Sudeleien. Oktober 2015

Über die Buchhandlung vor Ort

* * *

DSCN1071

Zur Frankfurter Buchmesse werde ich in diesem Jahr nicht fahren. Ich bleibe daheim und verzichte auf das Wandern von Stand zu Stand bis die Füße schmerzen, spare mir das Kauderwelsch der Sales und Key Account Manager in Schwarz, trage weder Prospekte noch Leseproben umher in die man später nie wieder reinschaut, schleime nicht mit Leuten rum denen ich sonst aus dem Weg gehe, werde beim Essen, Trinken und Übernachten nicht gnadenlos abgeneppt.

images

Und ich vermeide das Allerschlimmste: Dass ich tagelang überhaupt nicht zum Lesen komme, zu keiner Zeile aus einem der vielen neuen und alten spannenden, interessanten, diskussionswürdigen Bücher. Nach der Messe würde es ja auch nicht gleich besser, denn noch geraume Zeit leidet man an Symptomen des Frankfurt Fairlag, wie Konzentrationsmängeln, Kaffeesucht, Heiserkeit und Verzweiflung. Ich bleibe daheim und lese. Und wenn ich das Haus verlasse, dann führt mich der Weg direkt in eine der bunten Buchhandlungen meiner näheren und weiteren Umgebung.

Am 17. September wurden erstmals „Deutsche Buchhandlungspreise“ vergeben. In der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt verlieh die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters Auszeichnungen und Geldprämien an 108 Buchhändlerinnen und Buchhändler. Natürlich geht so etwas nicht ohne wohlfeile Lobreden. Während der Lyriker und Leipziger Buchpreisträger Jan Wagner mit sehr persönlichen Abschweifungen über seine Kinder- und Jugenderfahrungen im heimischen Buchladen und seine literarische Sozialisation gut unterhielt, gelangen Verleger und Autor Jo Lendle leider nur Allgemeinplätze und Klischees Marke “Ihr habt alle gewonnen!”.

Seine Kernaussage “Was Buchhändler können, können nur Buchhändler” ist besonders albern, drückt sie doch die Selbstverständlichkeit aus, dass Menschen die einen Beruf in einer mehrjährigen Ausbildung erlernt haben, diesen anschließend einigermaßen beherrschen. So dürfte es in den meisten Fällen zutreffen, dass ein Klempner nur kann was ein Klempner, ein Augenoptikerin nur was eine Augenoptikerin und ein Ökotrophologe nur was ein Ökotrophologe können kann. Oder vielmehr können sollte, denn Minderbegabte gibt es in allen Sparten, weshalb nicht jeder Buchhändler, jede Buchhändlerin als ausgewiesener Multiplikator literarischer Hochkultur durchgeht.

Leicht zu erkennen sind die starken Kontraste in der Gilde. Thalia und Hugendubel haben Filialnetz und Flächen verkleinert, die Niederlassungen von Weltbild sind bald völlig verschwunden, mit ihnen und ihren Mitarbeitern wurde ein übles Spiel inszeniert. Gleichzeitig verzeichnet Amazon weiteres Wachstum und der i-man wird in Zukunft angeblich nur noch digital lesen. Steht das endgültige Ende des klassischen Buchhandels in Ladenform etwa unmittelbar bevor? Wurde gar der Untergang von Abend- und Morgenland eingeläutet, wie Verbands-Orakel verkünden?

Keineswegs. Lernen wir einfach aus der Natur. Was zu alt, zu groß, zu träge geworden ist, stirbt ab oder aus. Die gern zitierten Dinosaurier wurden so Prähistorie und irgendwann wird ebenso unvermeidlich der Mensch samt seiner ganzen -heit vom Planeten verschwinden. Und keiner wird danach da sein, um dieses Ereignis in die Geschichtsbücher nachtragen zu können. Die Megalithen der Realwirtschaft haben mit diesen Naturphänomen allerhand Gemeinsamkeiten. Solche evolutionären Prozesse sind quasi Vorraussetzung für immer wieder neue kecke Pflänzchen die zum Lichte drängen. Allerorten und zu allen Zeiten entsteht zartes junges Leben, nutzen mutig frische Gene und Schöpfungsideen entstandene Nischen und Zukunftschancen.

So ergeht es auch der Spezies Buchhandel. Über viertausendsiebenhundert selbständige inhabergeführte Buchhandlungen gibt es nach wie vor in Deutschland, und in Berlin, Köln, München und Hamburg, ja sogar in entlegenen, nur scheinbar verschlafenen Provinznestern, ist in den letzten Jahren die eine oder andere Neugründung hinzugekommen. Darüber hinaus gelingt es immer wieder quicklebendigen Alteingesessenen sich neu zu erfinden, mit belebenden Frischzellenkuren den Veränderungs- und Anpassungszwängen gewachsen zu sein. Das zu beobachten ist erfreuend und gibt reichlich Anlass zu ermutigender Zukunftshoffnung.

Ich finde, jeder Ort über, sagen wir einmal 5.000 Einwohner, jeder Stadtteil, jedes Viertel, jeder Kiez sollte mindestens eine Buchhandlung haben. Zur Grundversorgung für ein Leben als Ganzes gehört eben nicht nur der mühsam gepeppelte Tante-Emma-Laden oder die sehnlich erwünschte ärztliche Dorfpraxis, die alte Hebamme und der verhockte Dorfkrug. Dazu zählt für mich, und den einen oder die andere, eine gut sortierte Buchhandlung. Wohlgemerkt: Eine gut sortierte. Also mit einem Angebot das über Bestseller-Listen und Leichtgängiges hinaus einen gewissen Kanon pflegt, den literarischen Nachwuchs fördert und die klassische Dichtung nicht vergisst. Es geht um die Vermittlung von kulturellem Allgemeingut, verbindenden Bildungsuntergrenzen, wohltuendes Vomselbenredenkönnen.

DSCN0702

Kurzum, quicklebendige Buchhandlungen abseits der großen Tiefgaragen und Parkhäuser, der angesagten Modelabel-Quartiere, der Hautpsachegesehenwerden-Meilen und der ChickenFrittenBurger-Ballungen. Klar, eine Buchhandlung die das aufgeschlossene, geschichten- und wissensgierige bunte Gemeinwesen drumherum mit Literatur versorgt, Leseförderung betreibt, Veranstaltungen iniziiert, Bildung fördert und zum beliebten Treffpunkt avanciert, fällt nicht vom Himmel. Um ein solches Angebot vor Ort und bürgernah auf die Beine zu stellen, braucht es mehr als willige Buchhändler, die zu allen Formen der Selbstausbeute bereit sind. Nötig sind Förderung und Fantasie, die über ermäßigten Mehrwertsteuersatz, Buchpreisbindung und Buchhandlungspreis hinausgehen.

Warum nicht in praktizierter Public Private Partnership als Untermieter im Rathaus oder zu günstigen Konditionen in anderen kommunalen Einrichtungen. Natürlich kann bei reichlich vorhandenen Quadratmetern auch selbst untervermietet werden. Das Beispiel Cafè im Buchladen gibt es ja schon vielfach, doch ist damit schon die Grenze der Vorstellungskraft erreicht? Es muss ja nicht gleich ein Spielcasino sein. Für Schwimmbäder, Büchereien, Kunstgalerien werden Fördervereine gegründet, warum nicht für eine Buchhandlung? Oder gleich eine Genossenschaft – Leser und Buchkäufer als Eigentümer.

Nicht selten ist auch das Modell Sortimentserweiterung, schließlich gibt es im gutsortierten Supermarkt Bücher, warum sollen neben den Kochbüchern denn keine Suppenwürfel angeboten werden? Schreibwaren, Spielzeug sind als Ergänzung nicht neu, nur sollten diese Läden konsequenter bei den Einkäufen von Schulen, Kindergärten und Behörden berücksichtigt werden. Nein Geiz ist gar nicht geil, eine gesunde lokale und regionale Wirtschaftsstruktur ist es, die allen gut tut. Die Erwerbungsmittel der öffentlichen Bibliotheken gehören drastisch aufgestockt, ohnehin in einig D längst überfällig, verbunden mit der Auflage “buy local!”, zu deutsch könnte man auffordern: “Kauf’ beim Nachbarn!”.

Nein ich fahre nicht nach Frankfurt am Main. Ich bleibe an der Donau. Nächste Woche bin ich, wenn nicht unter gewohnter Adresse, dann vor den Regalen oder auf dem Sofa meiner Buchhandlung um die Ecke. Beim Anschmökern und Wiedereinmalnichtentscheidenkönnen. Und so geht es irgendwann zurück in den heimischen Lesesessel mit viel zu vielen Neuerwerbungen, doch befreit von der Angst, der Lesestoff könnte demnächst ausgehen oder Geliebtes nicht zur rechten oder linken Hand bequem greifbar sein. Mit Lese-, Muse- und Abendstunden vor mir, voller Möglichkeiten.

Durs Grünbein hat es treffend formuliert: “Ich kaufe ja Bücher nicht, weil ich sie alle benötige, sondern weil ich mir ausmale, wie herrlich es sein wird, sie demnächst – sagen wir: eines Tages, zu lesen.”

So! Rum. Juni MMX

4:1 oder 2. Das Ergebnis war schon erstaunlich deutlich. Noch mehr verwundert jedoch die britische Reaktion auf dieses Natur-Ereignis. Auf die sonst übliche martialische, mit Kriegs-Metaphern durchsetzte Sprache, haben die englischen Medien weitestgehend verzichtet. Viele faire Fans anerkannten zudem die Leistung der deutschen Mannschaft und fanden das Ergebnis leistungsgerecht. Nun wird es als nächstes darum gehen, Argentinien zum Weinen zu bringen. Für den adeligen Linksfuß Lukas Podolski kein Problem: „Die Brust ist erst mal da nach dem Spiel.“ Na also. Allerdings war auf die Anatomie-Kenntnisse des Fussball-Adels und ihrer Volksscharen noch nie Verlass. „Mit dem Herz in der Hand“, fordern seit Jahren die stimmgewaltigen „Sportfreunde Stiller“ zum Mitsingen und Weltmeister werden auf.

625:494. Der nächste Horst heißt Christian. Christian Wulff. Der Job ist noch der gleiche: Bundespräsident. Realität: Mann Anfang Fünfzig mit junger Frau und noch jüngerem Kind für mindestestens 5 Jahre an Präsidentenpalast und Protokoll gefesselt. Wer’s mag.  Wahrscheinlich nur etwas für Persönlichkeiten die schon mit fünfeinhalb in die Vorschul-Organisation ihrer Partei eingetreten sind und dort gleich den Ortsverein übernommen haben. Gewählt von denen, die immer die wählen, von denen man ihnen sagt, dass sie die wählen sollen.

Glückwunsch. „Die meisten Dichter verstehen von Literatur nicht mehr als Vögel von Ornithologie.“ Mit dieser Aussage rechtfertigte Marcel Reich-Ranicki einst die Existenz der Literaturkritik im allgemeinen und des Literaturkritikers im besonderen. Am 2. Juni wurde Marcel Reich-Ranicki 90 Jahre alt und vielfach öffentlich gewürdigt und gefeiert. Einer der schönsten Jubiläumsbeiträge: Das Geburtstagsständchen von Harald Schmidt, der Brechts „Erinnerungen an Marie A.“ vorsang:

„An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum …“

Buch (1). „Weltempfänger“ heißt eine Bestenliste, die monatlich Bücher in Form eines Ranking vorstellt, die aus afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Sprach- und Literaturräumen stammen. Verantwortlich dafür ist „litprom“. Eine Initiative in Vereinsform, die es sich u. a. zur Aufgabe gemacht hat, Literatur abseits der sonst dominanten europäischen und angelsächsischen Märkte in den Blickpunkt zu rücken. Auf Platz 1 der Juli-Ausgabe der Liste steht der mexikanische Autor Paco Ignacio Taibo mit seinem beim Verlag Assoziation A erschienen Titel „Der Schatten des Schattens“. Das derzeit in den Medien, dabei aber weniger mit seiner Literatur, präsente Südafrika, ist mit Gedichten von Lebogang Mashile vertreten. „Töchter von Morgen“ heißt das Buch. Diesen und frühere Weltempfänger gibt es auf der Web-Site von „litprom“.

Buch (2). Neue Medien können auch dazu beitragen, dass in Vergessenheit geratene Stärken „älterer“ Medienformen, wieder deutlicher sichtbar werden. Auf diesen Effekt setzt u. a. die Slow Media Bewegung um den Soziologen und Medienberater Benedikt Köhler. „Gegenüber dem regiden Kontrollwahn der Apple Corp. wird die in den letzten Jahren erfolgreich verdrängte widerständige, antihegemoniale Macht des Buchs wieder spürbar“, schrieb Köhler im Börsenblatt 23, 2010, auf Seite 15. Slow Media hat sich der „Langsamkeitspflege“ verschrieben und möchte das „Mono Tasking“ fördern: „So wie die Herstellung eines guten Essens die volle Aufmerksamkeit aller Sinne eines Koches und seiner Gäste erfordert, können Slow Media nur in fokussierter Wachheit mit Genuss konsumiert werden.“

Buchhandel. Und gleich ein weiteres Zitat von Benedikt Köhler aus der Quelle wie oben: „Wer sich an die Beliebigkeit von Download- und Löschbutton gewöhnt hat, wird die andere Qualität eines slowen Mediums wie des Buchs stärker zu schätzen lernen.“ Auch wenn ich persönlich das englische slow nicht unbedingt mit einer deutschen Beugung quälen würde – irgendwie hat der Mann keineswegs Unrecht. Das zeigt auch ein in letzter Zeit erkennbarer Trend, der kleinen, standortverbundenen, kettenunabhängigen Buchhandlungen eine günstige Zukunft verspricht. Kundennähe, Stadtteil-Treffpunkt, Vernetzung, attraktive Veranstaltungen sind die Trümpfe mit denen engagierte Buchhändler stechen können. Dabei ist keineswegs von realitäts- und marktfernen Kuschel-Nischen die Rede, denn offensiver Umgang mit neuen Medien gehört ebenfalls zu den Erfolgsvoraussetzungen.