Sudeleien. Oktober 2015

Über die Buchhandlung vor Ort

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Zur Frankfurter Buchmesse werde ich in diesem Jahr nicht fahren. Ich bleibe daheim und verzichte auf das Wandern von Stand zu Stand bis die Füße schmerzen, spare mir das Kauderwelsch der Sales und Key Account Manager in Schwarz, trage weder Prospekte noch Leseproben umher in die man später nie wieder reinschaut, schleime nicht mit Leuten rum denen ich sonst aus dem Weg gehe, werde beim Essen, Trinken und Übernachten nicht gnadenlos abgeneppt.

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Und ich vermeide das Allerschlimmste: Dass ich tagelang überhaupt nicht zum Lesen komme, zu keiner Zeile aus einem der vielen neuen und alten spannenden, interessanten, diskussionswürdigen Bücher. Nach der Messe würde es ja auch nicht gleich besser, denn noch geraume Zeit leidet man an Symptomen des Frankfurt Fairlag, wie Konzentrationsmängeln, Kaffeesucht, Heiserkeit und Verzweiflung. Ich bleibe daheim und lese. Und wenn ich das Haus verlasse, dann führt mich der Weg direkt in eine der bunten Buchhandlungen meiner näheren und weiteren Umgebung.

Am 17. September wurden erstmals „Deutsche Buchhandlungspreise“ vergeben. In der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt verlieh die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters Auszeichnungen und Geldprämien an 108 Buchhändlerinnen und Buchhändler. Natürlich geht so etwas nicht ohne wohlfeile Lobreden. Während der Lyriker und Leipziger Buchpreisträger Jan Wagner mit sehr persönlichen Abschweifungen über seine Kinder- und Jugenderfahrungen im heimischen Buchladen und seine literarische Sozialisation gut unterhielt, gelangen Verleger und Autor Jo Lendle leider nur Allgemeinplätze und Klischees Marke “Ihr habt alle gewonnen!”.

Seine Kernaussage “Was Buchhändler können, können nur Buchhändler” ist besonders albern, drückt sie doch die Selbstverständlichkeit aus, dass Menschen die einen Beruf in einer mehrjährigen Ausbildung erlernt haben, diesen anschließend einigermaßen beherrschen. So dürfte es in den meisten Fällen zutreffen, dass ein Klempner nur kann was ein Klempner, ein Augenoptikerin nur was eine Augenoptikerin und ein Ökotrophologe nur was ein Ökotrophologe können kann. Oder vielmehr können sollte, denn Minderbegabte gibt es in allen Sparten, weshalb nicht jeder Buchhändler, jede Buchhändlerin als ausgewiesener Multiplikator literarischer Hochkultur durchgeht.

Leicht zu erkennen sind die starken Kontraste in der Gilde. Thalia und Hugendubel haben Filialnetz und Flächen verkleinert, die Niederlassungen von Weltbild sind bald völlig verschwunden, mit ihnen und ihren Mitarbeitern wurde ein übles Spiel inszeniert. Gleichzeitig verzeichnet Amazon weiteres Wachstum und der i-man wird in Zukunft angeblich nur noch digital lesen. Steht das endgültige Ende des klassischen Buchhandels in Ladenform etwa unmittelbar bevor? Wurde gar der Untergang von Abend- und Morgenland eingeläutet, wie Verbands-Orakel verkünden?

Keineswegs. Lernen wir einfach aus der Natur. Was zu alt, zu groß, zu träge geworden ist, stirbt ab oder aus. Die gern zitierten Dinosaurier wurden so Prähistorie und irgendwann wird ebenso unvermeidlich der Mensch samt seiner ganzen -heit vom Planeten verschwinden. Und keiner wird danach da sein, um dieses Ereignis in die Geschichtsbücher nachtragen zu können. Die Megalithen der Realwirtschaft haben mit diesen Naturphänomen allerhand Gemeinsamkeiten. Solche evolutionären Prozesse sind quasi Vorraussetzung für immer wieder neue kecke Pflänzchen die zum Lichte drängen. Allerorten und zu allen Zeiten entsteht zartes junges Leben, nutzen mutig frische Gene und Schöpfungsideen entstandene Nischen und Zukunftschancen.

So ergeht es auch der Spezies Buchhandel. Über viertausendsiebenhundert selbständige inhabergeführte Buchhandlungen gibt es nach wie vor in Deutschland, und in Berlin, Köln, München und Hamburg, ja sogar in entlegenen, nur scheinbar verschlafenen Provinznestern, ist in den letzten Jahren die eine oder andere Neugründung hinzugekommen. Darüber hinaus gelingt es immer wieder quicklebendigen Alteingesessenen sich neu zu erfinden, mit belebenden Frischzellenkuren den Veränderungs- und Anpassungszwängen gewachsen zu sein. Das zu beobachten ist erfreuend und gibt reichlich Anlass zu ermutigender Zukunftshoffnung.

Ich finde, jeder Ort über, sagen wir einmal 5.000 Einwohner, jeder Stadtteil, jedes Viertel, jeder Kiez sollte mindestens eine Buchhandlung haben. Zur Grundversorgung für ein Leben als Ganzes gehört eben nicht nur der mühsam gepeppelte Tante-Emma-Laden oder die sehnlich erwünschte ärztliche Dorfpraxis, die alte Hebamme und der verhockte Dorfkrug. Dazu zählt für mich, und den einen oder die andere, eine gut sortierte Buchhandlung. Wohlgemerkt: Eine gut sortierte. Also mit einem Angebot das über Bestseller-Listen und Leichtgängiges hinaus einen gewissen Kanon pflegt, den literarischen Nachwuchs fördert und die klassische Dichtung nicht vergisst. Es geht um die Vermittlung von kulturellem Allgemeingut, verbindenden Bildungsuntergrenzen, wohltuendes Vomselbenredenkönnen.

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Kurzum, quicklebendige Buchhandlungen abseits der großen Tiefgaragen und Parkhäuser, der angesagten Modelabel-Quartiere, der Hautpsachegesehenwerden-Meilen und der ChickenFrittenBurger-Ballungen. Klar, eine Buchhandlung die das aufgeschlossene, geschichten- und wissensgierige bunte Gemeinwesen drumherum mit Literatur versorgt, Leseförderung betreibt, Veranstaltungen iniziiert, Bildung fördert und zum beliebten Treffpunkt avanciert, fällt nicht vom Himmel. Um ein solches Angebot vor Ort und bürgernah auf die Beine zu stellen, braucht es mehr als willige Buchhändler, die zu allen Formen der Selbstausbeute bereit sind. Nötig sind Förderung und Fantasie, die über ermäßigten Mehrwertsteuersatz, Buchpreisbindung und Buchhandlungspreis hinausgehen.

Warum nicht in praktizierter Public Private Partnership als Untermieter im Rathaus oder zu günstigen Konditionen in anderen kommunalen Einrichtungen. Natürlich kann bei reichlich vorhandenen Quadratmetern auch selbst untervermietet werden. Das Beispiel Cafè im Buchladen gibt es ja schon vielfach, doch ist damit schon die Grenze der Vorstellungskraft erreicht? Es muss ja nicht gleich ein Spielcasino sein. Für Schwimmbäder, Büchereien, Kunstgalerien werden Fördervereine gegründet, warum nicht für eine Buchhandlung? Oder gleich eine Genossenschaft – Leser und Buchkäufer als Eigentümer.

Nicht selten ist auch das Modell Sortimentserweiterung, schließlich gibt es im gutsortierten Supermarkt Bücher, warum sollen neben den Kochbüchern denn keine Suppenwürfel angeboten werden? Schreibwaren, Spielzeug sind als Ergänzung nicht neu, nur sollten diese Läden konsequenter bei den Einkäufen von Schulen, Kindergärten und Behörden berücksichtigt werden. Nein Geiz ist gar nicht geil, eine gesunde lokale und regionale Wirtschaftsstruktur ist es, die allen gut tut. Die Erwerbungsmittel der öffentlichen Bibliotheken gehören drastisch aufgestockt, ohnehin in einig D längst überfällig, verbunden mit der Auflage “buy local!”, zu deutsch könnte man auffordern: “Kauf’ beim Nachbarn!”.

Nein ich fahre nicht nach Frankfurt am Main. Ich bleibe an der Donau. Nächste Woche bin ich, wenn nicht unter gewohnter Adresse, dann vor den Regalen oder auf dem Sofa meiner Buchhandlung um die Ecke. Beim Anschmökern und Wiedereinmalnichtentscheidenkönnen. Und so geht es irgendwann zurück in den heimischen Lesesessel mit viel zu vielen Neuerwerbungen, doch befreit von der Angst, der Lesestoff könnte demnächst ausgehen oder Geliebtes nicht zur rechten oder linken Hand bequem greifbar sein. Mit Lese-, Muse- und Abendstunden vor mir, voller Möglichkeiten.

Durs Grünbein hat es treffend formuliert: “Ich kaufe ja Bücher nicht, weil ich sie alle benötige, sondern weil ich mir ausmale, wie herrlich es sein wird, sie demnächst – sagen wir: eines Tages, zu lesen.”

Schöne Bescherung! – Der Gabentisch 2012

„Lesen ist nicht wie Musik hören, lesen ist wie musizieren.“ (Martin Walser)

Lichterglanz und Glockenbimmel. Schneegestöber, Glühweindampf und Bratwurstduft. Schon ist es wieder Mitte Dezember. Höchste Zeit für den Weg in die festlich dekorierte Lieblingsbuchhandlung. Gönnen wir uns in diesen kalten Tagen ein erwärmendes Schnupper- und Einkaufserlebnis in originellen, breit sortierten kleinen Handlungen fürs gute alte, immer wieder schön gedruckte und gebundene Buch. Hier sind meine Ideen für den Gabentisch, für unter die Tanne-Fichte, zum den Nächsten und Liebsten in die Hand drücken, oder zum Sichselbstbeschenken.

Rammstedt. In diesem Herbst ist auch der lustige, erstaunlicherweise aus Bielefeld stammende (doch längst in Berlin ansässige) Tilman Rammstedt (“Der Kaiser von China”) wieder mit einer Neuerscheinung vertreten. Und die hat es in sich. In “Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters” geht es viel weniger um den Bankberater eines Protagonisten namens Tilman Rammstedt, als vielmehr um dessen Briefwechsel mit dem american heroe Bruce Willis. “Sehr geehrter Herr Willis, geht es Ihnen gut?” Der Briefverkehr verläuft allerdings sehr einseitig, denn der Schauspieler antwortet nicht. Was sich daraus entwickelt, und wie es mit dem Bankberater weitergeht ist virtuos und hochkomisch. Ein Buch für alle, die sich einfach einmal richtig amüsieren möchten. (Dumont, 2012. Euro 18,99)

Haas. Wenn es jemanden gibt der den “neuen Haas” noch nicht hat, kennt oder las, sollte man diesen Menschen auf jeden Fall mit der “Verteidigung der Missionarsstellung” beglücken. Im Gegensatz zu dem, was der Titel vielleicht vermuten lässt, handelt es sich keineswegs um eine nahe Verwandtschaft der Grauschatten-Machwerke. Raffiniert, witzig und spannend, wird uns hier echter Unterhaltungs-Mehrwert auf überdurchschnittlichem Niveau geboten. Für den erstmal auf den Geschmack gekommenen Leser leider viel zu kurz. (Hoffmann und Campe, 2012. Euro 19,90)

Suter. Die Zeit, die Zeit. Mit diesem – einem Seufzer gleichen – Titel führt uns Martin Suter einmal mehr einen seiner leicht unbedarften Helden vor, die gerne, jedoch selten freiwillig, an allerhand Ecken und Kanten ihres Schicksals stoßen. Klassisch erzählt, flüssig zu lesen, durchaus doppelbödig. Ein Spiel mit der Zeit und auf Zeit. Suter endlich wieder auf dem Höhepunkt seines erzählerischen Könnens. Kleinkinder einmal ausgenommen, kann das Buch problemlos an breite Leserschichten verschenkt werden. (Diogenes, 2012. Euro 21,90)

>>> Haas und Suter wurden auf con = libri bereits ausführlich besprochen. <<<

Russisch 1. Vladimir Sorokin schreibt fabelhaft, satirisch, grotesk. Es ist stets feinderbes Erzählwerk, das einer der wichtigsten Autoren des heutigen Russland präsentiert. In “Der Schneesturm” erleben wir den Landarzt Garin im Kampf gegen eine rätselhafte Seuche, bzw. auf seinem Weg zum Kampf. Sein größter Gegner sind dabei der russische Winter und die märchenhaften Ereignisse, die sich auf der Fahrt zum Einsatzort abspielen. Die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sich dem guten Doktor immer wieder in den Weg stellen, sollen, so Kenner, jedenfalls sehr viel Ähnlichkeit mit den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen im Putin-Reich haben. Für alle Freunde surrealer Geschichten; trotz Schneegestöber-Idylle nicht jugendfrei. (Kiepenheuer & Witsch, 2012. Euro 17,99)

Russisch 2. Seit ich den Bonner Verleger Stefan Weidle auf der Tübinger Sahl-Tagung erleben durfte (s. dazu auch den letzten Beitrag auf con = libri), habe ich auf das Programm seines Verlages ein besonderes Auge geworfen. Hier ist immer wieder Überraschendes zu entdecken. Wie jetzt “Die Manon Lescaut von Turdej” von Wsewolog Petrow. Ein schmaler Band mit einer nicht allzu langen Erzählung. Man darf die Frage stellen, ob sie ein eigenes Buch wert ist. In diesem Fall kann das rasch und klar mit Ja beantwortet werden. Bemerkenswert, hinreißend, todtraurig. Ein Petersburger Intellektueller, im petrow_1Krieg mit einem Krankentransport unterwegs, den “Werther” (vom größten Dichter des größten Feindes geschrieben) auf Deutsch lesend, lernt das Mädchen Vera kennen und – das Klischee muss hier sein – er verfällt ihren Reizen: der physischen Präsenz, ihrer Jugend, ihrem Anderssein. Es ist der Zauber des Gewöhnlichen, der ihn anzieht, die lebenshungrige Gegenwärtigkeit eines flatterhaften Wesens. Sie kann halt lieben nur… Die Geschichte entstand bereits 1946, erschien aber erstmals 2006 in einer russischen Zeitschrift. Petrow war eigentlich Kunsthistoriker und lebte von 1912 bis 1978. Das schmächtige Buch wurde von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats November gewählt; auf der aktuellen SWR-Bestenliste belegt es Platz 8. Das sehr informative Nachwort hat Oleg Jurjew geschrieben; die Germanistin Olga Martynova kommentierte einige wesentliche Passagen. (Weidle Verlag, 2012. Euro 16,90)

Russisch-Deutsch. Olga Martynova ist selbst eine interessante Autorin. Von ihr liegen Gedichte, Prosa und Essays vor. Sie stammt aus Russland, lebt seit über zwanzig Jahren in Deutschland und schreibt ihre Prosawerke in deutscher Sprache. Der leicht experimentell und assoziativ erzählte Roman “Sogar Papageien überleben uns” war für mich eine wirkliche Entdeckung, das, was man gemeinhin ein Leseabenteuer nennt. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die zwischen Russland und Deutschland unterwegs sind. Wissenschaftler, Literaten, Künstler. Der Leser erfährt viel über die kulturellen Wechselwirkungen zwischen Ost und West. Die Erzählung kreist um ein dichtes Geflecht russisch-deutscher Literatur- und Liebesbeziehungen. Wir begleiten eine junge Literaturwissenchaftlerin auf ihrer sentimentalen Reise durch Gefühls- und Steppenwelten und erleben dabei rasche Richtungs- und Stimmungswechsel. In hintergründig philosophischen Passagen geht es zudem immer wieder um die allerletzten unsicheren Wahrheiten. Vielfach kommt das Buch auf Größen der russischen Literaturgeschichte zu sprechen. Hinweise, die zu weiterer Lektüre anregen können. Olga Martinova schreibt für geübte Leser. (Literaturverlag Droschl, 2010. Euro 19)
P. S.: “Mörikes Schlüsselbein” wird das nächste Buch von Olga Martynova heißen, auf das man schon sehr gespannt sein darf. Es wird im nächsten Frühjahr erscheinen. Mit der Lesung eines Kapitels daraus (“Ich werde sagen: ‘Hi’) gewann sie im Sommer den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.

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Foto: Wiebke Haag

Exkurs. Eine kleine Hinwegführung von den rein erzählerischen Werken, hin zu einem sehr empfehlenswerten Essay-Band des bisher vorwiegend als Übersetzer bekannten Joachim Kalka. Seine zugleich leichtfüßigen und dichten Arbeiten sind in “Die Katze, der Regen, das Totenreich. Ehrfurchtsnotizen” versammelt. Ein Titel der bewusst gewählt wurde und bereits einiges über den Inhalt verrät ohne auch nur andeuten zu können, wie komplex die einzelnen Stichworte und Themen abgehandelt werden. Großartige Kabinettstückchen. Eine Liebeserklärung an Bücher, Geschichten und Dichter. Hier schwadroniert ein im besten Sinne chronisch Lesewütiger, ein kenntnisreicher Literat und für jene gleich mit, die wie er, vom Lesen nicht lassen. Das ideale Geschenk für Menschen, die auf dem Fundament einer soliden Allgemeinbildung stehen. (Berenberg, 2012. Euro 20)

Krimi 1. Noch einmal zurück nach Russland. Zu den führenden Kriminalschriftstellerinnen des Landes gehört seit etlichen Jahren Polina Daschkova, von der bereits zahlreiche Werke in deutscher Übersetzung vorliegen. Das neueste trägt den etwas allerweltlichen Titel “Bis in alle Ewigkeit.” Darin soll eine junge Biologin an einem internationalen Forschungsprojekt auf Sylt mitarbeiten. Sie merkt bald, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Auch der kürzliche Tod ihres Vaters scheint dabei eine Rolle zu spielen. Daschkovas Stärken sind neben dem gekonnten Aufbau sehr spannender, breit angelegter Geschichten, die Schilderung glaubhafter Figuren, mit ihren Schicksalen, ihrem Alltag. Die meist ausführlichen Biographien werden geschickt in die Handlungsabläufe eingewoben und wir erfahren durch sie einiges über das Leben der Menschen im Russland unserer Zeit. Für Krimileser, die mehr als Mord und Totschlag wollen. (Aufbau Taschenbuch, 2012. Euro 10,99)

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Foto: Jan Haag

Krimi 2. Der neue Dühnfort erscheint Ende der Woche! Nichts gegen die fabelhaft tapfere Nele Neuhaus. Obwohl für meinen Geschmack die Zahl der Handlungsfäden in ihren Büchern etwas zu hoch ist – die Frau schreibt Klasse. Doch mein liebster deutscher Ermittler ist derzeit der Kommissar Dühnfort, dessen Erlebnisse die Münchner Schriftstellerin Inge Löhnig ersinnt. Ihr neuer Roman heißt “Verflucht seist Du”, ist der inzwischen fünfte, und die Entstehung des Buches wurde von einer großen Fangemeinde das ganze Jahr über auf Facebook mit großer Spannung verfolgt. So ist auch die Zahl der Vorbestellungen im Buchhandel bereits beträchtlich. Die bisherigen Bände überraschten und überzeugten mit ihren stimmigen, realitätsnahen Plots, dem hohen Spannungsfaktor und lebensechten Figuren. Dazu kommen wiedererkennbare Lokalitäten in und um München herum, ohne dass dabei einer der vielen nicht immer leicht erträglichen Provinz-Krimis herauskommt. Das hat vielmehr wirklich Stil, wie ihn auch die Hauptfigur, ein wählerischer Espresso- und Weißwein-Trinker, repräsentiert. Die nicht immer geradlinig verlaufenden Entwicklungen der wichtigsten Mitwirkenden sind mindestens so interessant wie die eigentliche Krimihandlung. Für alle, die immer noch nicht glauben wollen, dass es auch tolle Deutsch schreibende “Crime-Ladies” gibt. (List Taschenbuch, 14. Dezember 2012. Euro 9,99)

Krimi 3. “Denn die Gier wird euch verderben”. So pseudo-alttestamentarisch heißt die neueste Geschichte aus dem nordischen Mordloch Kiruna. Ein durchaus exotischer Schauplatz, den die schwedische Autorin Asa Larsson für sich entdeckt hat. Ihre Staatsanwältin Rebecka Martinsson macht sich einmal mehr auf, den zahlreichen verbrecherischen Spuren im Provinzsumpf zu folgen. Auf der Suche nach Mörder oder Mörderin stößt sie auf Geheimnisse deren Ursprünge bis ins Jahr 1914 zurückreichen, gerät in höchste Kreise und natürlich auch wieder in ebensolche Gefahren. Schmackhafte Krimi-Kost, angereichert mit einer Portion Gesellschaftskritik und gewürzt mit einer Prise Gewalt. Für Freunde der hohen skandinavischen Verbrechensrate eine gern genommene Neuerscheinung. (C. Bertelsmann, 2012. Euro 19,99)

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Eine musikalische Zugabe. “Passe passe le temps il n’y en a plus pour très longtemps.” Eben. Nur graugruftige Überbleibsel wie ich werden sich noch an dieses oder andere Chansons eines bärtigen, großgewachsenen Herrn erinnern. An die Chansons von hauchzarter, schlichtstarker Ausdruckskraft des großartigen, inzwischen schwer in die Jahre gekommenen, George Moustaki. Le Métèque. Ma Liberté. En Mediterranée. Ein Hauch mediteranes Lebensgefühl ist es auch, die diese einfachen, aber eindringlichen Lieder in den kalten deutschen Winter bringen. Marina Rossell hat 12 Moustaki-Titel wiederbelebt und singt sie mit kräftigem klarem Alt und in katalanischer Sprache. Das klingt wunderschön, vertraut und neu zugleich. Beim Titel “Màrmara” haucht auch noch der alte Meister selbst mit. Geschenkeignung: 45 plus undoder ausgesprochene Liebhaber der katalanischen Sprache (wer sie beherrscht kann mitsingen!). (“Marina Rossell canta Moustaki”, beim Label “world village” von harmonia mundi)

Die letzten ihrer Art

„Ums Buch ist mir nicht bange. / Das Buch hält sich noch lange.“ (Robert Gernhardt)

„Man macht sich gelegentlich über die jetzige Überproduktion an Büchern in unserem kleinen Lande lustig. Aber wenn ich noch etwas jünger und noch bei Kräften wäre, würde ich heute nichts anderes tun, als Bücher herausgeben und verlegen.“ (Hermann Hesse, 1930) (1)

Selbst der Leser von Kioskheftchen gehört nicht zu einer Mehrheit, sondern immer noch zu der kleinen elitären Minderheit von Lesern. (Peter Bichsel) (2)

Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse) (1)

Wir Verleger glauben eben fest daran, daß dieses stille Aschenputtel Buch seine Stimme zu Gehör bringen, eine Nische finden kann (und muß!) in unserer stürmischen, immer lauter werdenden Welt der Medien. (Klaus Wagenbach) (2)

Für den Wert, den ein Buch für mich haben kann, kommt seine Berühmtheit und Beliebtheit so gut wie gar nicht in Betracht. (Hermann Hesse) (1)

Eingang zu einem Hinterhof mit ehemaligen Werkstätten, in denen sich, neben anderen kleinen Geschäften, auch die Kinderbuchhandlung „Serifee“ befindet. (Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße)

(1) Hesse, Hermann: Magie des Buches. – Suhrkamp, 1970

(2) Wagenbach, Klaus (Hrsg.): Wieso Bücher? – Wagenbach, 1995