Kurzgeschichten des rumänischen Autors Florin Iaru.
So geht short story. In 53 Erzählungen demonstriert der rumänische Schriftsteller auf meist nur wenigen Druckseiten was echte Kurzprosa kann. Die grünen Brüste (Im Original: Sînii verzi, erschienen 2017) ist sein dritter Band mit Arbeiten dieser Form, der erste in deutscher Übersetzung. Erschienen ist das Buch im Ulmer Verlag danube books. Den farbigen Schutzumschlag mit seinen anspielungsreichen Motiven hat der Ulmer Künstler und Autor Florian L. Arnold entworfen.
Immer wieder geht es in Iarus Geschichten um das Verhältnis der Geschlechter, um Spannungen, Missverständnisse zwischen Mann und Frau, um nicht selten unrealistische, gegenseitige Erwartungen. Dankbaren und umfangreichen Erzählstoff bietet das Feld des Alltäglichen, des allzu Menschlichen. Seine Darstellungen sind humorvoll, hinterhältig, zugespitzt. Er spielt geschickt mit dramatischen Steigerungen, flunkert gerne spitzbübisch und entzaubert doppelbödig die eine oder andere sicher geglaubte Gewissheit. Das ist oft skurril und witzig, manchmal prall und drastisch, gerne auch frivol, verträumt oder tragisch. Immer jedoch pointiert, mit originellen Sichtweisen, scharfen Beobachtungen und überraschenden Wendungen.
Wie in der Story Der Blitz aus heiterem Himmel. In der wir teilhaben am Abnützungskrieg eines kleinbürgerlichen Ehepaars mit zwei Kindern. Die Kinder laufen eher am Rande mit, erwünscht sind sie wohl längst nicht mehr. Die Partner schwanken zwischen kurzen Phasen des Einvernehmens und Eskalationen, die unversehens in Hass und Ablehnung umschlagen. Die Schlusssätze deuten eine Konsequenz an die eigentlich vorhersehbar war und dennoch unerwartet kommt. Mit keinem Wort zuviel ist das vortrefflich auf den Punkt geschrieben.
Dank einer einfühlsamen und sicheren Übersetzung ist davon auszugehen, dass Ton und Intention des Verfassers in der deutschen Übertragung stimmig wiederzufinden sind. Manuela Klenke wurde 1984 in Cluj-Napoca geboren, lebt jetzt in Osnabrück und arbeitet als Übersetzerin aus dem Rumänischen. Ihre erste literarische Übersetzung war der viel beachtete Roman Null Komma Irgendwas (Interior zero) von Lavinia Branişte, der im mikrotext Verlag erschienen ist. Bei Manuela Klenke waltet nicht unter wirtschaftlichem Druck gepfuschte Oberflächlichkeit, wie wir es aus vielen Übersetzungen englischsprachiger Massenware kennen. Sie leistet mit Sorgfalt, wortforschender Geduld, Satz für Satz, Absatz für Absatz, akribische Arbeit.
Bei der titelgebenden Erzählung handelt es sich um Stoff aus der gegenwärtig sehr beliebten Kategorie Coming-of-Age. Sie zeigt deutlich und exemplarisch Iarus prägnante Ausdruckskraft. Lakonisch und präzise gelingt ihm die erzählerische Verdichtung ohne jede Oberflächlichkeit. Es geht um den fast unerträglichen Leidensdruck eines 15-jährigen Mädchens, das, nicht untypisch für die Altersgruppe, mit ihrer körperlichen Erscheinung unzufrieden ist. Sie fühlt sich von der Natur vernachlässigt, sieht sich als hässliches Entlein dem ein Mauerblümchen-Schicksal droht. Vor allem ist es Adelas unterentwickelte Oberweite, wie sie vergleichend feststellt, die sie in Verzweiflung und Depression stürzt. Zu allem Übel muss sie schmerzlich erfahren, dass Dillkompressen das Brustwachstum keineswegs fördern, sondern die jungen Knospen lediglich nachhaltig grün färben. Die Geschichte nimmt schließlich ein sehr versöhnliches Ende. (Natürlich hat mir persönlich besonders gefallen, dass Adela Lesetherapie zur Linderung ihres quälenden Seelenzustandes einsetzt.)
Florin Iaru, mit bürgerlichem Namen Florin Râpă, wurde 1954 in Bukarest geboren und gehört seit vielen Jahren zu den etablierten Autoren Rumäniens. Er arbeitete unter anderem für das rumänische Fernsehen und ist als Redakteur und Herausgeber von Zeitschriften tätig. Sein literarisches Debüt im Jahre 1981 trägt den Titel Cântece de trecut strada (Lieder zum Überqueren der Straße). Neben Bänden mit Erzählungen und Gedichten hat er Lyrik und Prosa in verschiedenen Anthologien veröffentlicht. Gedichte von Florin Iaru wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Was fehlt? Vielleicht ein Vor- oder Nachwort das uns deutschen Lesern hilft den Autor innerhalb der rumänischen Literatur einzuordnen. Ergänzend zum Hinweis des Verlags, dass Iarus Geschichten gesellschaftskritische Themen aufgreifen, hätte man sich Angaben zur Entstehungszeit gewünscht. Das vorliegende Buch mit den 53 Kurzgeschichten enthält zusätzlich einen Teil mit dem Titel Erinnerungen. Drei Texte von denen es interessant zu wissen wäre, was es damit auf sich hat und wie autobiographisch sie einzuschätzen sind.
Die Kurzgeschichten von Florin Iaru in der Sammlung Die grünen Brüste sind durchweg fesselnde, lohnende Lektüre, die sich übrigens hervorragend für etwas eignet, das (zumindest unter Erwachsenen) etwas aus der Mode gekommen ist: Zum Vorlesen, gegenseitig, wechselseitig – in lauschiger Atmosphäre ein unterhaltsames Vergnügen.
Common Ground. Literatur aus Südosteuropa heißt einer der Themenschwerpunkte der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Eine gute Idee, ein anderer Blickwinkel und notwendige Alternative zum meist westlich, an der angloamerikanischen Dominanz orientierten Mainstream. Das Verlagsprogramm von danube books spiegelt die kulturelle Vielfalt der Donauländer, Veröffentlichungen aus dem Südosten Europas stehen im Zentrum des Angebots. In Leipzig sind Titel dieses ambitionierten Programms an den Ständen der Slowakischen Literaturagentur SLOLIA und des Rumänischen Kulturinstituts zu finden.
Florin Iaru wird nicht nach Leipzig kommen. Wer ihn zusammen mit seiner Übersetzerin Manuela Klenke erleben möchte, hat im Mai zweimal dazu Gelegenheit: Am 6. Mai in Osnabrück in der Buchhandlung zur Heide und am 8. Mai in Erfurt im Kulturhaus Dacheröden. Das Radioprogramm Ö 1 des Österreichischen Rundfunks (ORF) bringt in seiner Reihe Radiogeschichten einen Beitrag über Die grünen Brüste und den Autor Florin Iaru. Am 23. April 2020, 11:05 Uhr, Titel: Vom Absurden im Normalen.
Iaru, Florin: Die grünen Brüste. Erzählungen. Aus dem Rumänischen übersetzt von Manuela Klenke. – danube books, 2020