Wie Blüten gehn Gedanken auf, / Hundert an jedem Tag – / Laß blühen! laß dem Ding den Lauf! / Frag nicht nach dem Ertrag. (*)
Im Neu-Ulmer Glacis steht jetzt eine Hesse-Bank.
Das Glacis ist ursprünglich eine Wehranlage, geplant und gedacht, die Stadt vor feindlichen Eindringlingen zu bewahren. Der Erdwall des Neu-Ulmer Glacis wird von einer dicken hohen Mauer getragen, die einst Teil einer Bundesfestung war. Erbaut wurde das Ensemble Mitte des 19. Jahrhunderts, und als es im 20. Jahrhundert ernst wurde mit den kriegerischen Auseinandersetzungen, stand sie wehr- und nutzlos im Weg, der modernen Vernichtungsmaschinerie hatte sie nichts entgegenzusetzen. Große Teile des Mauerwerks blieben erhalten und stehen bis heute.
Das Vorfeld der Anlage besteht aus einer mäßig breiten, jedoch kilometerlangen Grünanlage, sowie vielfältigem, teils sehr altem Baumbestand. Im Lauf der Jahrzehnte entwickelte sich das Gebiet zu einem Stadtpark am südlichen Rand der Neu-Ulmer Kernstadt. 1980 wurde der westliche Teil im Zuge einer bayerischen Landesgartenschau zum attraktiven Naherholungsgebiet aufgewertet. Auf gepflegten Wegen kann man bei entspannten Spaziergängen die Gedanken schweifen lassen, die Kinder vergnügen sich auf großen Spielplätzen oder mit Wasserspielen. In sommerlichen, hoffentlich bald wieder pandemiefreien Monaten, bietet die Freilichtbühne buntes Programm und ein großer Biergarten lädt ein.
Alle paar Meter gibt es Bänke zum Verweilen. Eine davon ist die Hesse-Bank. Sie steht unter den ausladenden Ästen eines Baumgreises an seichtbrackigem Gewässer etwa in der Mitte des Parks. Die Rückenlehne der Hesse-Bank besteht aus einer Plexiglas geschützten Tafel, die zur Sitzfläche hin Zitate und Gedichte von Hermann Hesse präsentiert.

Nicht alle Passanten interessieren sich dafür. Andere bleiben stehen, lesen, sinnieren, nehmen dann für kurz oder etwas länger Platz, genießen das Grün rundum und lassen sich die Zeilen des Dichters durch den Kopf gehen. Manchmal wird vielleicht etwas hängenbleiben vom Gelesenen, mitgenommen werden auf den Weg, sich im Kopf festsetzen wie ein Ohrwurm:
Daß du bei mir magst weilen, / Wo doch mein Leben dunkel ist / Und draußen Sterne eilen / Und alles voll Gefunkel ist … Die erste Strophe des Gedichts Für Ninon, Hesses dritter Ehefrau und wichtigem Lebensmenschen in der zweiten Lebenshälfte.
Regen ist ein anderes Gedicht überschrieben, das Lebenseinsicht transportiert und mit Naturbetrachtung beginnt: Lauer Regen, Sommerregen / Rauscht von Büschen, rauscht von Bäumen. / O wie gut und voller Segen, / Einmal wieder satt zu träumen!
Und Hesses Aphorismen können durchaus Anlass zu intensiver Selbsterforschung sein: Nichts auf der Welt ist dem Menschen mehr zuwider, als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt!
Hermann Hesse war oft in Ulm zu Besuch. Vielleicht hat ihn auch einmal ein Spaziergang nach Neu-Ulm geführt. Er hatte auf jeden Fall Verbindungen in die Stadt. Sein „japanischer Vetter“, der Japanologe Wilhelm Gundert (1880 – 1971), verbrachte die letzten 15 Lebensjahre in der Neu-Ulmer Schießhausallee. Zwischen Hermann und Wilhelm gab es einen regen Briefwechsel. Das Ehepaar Gundert war zu Besuch bei Hesses im Tessiner Montagnola und Ninon war nach dem Tod ihres Mannes zu Gast in Neu-Ulm. Brieflichen Kontakt hatte Hermann Hesse auch zu der zweiten Tochter Eduard Mörikes. Fanny war mit dem Uhrmacher Georg Hildebrand verheiratet; das Paar wohnte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Neu-Ulmer Blumenstraße.

Es ist eine großartige Idee, eine Parkbank einer Dichterin, einem Dichter zu widmen. In Neu-Ulm muss es ja nicht bei dieser einen bleiben. Ein Weg der Poesie durch das Glacis ist eine schöne Vorstellung.
(*) Die zitierten Verse sind aus dem Gedicht Voll Blüten
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Hesse, Hermann: Ausgewählte Werke. Sechster Band. – Frankfurt am Main, 1994
Haag, Jan; Köhler, Bernd Michael: Seien Sie gegrüßt, liebe Freunde in Ulm. Hermann Hesse und die schwäbische Donaustadt. – Ulm, 2018