike Sophie Brecht, geb. Brezing, in Augsburg zur Welt. Die Familie lebte zu der Zeit in einer schmalen Gasse der Altstadt. Das Haus lag an einem der Lechkanäle, die die Stadt durchziehen.

Aigihn! werden ihn die Eltern im bayerisch-schwäbischen Dialekt gerufen haben. Er wird sich später Bert nennen. Die Namensbezeichnung Bert Brecht ist Teil der Selbststilisierung des angehenden Dichters. Schon früh gehörten Lederjacken und -mäntel zum Image. Zahlreiche Fotos zeigen einen jungen Mann in Lederkleidung mit Zigarrenstumpen im Mund.

Frontseite des Bildbandes Bertold Brecht beim Photographen. Herausgegeben und mit einem Essay von Michael Koetzle. Der Band enthält Bilder, die im Atelier des Augsburger Photographen Konrad Reßler entstanden.

Seine Herkunft hat er im gedichteten Mythos neu gedeutet.

Ich, Bertold Brecht, bin aus schwarzen Wäldern. / Meine Mutter trug mich in die Städte hinein / Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder / Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.

(Nach GBA 11, 119) (*)

Mit 20 Jahren ging Brecht nach München. Auf Wunsch der Eltern zum Studium. Doch schon bald verkehrte er in Theaterkreisen, wurde – als wäre er erwartet worden – aufgenommen und alsbald vielfältig engagiert. Gedichte, Balladen, Bänkelgesänge entstanden, das erste große Stück hieß zunächst Spartakus, später Trommeln in der Nacht. Er lernte Frank Wedekind kennen, die lebenslange Freundschaft mit Lion Feuchtwanger entstand.

Nächste Station war Berlin. Dort lernte er die Intendantin und Schauspielerin Helene Weigel kennen. Sie wurde seine Lebensfrau. Immer gab es auch andere Frauen – im Bett und in der Schreibwerkstatt. Die Dreigroschenoper wurde zum großen Erfolg. Als die Nazis aufmarschierten, verlor er die Orte, an die er zu gehören glaubte. Berlin, das Theater, viele seiner Gefährten und Gefährtinnen, den deutschen Sprachraum. Über zahlreiche Exilstationen landet er schließlich, wie viele andere deutsche Dichter, Denker und Wissenschaftler, in den Vereinigten Staaten.

Zurück in Deutschland entschied sich Bert Brecht für Ost-Berlin und die DDR als neue Wirkungsstätte. Die westliche Szene nahm übel, in Augsburg war er lange kein Thema. Sein Tod im August 1956 kam unerwartet. Seine westdeutsche Geburtsstadt tut sich bis in die Gegenwart schwer, angemessene Formen des Erinnerns, Würdigens und Gedenkens zu finden. Das Programm zum 125. Geburtstag fällt deshalb einerseits umfangreich und vielfältig aus, wirkt jedoch gleichzeitig von Unsicherheit und Halbherzigkeit geprägt.

Das Brecht-Festival findet seit 2010 statt. In diesem Jahr beginnt es exakt an Brechts Geburtstag und dauert zehn Tage. Es steht unter dem Motto Brecht’s People. Die Auftaktveranstaltung im Goldenen Saal, der kommunalen Prachtstube, trägt den wundersamen Titel Festival-Kickoff. Geladen ist die Augsburger Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Breite.

Von dort geht es zur Parade, die auf dem Rathausplatz startet und in den Stadtteil Lechhausen führt, dem späteren Wohnort der Familie Brecht. Am Abend das Festbankett mit Ministern und Ministerinnen, Oberbürgermeisterin und Theaterintendant. Dazu wird allerhand Programm, sowie ein Geburtstagsessen, samt -torte geboten, zum bürgernahen Pay as you can (But pay!) von Euro 15 bis Euro 50.

Weitere Höhepunkte des Festivals sind ein Gastspiel des Berliner Ensemble, jene einst von Brecht begründete Kompanie; eine technofuturistische Séance des Staatstheater Augsburg; eine Wrestlingshow mit dem Titel Kampf um Augsburg. Natürlich darf in dieser unserer so besonderen Zeit ein ukrainisches Element nicht fehlen: Dakh Daughters entfachen Ukrainian Fire – ein szenisches Konzert.

Das vollständige Programm gibt es in dominantem Sattgelb gedruckt und im Netz. Die grafische Gestaltung wirkt bemüht, seine Übersichtlichkeit ist begrenzt.

125. Geburtstag von BB. Natürlich läuft da reichlich mehr als das ohnehin vorgesehene Programm. Beispielhaft hier einige Brenn- und Siedepunkte der Feierlichkeiten.

Das Brechthaus lädt zu den üblichen Öffnungszeiten zur Besichtigung. Im zweiten Stock des Museums wurde eine Wohnung eingerichtet, die als Wohn- und Arbeitsplatz auf Zeit für internationale Künstlerinnen und Künstler dient. Das Haus wartet derweil auf die dringende Generalsanierung, der Museumsbereich auf Neuorientierung

Alle drei Jahre verleiht die Stadt Augsburg den Brechtpreis, der mit Euro 15.000 dotiert ist und den bisher u. a. Franz Xaver Kroetz, Christoph Ransmayr und Sybille Berg erhielten. Die turnusgemäß 2022 vorgesehene Verleihung wurde in das Jubeljahr verlegt. Sie findet pikanterweise am in die Geschichtsbücher eingebrannten 20. April statt. An wen der aktuelle Preis verliehen wird, konnte ich bis zur Abfassung dieser Zeilen nicht erfahren.

Wenn es um Brecht in Augsburg geht, spielt die Buchhandlung am Obstmarkt eine besondere Rolle. Geführt vom rührigen Buchhändler Kurt Idrizovic ist sie gut sortierte Buchhandlung, Büchergilde-Depot und Brechtshop in einem. Wann immer es in Augsburg um Brecht geht, stößt man auf Kurt Idrizovic als Ideengeber, Veranstalter und Antreiber.

Wir liegen im Laubwald, essen dort Mohnnudeln zum Tee … Nur in der Buchhandlung am Obstmarkt gibt es zum Jubiläum eine kleine Köstlichkeit: Den Band Komm und setz dich lieber Gast. Am Tisch mit Bertold Brecht und Helene Weigel. Ein Bildband von Martha Schad mit vielen Fotos, Original-Rezepten und Illustrationen – von der Autorin signiert.

Beenden möchte ich diesen kleinen, unvollständigen Ausblick auf die Brecht-Feiern in Augsburg mit dem Handtuch zum Handbuch (*). Während letzteres den Brechtfreunden schon länger mit profundem Wissen zu Dichter, Werk und Umfeld zur Hand geht, ist das Trocknungstextil brandneu im Angebot.

Augsburg war über Generationen hinweg von Betrieben der Papier- und Textilindustrie geprägt. Während Rudimente der Papiererzeugung noch durch einen finnischen Konzern in der Stadt vertreten sind, ist die Textilproduktion nicht mehr vorhanden. Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg – kurz tim – pflegt die Erinnerung an diese industrielle Epoche. Dort entstand die Idee zu einem Handtuch mit des Dichters Konterfei, das derzeit in der Museumsweberei entsteht. Pünktlich zum 10. Februar soll es erhältlich sein.

* * *

(*) Bertold Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bände (in 32 Teilbänden) und ein Registerband (Leinen)

(*) Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch : in fünf Bänden. – Stuttgart, 2001 ff.

Ebenfalls gedruckt, geeignet als Einführung und erster Überblick: Knopf, Jan: Bertold Brecht. – Stuttgart, 2000 (Universalbibliothek; 17619)

Für das vertiefende Interesse gibt es umfangreiche Biographien von Jan Knopf und Stephen Parker.

Im Netz findet man:

augsburg-tourismus.de

brechtfestival.de

augsburg.de/brechtpreis

staatstheater-augsburg.de

buchhandlung-am-obstmarkt.de

timbayern.de

Dichtergräber

Fotografien von Markus Fenkl

Seit seiner Kindheit fotografiert Markus Fenkl leidenschaftlich. In der Schulzeit verbrachte er reichlich Zeit in der Dunkelkammer. Sein Interesse am Bild hat seinen Ursprung in Malerei und Grafik. Er bezeichnet es als großes Glück, dass er schon in den ersten beiden Schuljahren einen engagierten Künstler zum Lehrer hatte.

Fenkl befüllt ein gegebenes Format mit Formen, die er mit der Kamera versucht aus der Welt herauszustanzen. Ziel und Bestreben ist es, bei den Betrachtern eine Wirkung hervorzurufen. Diese kann nur entstehen, wenn deren Alltagsfilter überwunden werden, was in der Bilderflut unserer Tage schwer zu erreichen ist. Medien und Werbung haben unsere wahrnehmbare Umwelt mit spektakulären Reizen in einem Umfang besetzt, wie es das in der Vergangenheit noch nie gab.

Markus Fenkl versucht derzeit durch Reduktion des Sichtbaren auf einen scheinbar unverständlichen Bildausschnitt beim Betrachter ein Zögern und Wundern auszulösen, in ihm eine Frage aufzuwerfen, die nur durch aktive Auseinandersetzung mit dem Bild beantwortet werden kann. So kann Fotografie weitergehende Inhalte transportieren, Themen beleuchten, die dem Fotografen wichtig erscheinen.

Neben dem künstlerischen Anspruch hat Markus Fenkl ein Faible für die Dokumentation von Menschen und Ereignissen. Es geht ihm dabei um wahrnehmbare Veränderungen, die erst im Rückblick sichtbar werden.

Der gelernte Schreiner und ehemalige Berufsschullehrer lebt in Neu-Ulm. Seit 15 Jahren beteiligt er sich an Ausstellungen in seiner Region. Eine Ausstellung mit eigenen Werken war 2012 in der Ulmer Galerie Semmler zu sehen.

Zum Totensonntag 2020 gibt es auf con=libri eine kleine Auswahl aus Fenkls Dichtergräber-Sammlung.

(Bitte beachten Sie, dass die Bilder urheberrechtlich geschützt sind. Eine Verwendung und/oder Weiterverarbeitung ist nur mit Zustimmung des Fotografen zulässig.)

Und wenn ihr einst in Frieden ruht / Beseligt ganz vom Himmelslohn / Dann stolpert durch die Höllenglut / Bert Brecht mit seinem Lampion.
 
Vielleicht hat es am Ende doch nicht geklappt mit der Vision, die Bertolt Brecht (1898 – 1956) in seinem Gedicht Serenade formulierte, und er muss sich jetzt in irgendeiner Art von Paradies fürchterlich langweilen. Der Augsburger war viel unterwegs in seinen Exiljahren. Über Dänemark, Schweden, Finnland und Russland landete er wie viele andere deutsche Intellektuelle und Künstler in den Vereinigten Staaten, um dort alsbald ins Visier der Kommunistenjäger zu geraten. Nach dem Krieg machte ihn die DDR zum gefeierten Staatsdichter. Eine Karriere, die mit dem plötzlichen Tod am 14. August 1956 etwas abrupt endete. Der Auflauf an Volk und staatstragenden Kadern war groß bei seiner Beerdigung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.
 

Rund um den Geburtstag der Anna Seghers, der sich dieser Tage zum 120. Male jährt, geschieht Erstaunliches. Bis heute ist die Schriftstellerin hauptsächlich für ihren fulminanten Roman über die Schrecken des Dritten Reichs (Das siebte Kreuz) und die eindringliche Darstellung der Schicksale jener, die wie sie vor den Nachstellungen der Hitler-Schergen aus dem Land fliehen mussten (Exil), bekannt. Nun rückt, spät und recht überraschend, ihre eigene Exilzeit in den Mittelpunkt des Interesses. Verschlungene Pfade führten sie nicht wie die Manns, wie Brecht, Feuchtwanger und Co. in die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern ins mittelamerikanische Mexiko. Gleich zwei Neuerscheinungen schildern und würdigen diesen Lebensabschnitt Seghers und die Werke,  die in dieser Zeit entstanden.

Volker Weidermanns Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko ist bei Aufbau erschienen. Wie von Weidermann gewohnt, ist das Buch ebenso populär wie fundiert geschrieben. Es bringt uns eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts in all ihren Widersprüchen nahe, ohne sich ein Urteil anzumaßen. Der reich bebilderte Band von Monika Melchert trägt den Titel Im Schutz von Adler und Schlange. Anna Seghers im mexikanischen Exil. Erschienen ist er im Quintus Verlag. Melchert, Leiterin des Segher-Museums in Berlin, ist eine intime Kennerin von Biografie und Arbeit der in Mainz geborenen Dichterin. Sowohl Weidermann wie Melchert sind sich einig, dass es lohnt die im Exil entstandenen Erzählungen neu zu entdecken.

Als junge Frau trat Anna Seghers aus der jüdischen Gemeinde aus und der Kommunistischen Partei bei. Ihr blieb sie ein Leben lang treu, vertrat einen radikalen Antifaschismus und hielt zur Sowjetunion selbst noch, als dort Das siebte Kreuz verboten wurde und Stalin sich mit Hitler verbündete. 1947 kehrte sie aus Mexiko nach Deutschland zurück und ließ sich in Ost-Berlin, dem damaligen sowjetischen Sektor und der späteren DDR, nieder. Von 1952 bis 1978 war sie Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes, verkehrte mit Ulbricht und Honecker und rechtfertigte den Mauerbau. Seit 1983 ruht sie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.

Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen. … Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selbst wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! (O. M. Graf anlässlich der Bücherverbrennungen im Deutschen Reich 1933.)
 
Die Bekanntheit des Schriftstellers Oskar Maria Graf beginnt ganz langsam zu verblassen, ähnlich der Inschrift auf seinem Grabstein. Er war einer der eigenwilligsten und unabhängigsten Vertreter der Exilgeneration. Seine oberbayerische Identität nahm er überall mit hin. Unter unseren Geburtstagswünschen aber soll der voranstehen, daß die Heimat, sein oberbayerisches Land, seiner recht gewahr werden und sich dankbarer, als gegenwärtig, erweisen möge für das Gute, das er zu ihrer Ehre hervorbringt. Sie hat keinen echteren, in der vom Schicksal erzwungenen Ferne keinen treueren Sohn. (Thomas Mann zum sechzigsten Geburtstag Grafs.) Der Wunsch des Nobelpreisträgers ging bedingt in Erfüllung, spät ohnehin, doch immerhin besser als all die Zumutungen und Kränkungen, die ihm selbst durch seine ehemalige Münchener Wahlheimat widerfuhren. Seine letzte Ruhe fand Oskar Maria Graf zu guter Letzt tatsächlich in bayerischer Erde. Sein Grab befindet sich in München-Bogenhausen; auf dem St. Georg-Kirchhof gehören Rainer Werner Fassbinder, Erich Kästner und Joachim Fernau zu seinen Nachbarn.
 

Heinrich Mann verdanken wir einen der markantesten Prototypen der deutschen Literatur. Sein Roman Der Untertan erschien 1918, entstanden ist er bereits vor 1914, also zu einer Zeit, als das alte Kaiserreich noch existierte. Charaktere vom Schlage des Protagonisten Diederich Heßling, diesem selbstsicheren Opportunisten und strammpreußischen Bürger, sind ja bis heute nicht gänzlich ausgestorben. Unvergesslich auch Manns Professor Unrat (1904 erschienen), jene Geschichte der erotischen Irrungen und Wirrungen eines biederen Gymnasiallehrers. Die Verfilmung von 1930 unter dem Titel Der blaue Engel verhalf einst der jungen Marlene Dietrich in der Gestalt der feschen Lola zum Durchbruch. 

Heinrich Mann war stark von der französischen Erzähltradition geprägt. Seinen Werken blieb der internationale Durchbruch versagt. Das führte dazu, dass der Autor im amerikanischen Exil ein kümmerliches Dasein fristen musste und auf die Unterstützung seines Bruders Thomas angewiesen war, dessen Romane und Erzählungen sich in englischen Übersetzungen weltweit bestens verkauften. 1949 wurde er in Abwesenheit zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin gewählt. Noch bevor er nach Europa reisen konnte um das Amt anzutreten, verstarb er am 11. März 1950 im kalifornischen Santa Monica, wo er zunächst bestattet wurde. 1961 wurde seine Urne nach Deutschland überführt und in Ost-Berlin beigesetzt. Heute ist sein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof eines der Ehrengräber des Landes Berlin.

Einer von ihnen hat mir erklärt, wie das sei / und was ihn am meisten freute: / > Im schlimmsten Moment, der Geburt, sind die Leute / (hat er gesagt) schon dabei. / Doch gerade das schönste Erlebnis / erleben sie nie: ihr Begräbnis! <
 
Verse aus einem Gedicht Erich Kästners, in dem er einen Pessimisten sprechen lässt. Er selbst war keiner, eher ein melancholischer Optimist. Nach Studium und Promotion begann er zunächst als Journalist zu arbeiten. Populär wurde er mit seinen Satiren und Couplets für die bunte Kabarettszene im Berlin der 1920er Jahre. Bekannt ist er bis heute vor allem für seine Kinderbücher. Das fliegende Klassenzimmer wird derzeit zum vierten Mal verfilmt. Kindheit und Jugend verbrachte er in Dresden (s. auch con=libri vom 26.10.2020), die Erinnerung daran prägte sein weiteres Leben, wie er selbst immer wieder betonte. 1933 wurde er Zeuge, wie seine Bücher als „undeutsch“ verbrannt wurden.

Als Einziger der hier vertretenen Dichter und Dichterinnen blieb Erich Kästner während des Dritten Reichs in Deutschland. Trotz verschiedener Repressionen konnte er in dieser Zeit unter Pseudonym Drehbücher verfassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in München. Als Pazifist wandte er sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und protestierte gegen die Verbreitung von Atomwaffen. 1974 verstarb er nach längerer Krebserkrankung und wurde in München-Bogenhausen beerdigt. 1991 fand Luiselotte Enderle ihre letzte Ruhe an selber Stelle. Die Journalistin und Dramaturgin stammte aus Leipzig. Fast vier Jahrzehnte war sie Kästners Lebensgefährtin und später seine erste Biografin.

 

Biertrinker, Unruhestifter, Tonsetzer

Aktuelle Biographien über Dichter und Komponisten

In den letzten Wochen und Monaten sind einige neue, hochinteressante Biographien erschienen. Häufig war ein rundes Jubiläum Anlass für den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Drei Bibliotheken musste ich bemühen, bis jene Bücher auf dem Schreibtisch lagen, mit denen ich mich befassen wollte. Inzwischen sind sie durchgesehen, angelesen und auf meine persönliche Lese-Dringlichkeit abgeschätzt.

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Jean Paul. * 21. März 1763 in Wunsiedel (“Wonsiedel”), + 14. November 1825 in Bayreuth

“Wenigstens den Wert hat dieses Werk, daß es ein Werkchen ist und klein genug; so daß es, hoff’ ich, jeder Leser fast schon im Buchladen schnell durchlaufen und auslesen kann, ohne es wie ein dickes erst deshalb kaufen zu müssen.” Einmal abgesehen davon, dass sich der Buchhändler bedanken wird, da die Empfehlung des Autors geeignet ist dessen ohnehin schon schmale wirtschaftliche Basis weiter zu schwächen: So schnell ist man denn doch nicht fertig mit diesen gerade einmal knapp 100 Seiten. Die zitierte Empfehlung steht in der “Vorrede” zu “Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz” eines für Jean Paul typischen Werkes.

Nicht durch Handlungsreichtum besticht die Erzählung, sondern durch Sprachkapriolen, Abschweifungen und allerhand satirisch-humorvolles Anspielen, was jedoch für uns heutige nicht mehr ohne weiteres verständlich ist. Dass der Text “mit fortlaufenden Noten” ausgestattet ist, hilft auch nicht weiter. Denn diese Fußnoten tauchen nicht nur in einer sehr eigenwilligen numerischen Reihenfolge auf; sie sind auch in keiner Weise geeignet dem Leser die Lektüre zu erleichtert. In vollem aphoristischem Glanz stehen sie meist ganz für sich. “Den Halbgelehrten betet der Viertelsgelehrte an – diesen der Sechzehnteilsgelehrte – und so fort; – aber nicht den Ganzgelehrten der Halbgelehrte.” So heißt es etwa in der Nummer 72, ohne dass sich ein Zusammenhang mit der Hauptgeschichte erkennen ließe; dafür folgen allzugleich die Nummern 35 und 17.

Helmut Pfotenhauer leitet die Arbeitstelle Jean-Paul-Edition der Universität Würzburg und war viele Jahre Präsident der Jean-Paul-Gesellschaft. Wie kaum ein anderer ist er also berufen, den 250. Geburtstag des großen Biertrinkers und leidenschaftlichen Schreibers mit einem Standardwerk über dessen Leben, Dichten und Publizieren zu würdigen. Der Wissenschaftler schildert den mühsamen, keineswegs selbstverständlichen Weg des Johann Paul Friedrich Richter – der sich als Schriftsteller Jean Paul nannte – zu Bildung und selbstbestimmter Berufsausübung, die langen Durststrecken der Erfolglosigkeit, die fehlende Anerkennung durch die Kollegen seiner Zeit – voran das klassische Weimar um den Geheimrat. Neben den Romanen und Erzählungen geht Pfotenhauer auch ausführlich auf das umfangreiche Briefwerk ein. Er legt eine Lebens- und Werkbeschreibung von hohem Niveau vor, die aber auch für Nicht-Spezialisten sehr gut lesbar ist. Zu Überblick und Orientierung tragen dabei die Anmerkungen und eine ausführliche Zeit- und Lebens-Chronik im Anhang bei.

Lese-Dringlichkeit: Baldmöglichst, da mit diesem Werk auch einiges an literaturgeschichtlichem Wissen vermittelt wird.

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Zum 250. Geburtstag Jean Pauls wurde auch eine überarbeitete Fassung von Günter de Bruyns “Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter” neu aufgelegt. Dabei handelt sich um keine streng wissenschaftliche Arbeit, sondern eine etwas freier gestaltete schriftstellerische Würdigung, die Leben und Schreiben Jean Pauls in engen Zusammhang mit dessen Zeit, Gesellschaft und Lebensumständen stellt. (Eine für die DDR-Zeit nicht untypische Vorgehensweise. De Bruyn gelingt es weitestgehend auf ideologische Klischees zu verzichten.) Ich besitze eine Lizenzausgabe der “Büchergilde Gutenberg”, des 1975 im Hallensischen Mitteldeutschen Verlag erschienenen Originals, die, wie damals nicht unüblich, aus DDR-Produktion stammt und zum Zwecke der Devisenbeschaffung nur im Westen verkauft wurde. Hergestellt im druckgraphischen Großbetrieb Karl-Marx-Werk in Pößneck. Die Lektüre dieses sprachlich sehr gelungenen Werkes war gleichzeitig meine erste Begegnung mit dem solitär neben den anderen Klassikern stehenden Autor. Seine Romane und Erzählungen zu lesen fällt allerdings auch versierten Lesern nicht leicht. Der absurde Sprachwitz und die vielen zeitbezogenen Anspielungen und Spitzen behindern die Verständlichkeit und hemmen den Lesefluss.

Lese-Dringlichkeit: Gering, da eine nochmalige Leküre wohl der Fülle anderer Lesevorhaben zum Opfer fallen wird.

Bertold (“Bert”) Brecht. * 10. Februar 1998 in Augsburg, + 14. August 1956 in Ost-Berlin (DDR)

In diesen Tagen jähren sich ja zum achtzigsten Male die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten. Bei jenen aus heutiger Sicht unfassbaren Aktionen „wider den undeutschen Geist“ gingen im Mai 1933 Bücher von Franz Kafka, Karl Kraus, Rosa Luxemburg, Robert Musil, Joachim Ringelnatz, Bertha von Suttner und vielen anderen in Flammen auf.  Mit dabei waren auch die Werke von Bertold Brecht und Kurt Tucholsky.

“Bertold Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten” von Jan Knopf ist Summe und Krönung einer wissenschaftlichen Laufbahn, die in großen Teilen dem wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker (und viele meinen auch des größten Lyrikers) des 20. Jahrhunderts gewidmet war und ist. Der Literaturwissenschaftler hatte eine Professur an der Universität Karlsruhe und baute dort die Arbeitsstelle Bertold Brecht (ABB) auf; er gab das Brecht-Handbuch heraus und ist Mitherausgeber der Großen Berliner und Frankfurter Ausgabe.

Brecht“Das simple Leben lebe, wer da mag! / … / Was hilft da Freiheit? Es ist nicht bequem. / Nur wer im Wohstand lebt, lebt angenehm!” (“Die Ballade vom angenehmen Leben”, aus der “Dreigroschenoper”)

Das Buch von Knopf ist umfangreich, dicht und detailgetreu. Auf jeder Seite spürt man die besondere Verbundenheit des Verfassers mit diesem charismatischen, schwierigen Menschen, dem genialisch lebensprallen Künstler. Brecht habe ich mir immer so ähnlich wie Wolf Biermann vorgestellt. Kraftvoll, zugewandt, von sich überzeugt, immer zwischen sehr laut und zart leise wechselnd. Die Biographie ist in historische Abschnitte gegliedert: Von “Deutsches Kaiserreich (1898 – 1918)” bis “Deutsche Folgen (1945/47 – 1956)”. Brechts typischer Stil wird mit vielen eingefügten Zitaten gegenwärtig für den Leser. Über das Verhältnis zu seinen Frauen – häufig ja auch engste Mitarbeiterinnen – erfährt man mehr neue Einzelheiten, als dem Gesamtbild des Menschen und Dichters gut tut.

Dafür staunen wir über die Schaffenskraft dieses Berserkers, die uns Knopf im Vorwort demonstrativ auflistet:“Bertold Brecht schrieb im Laufe seines kurzen Leben 48 Stücke (Shakespeare 37), über 2300 Gedichte (Goethe, der allerdings älter wurde, über 3000), etwa 200 Erzählungen … und immerhin drei Romane.” Die Brecht-Biographie von Jan Knopf ist kein einfaches Buch. Es fordert den Leser, es seziert den Gegenstand und ich bin gespannt, ob es eine lohnende Lektüre für mich werden wird.

Lese-Dringlichkeit: Gleich nach Büchner (s. unten).

Kurt Tucholsky. * 9. Januar 1890 in Berlin, + 21. Dezember 1935 in Göteborg

Wahrlich “ein deutsches Leben”, wie es im Untertitel von Rolf Hosfelds Buch heißt. Und ein deutsches Leiden, ein Leiden durch und mit Deutschland. Tucholsky, der so hart und treffsicher formulieren konnte, dabei so empfindlich und empfindsam war, der leichtfüßigen Humor und Traurigkeit so wunderbar verbinden konnte, wie man es aus seinen autobiographisch angehauchten Erzählungen “Schloß Gripsholm” oder “Rheinsberg” kennt.

41342MYSH1L._“Es war ein bunter Sommertag – und wir waren sehr froh. Morgens hatten sich die Wolken rasch verzogen; nun legte sich der Wind, und große, weiße Wattebäusche leuchteten hoch am blauen Himmel, sie ließen die gute Hälfte unbedeckt und dunkelblau – und da stand die Sonne und freute sich.” (“Schloss Gripsholm”)

Rolf Hosfeld hat bereits eine sehr beachtete Karl-Marx-Biographie geschrieben. In seiner neuesten Monographie stellt er neben dessen Werken, Tucholskys geographischen, sprachlichen und geistigen Heimatverlust durch die Machtergreifung der Nazis in den Mittelpunkt. “Innerlich zerrissen, rast- und heimatlos führte er ein Leben zwischen Berlin, Paris und Schweden.” Ausführlich geht Hosfeld auch auf die Frauen ein, die in Tucholskys Leben eine wichtige Rolle spielten. Else Weil und Mary Gerold mit denen er verheiratet war und die Spuren in seinem Werk hinterließen, Lisa Matthias, die in zeitweise nach Schweden begleitete, Getrude Meyer, mit der in England war, Hedwig Müller bei der er über ein Jahr in Zürich lebte.

Von großer Bedeutung war die Beziehung zu Carl von Ossietzky, mit dem zusammen er für die “Weltbühne” arbeitete, und der sich 1932 für den berühmten Tucholsky-Satz “Soldaten sind Mörder” vor Gericht verantworten musste. Da wurde er noch freigesprochen, doch bereits im Februar 1933 sperrten ihn die neuen Machthaber ins Konzentrationslager. Am 7. März 1933 erschien die letzte Nummer der “Weltbühne”, am 10. Mai fanden die ersten großen Bücherverbrennungen statt, am 23. August wurde Kurt Tucholsky, der sich in Schweden aufhielt, von den Nationalsozialisten offiziell ausgebürgert.

Hosfelds Biographie ist eine journalistische Arbeit, die mit wissenschaftlicher Sorgfalt geschrieben wurde und sehr gut lesbar ist. Nach den zahlreichen Mord- und Gewalttaten von Rechts in den letzten Jahren, in Zeiten wieder oder immer noch salonfähiger religiöser Intoleranz und teilweise unverhohlenem Rassismus, zum Zeitpunkt eines großen Neo-Nazi-Prozesses in München, ist es mehr als naheliegend sich mit Leben und Werk dieses konsequenten Pazifisten und Antifaschisten zu beschäftigen.

Lese-Dringlichkeit: Gleich nach dem “Brecht”. Zwei großartige Schriftsteller, zwei deutsche Lebensläufe, die ein wichtiges Gegengewicht zu aktuellen Zeiterscheinungen vermitteln. Zwei Bücher, die in die Schaufenster aller Buchhandlungen der Berliner Republik gehören.

Guiseppe Verdi. * 10. Oktober 1813 in Le Roncole, nahe Parma, + 27. Januar 1901 in Mailand

Richard Wagner. * 22. Mai 1813 in Leipzig, + 13. Februar 1883 in Venedig

Zur Einstimmung auf die nächsten Abschnitte habe ich ein CD eingelegt und es wären nun eigentlich zwei Komponisten mit ihren Biographien an der Reihe, die beide vor 200 Jahren geboren wurden. Doch während ich Arien aus “La Traviata” höre, kommen mir Zweifel, ob ich nicht den verträglichen Umfang eines einigermaßen lesenswerten Blog-Artikels sprenge, wenn ich die Bücher zu Verdi und Wagner so ausführlich darstelle, wie die über meine Dichter. Zumal ich alles andere als ein Musikspezialist bin. Deshalb sei in aller Kürze darauf hingewiesen, dass die einschlägigen Titel in den Literaturangaben am Ende des Beitrags aufgeführt sind: Die Bücher von Rosselli und Schwandt (Neuauflage) zu Verdi und die Biographie von Geck über Wagner (über den im Jubiläumsjahr noch sehr viel mehr Neues erscheint).

Und nur noch dies zur Ergänzung: Wagner und Verdi waren klassische Antipoden ihrer Zeit, in ihren Lebensentwürfen und den verwirklichten Kunstvorstellungen. Dazu bietet sich als alternative und sehr unterhaltsame Lektüre der Verdi-Roman von Franz Werfel an. Einer der Handlungsstränge des Buches ist der Rivalität zwischen Wagner und Verdi gewidmet und endet mit dem Tode Wagners in Venedig (!). Ein anderer dreht sich um den  Marchese Gritti, der die meisten Abende seines hundertjährigen Lebens in der Oper verbracht hat. “Der Marchese war neunundzwanzigtausenddreihundertundsiebenundachtzigmal im Theater gewesen, hatte neunhunderteinundsiebzig verschiedene Werke gehört… “ Der Roman gehört zu den schönsten, heute noch lesenswerten Büchern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Georg Büchner. * 17. Oktober 1813 in Goddelau nahe Darmstadt, + 19. Februar 1837 in Zürich

Hermann Kurzke lehrte viele Jahre als Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte in Mainz. Er ist ein bekannter und anerkannter Thomas-Mann-Spezialist, u. a. Mitherausgeber der “Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe”. Sein 1999 erschienenes und längst zum Standardwerk gewordenes Buch “Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk” setzte Maßstäbe sowohl der Biographik als auch der Werkinterpretation. Jetzt hat er sich mit großer Lust und Hingabe mit Georg Büchner beschäftigt. Kurzke, der in Mainz ein Gesangbucharchiv aufgebaut hat und dieses bis heute betreut, fand “Georg Büchner sei ein erfrischendes Kontrastmittel zum Kirchenlied.” Frisch und mitreisend ist in der Tat das vorliegende Werk “Georg Büchner. Geschichte eines Genies”.

“Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen.” Die ersten Sätze von Georg Büchners Erzählung “Lenz”, die ich bereits als Schullektüre kennenlernte. Über den tragischen Lebenslauf des Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz habe ich später vor allem bei meiner Beschäftigung mit Goethe und seinem Umfeld mehr erfahren. Büchners Theaterstück Woyzeck konnte ich sowohl als Original-Sprechstück sehen, wie auch in der Alban Bergschen Opern-Interpretation erleben.

ln Kurzkes Buch lernt man einen neuen Büchner kennen. Einen anderen, als den, den wir bisher zu kennen glaubten: den politisch engagierten Dichter, den jungen Revoluzzer. Bei Kurzke erfahren wir, dass er selbst sich nicht in erster Linie als Dichter verstand und nicht der Aufrührer und Anzettler war, als der er vielfach dargestellt wurde. Georg Büchner studierte ja Medizin und seine eigentliche Leidenschaft waren die Naturwissenschaften. Doch der frühe Tod hat die eingeschlagene Laufbahn beendet, bevor sie richtig beginnen konnte.

Im Büchner-Buch von Hermann Kurzke werden die Werke Büchners natürlich angemessen gewürdigt. Doch der Autor macht deutlich, dass Büchner selbst seinen “Landboten” für unreif und den “Woyzeck” für unfertig hielt. Dass ihm seine Doktorarbeit über das Nervensystem der Barben wichtiger war als alles Dichten. Büchner war immer jung, unfertig. Ein Genie freilich, von dem wir aber nicht wissen können, was aus ihm im Laufe eines längeren Lebens, mit der Möglichkeit zu reifen, sich zu entwickeln, geworden wäre. “Das Verstandene ist das Tote, nur das Unverstandene lebt und lockt. Was endgültig durchschaut ist, wird abgehakt und aufgeräumt. Was noch ein Geheimnis hat, fasziniert hingegen,” schreibt Hermann Kurzke. Sein neues Buch ist eine fesselnde und fundierte Lektüre über das Geheimnis Georg Büchner.

Lese-Dringlichkeit: Ich bin mittendrin.

Pfotenhauer, Helmut: Jean Paul. Das Leben als Schreiben. Biographie. – Hanser, 2013. Euro 27,90

Bruyn, Günter de: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter. Eine Biographie. Überarb. Neufassung. S. Fischer, 2013. Euro 21,99

Knopf, Jan: Bertold Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie. Hanser, 2012. Euro 27,90

Hosfeld, Rolf: Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biographie. – Siedler, 2012. Euro 21,99

Rosselli, John: Guiseppe Verdi – Genie der Oper. Eine Biographie. – Beck, 2013. Euro 21,95

Schwandt, Christoph: Giuseppe Verdi. Die Biographie. Aktualisierte Neuausgabe. Insel, 2013. Euro 10,99

Geck, Martin: Wagner. Biographie. – Siedler, 2012. Euro 24,99

Werfel, Franz: Verdi. Roman der Oper.  u. a. als Fischer TB, Euro 12,95

Kurzke, Hermann: Georg Büchner. Geschichte eines Genies. Beck, 2013. Euro 29,95

So! Rum. Juni MMX

4:1 oder 2. Das Ergebnis war schon erstaunlich deutlich. Noch mehr verwundert jedoch die britische Reaktion auf dieses Natur-Ereignis. Auf die sonst übliche martialische, mit Kriegs-Metaphern durchsetzte Sprache, haben die englischen Medien weitestgehend verzichtet. Viele faire Fans anerkannten zudem die Leistung der deutschen Mannschaft und fanden das Ergebnis leistungsgerecht. Nun wird es als nächstes darum gehen, Argentinien zum Weinen zu bringen. Für den adeligen Linksfuß Lukas Podolski kein Problem: „Die Brust ist erst mal da nach dem Spiel.“ Na also. Allerdings war auf die Anatomie-Kenntnisse des Fussball-Adels und ihrer Volksscharen noch nie Verlass. „Mit dem Herz in der Hand“, fordern seit Jahren die stimmgewaltigen „Sportfreunde Stiller“ zum Mitsingen und Weltmeister werden auf.

625:494. Der nächste Horst heißt Christian. Christian Wulff. Der Job ist noch der gleiche: Bundespräsident. Realität: Mann Anfang Fünfzig mit junger Frau und noch jüngerem Kind für mindestestens 5 Jahre an Präsidentenpalast und Protokoll gefesselt. Wer’s mag.  Wahrscheinlich nur etwas für Persönlichkeiten die schon mit fünfeinhalb in die Vorschul-Organisation ihrer Partei eingetreten sind und dort gleich den Ortsverein übernommen haben. Gewählt von denen, die immer die wählen, von denen man ihnen sagt, dass sie die wählen sollen.

Glückwunsch. „Die meisten Dichter verstehen von Literatur nicht mehr als Vögel von Ornithologie.“ Mit dieser Aussage rechtfertigte Marcel Reich-Ranicki einst die Existenz der Literaturkritik im allgemeinen und des Literaturkritikers im besonderen. Am 2. Juni wurde Marcel Reich-Ranicki 90 Jahre alt und vielfach öffentlich gewürdigt und gefeiert. Einer der schönsten Jubiläumsbeiträge: Das Geburtstagsständchen von Harald Schmidt, der Brechts „Erinnerungen an Marie A.“ vorsang:

„An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum …“

Buch (1). „Weltempfänger“ heißt eine Bestenliste, die monatlich Bücher in Form eines Ranking vorstellt, die aus afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Sprach- und Literaturräumen stammen. Verantwortlich dafür ist „litprom“. Eine Initiative in Vereinsform, die es sich u. a. zur Aufgabe gemacht hat, Literatur abseits der sonst dominanten europäischen und angelsächsischen Märkte in den Blickpunkt zu rücken. Auf Platz 1 der Juli-Ausgabe der Liste steht der mexikanische Autor Paco Ignacio Taibo mit seinem beim Verlag Assoziation A erschienen Titel „Der Schatten des Schattens“. Das derzeit in den Medien, dabei aber weniger mit seiner Literatur, präsente Südafrika, ist mit Gedichten von Lebogang Mashile vertreten. „Töchter von Morgen“ heißt das Buch. Diesen und frühere Weltempfänger gibt es auf der Web-Site von „litprom“.

Buch (2). Neue Medien können auch dazu beitragen, dass in Vergessenheit geratene Stärken „älterer“ Medienformen, wieder deutlicher sichtbar werden. Auf diesen Effekt setzt u. a. die Slow Media Bewegung um den Soziologen und Medienberater Benedikt Köhler. „Gegenüber dem regiden Kontrollwahn der Apple Corp. wird die in den letzten Jahren erfolgreich verdrängte widerständige, antihegemoniale Macht des Buchs wieder spürbar“, schrieb Köhler im Börsenblatt 23, 2010, auf Seite 15. Slow Media hat sich der „Langsamkeitspflege“ verschrieben und möchte das „Mono Tasking“ fördern: „So wie die Herstellung eines guten Essens die volle Aufmerksamkeit aller Sinne eines Koches und seiner Gäste erfordert, können Slow Media nur in fokussierter Wachheit mit Genuss konsumiert werden.“

Buchhandel. Und gleich ein weiteres Zitat von Benedikt Köhler aus der Quelle wie oben: „Wer sich an die Beliebigkeit von Download- und Löschbutton gewöhnt hat, wird die andere Qualität eines slowen Mediums wie des Buchs stärker zu schätzen lernen.“ Auch wenn ich persönlich das englische slow nicht unbedingt mit einer deutschen Beugung quälen würde – irgendwie hat der Mann keineswegs Unrecht. Das zeigt auch ein in letzter Zeit erkennbarer Trend, der kleinen, standortverbundenen, kettenunabhängigen Buchhandlungen eine günstige Zukunft verspricht. Kundennähe, Stadtteil-Treffpunkt, Vernetzung, attraktive Veranstaltungen sind die Trümpfe mit denen engagierte Buchhändler stechen können. Dabei ist keineswegs von realitäts- und marktfernen Kuschel-Nischen die Rede, denn offensiver Umgang mit neuen Medien gehört ebenfalls zu den Erfolgsvoraussetzungen.