Massimo Capaul ermittelt

Die Engadin-Krimis Gian Maria Calonders

Die kriminelle Kartierung Europas ist bereits weit vorangeschritten. Ganz besonders dicht in Skandinavien und England, Italien und Frankreich folgen mit geringem Abstand, Österreich ist etwas stärker abgedeckt als die Schweiz. Deutschland liebt es ohnehin regional. Dünner wird es, wenn wir nach Osten blicken; wer kennt schon Kriminalromane, die in Polen oder Tschechien spielen? Vielleicht besteht hier einfach ein Übersetzungsdefizit, möglich wäre zudem, dass Verleger und Leser gleichermaßen an einer Blickhemmung leiden, wenn es um Kulturimporte von unseren östlichen Nachbarn geht, jenem Stück Europa, das immerhin bis zum Ural reicht.

Umso erfreulicher die Entdeckung, dass ein weißer Fleck im Herzen des Kontinents sich blutrot zu färben beginnt. Gian Maria Calonder verfasst Spannungsliteratur, die das höchstgelegene besiedelte Gebiet der Alpen zur Kulisse hat. Lange mussten wir warten, nun sind sie da: Krimis, die im Engadin spielen. Zwischen Scoul und St. Moritz, bei Zuoz und in Samedan, dem Standort der fiktiven Polizeidirektion.

Wo die Berge hoch sind, die Gipfel in den Himmel reichen, sind die Täler tief, findet sich manch jäher Abgrund – nicht nur topographisch, sondern ebenso metaphorisch, und davon erzählt Calonder in seinen Kriminalromanen. Von den Tiefpunkten der Moral, der Brüchigkeit gutbürgerlicher Fassaden, von unguten politisch-wirtschaftlichen Abhängigkeiten.

Massimo Capaul, der mehr aus Verlegenheit und mangels Alternativen zum Polizisten wurde, tritt seine erste Stelle im schönen Engadin an. Die ungewohnte Höhe verschafft ihm Kopfschmerzen. Sein ungewohnter Spürsinn für nur schwer erkennbare kriminelle Aktivitäten, seine Bereitschaft dort, wo andere schnell wegschauen, genauer nachzusehen, bereitet seinen Vorgesetzten und Kollegen Kopfzerbrechen. Der neue Kollege macht sich schnell unbeliebt, indem er Dinge vermutet und aufdeckt, die andere nicht sehen und vor allem nicht sehen wollen.

Folgerichtig heißt der erste Band der Krimireihe rund um einen Polizisten, dessen Stärke darin liegt, dass er unterschätzt wird, Engadiner Abgründe. Massimo Capaul kommt an seinen neuen Arbeitsplatz, bezieht ein provisorisches Quartier, und ist schneller als er wahrhaben will, in Intrigen und Machenschaften der etablierten Dorfgemeinschaften verwickelt. Nur schwer ist die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, schwer ist es, gegen gängige Gewohnheiten der Vertuschung zur Wahrheit vorzudringen. Doch Mord ist Mord. Und Stück für Stück setzt sich Capaul mit seinem Drang zur Genauigkeit und zur Wahrheit durch. Beliebter wird er dadurch nicht.

Die Suche nach einer dauerhaften Bleibe ist ein Problem für alle Zugezogenen. Mietangebote sind rar und teuer. Die immer wieder neuen, nur bedingt erfolgreichen, Anläufe des Außenseiters ziehen sich als eine Art Running Gag durch die bisher erschienenen drei Romane. Auf die Abgründe folgte Endstation Engadin. Hier steht die Rhätische Bahn mit ihren spektakulären Strecken im Mittelpunkt des natürlich nur scheinbar verworrenen Geschehens. Capaul sorgt alsbald für Durchblick. War der Unfall eines Tunnelarbeiters möglicherweise Mord? Und welche Rolle spielt das ebenso esoterische wie erotische Fräulein Nietzsche, das sein Sommerquartier in der Nähe der Bahnstrecke aufgeschlagen hat?

Im dritten Band – Engadiner Hochjagd – sorgt ein Wärmeeinbruch im November für nervöse Unruhe unter Mensch und Natur im Schweizer Hochland. Unter den Trümmern eines Bergsturzes wird die Leiche eines Dorfbewohners vermutet. Dann geschieht ein angeblicher Jagdunfall. Auch in diesem Buch steht die Aufklärung einer kriminellen Straftat nicht allein im Mittelpunkt. War es im zweiten Band die weltberühmte Bahnstrecke, ist es nun die grandiose Natur rund um die kleinen Siedlungen entlang des jungen Inn. Stimmungsvoll und detailgenau geschildert von Gian Maria Calonder. Wenn man die Handlungsverläufe und -orte auf Google Maps und Google Earth nachverfolgt, erkennt man, mit welcher Genauigkeit der Autor hier seine Schilderungen platziert.

Gian Maria Calonder ist das Pseudonym des Schriftstellers Tim Krohn, der sich mit seinen Büchern in der Schweiz schon länger einer gewissen Popularität erfreut. Seine Capaul-Reihe konnte dort Spitzenplätze in den Bestsellerlisten erreichen, in Deutschland ist sie bisher noch wenig bekannt. Die Krimis erscheinen im Zürcher Kampa-Verlag, der neuerdings mit einer umfangreichen Serie um den frankokanadischen Ermittler Gamache und dessen Erfinderin Louise Penny für gute Verkaufszahlen auch auf dem deutschen Buchmarkt sorgt. Das breit aufgestellte Verlagshaus gibt übrigens die Werke der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk heraus und tat dies bereits lange bevor diese durch die Auszeichnung einem breiteren Publikum bekannt wurde. (Und derzeit erscheint Band für Band einer Gesamtausgabe der Werke Georges Simenons.)

Calonder, Gian Maria: Engadiner Abgründe. Ein Mord für Massimo Capaul. Zürich: Kampa, 2018

Calonder, Gian Maria: Endstation Engadin. Ein Mord für Massimo Capaul. – Zürich: Kampa, 2019

Calonder, Gian Maria: Engadiner Hochjagd. Ein Mord für Massimo Capaul. – Zürich: Kampa, 2020

“Leipzig liest.” – Ein Vorbericht

Fakten. Seit 20 Jahren gibt es inzwischen das große Lese-Festival parallel zur alljährlichen Buchmesse. Es findet nicht nur in den Messehallen, sondern auch und vor allem in ganz Leipzig statt, und längst ist daraus Europas größtes Lesefest geworden: Vier Tage, über 2000 Veranstaltungen, mehr als 1500 Autoren und Autorinnen. Sie treten an 300 unterschiedlichen Veranstaltungsorten auf, lesen aus ihren Werken,  diskutieren auf Podien, stellen sich den Fragen der interessierten Öffentlichkeit. Baumwollspinnerei, Clownmuseum, Gerichtsgebäude, Schwimmbad und Klärwerk sind nur einige der kuriosen Einrichtungen an denen gelesen und in der Regel sehr intensiv zugehört wird.

Das war Ich. Bio boomt. Nein, nicht das eichelfressende, freilaufende Schnitzel, nicht der biodramatisch erzeugte Kohlrabi und auch nicht der Stoff der treibt. Bio im Wortschatz von Verlegern und Buchhändlern meint in einem weitem Sinne und in gedruckter Form alles Biographische. Ob alt, ob jung, inzwischen sind es allzuviele bekannte und weniger bekannte, bedeutende und weniger bedeutende Persönlichkeiten und Persönchen, die glauben schon so viel Leben und Erlebtes hinter sich zu haben, dass es sich lohnt darüber zu schreiben – oder schreiben zu lassen. Ob Eckart Lohse und Markus Werner mit ihrer leicht überholten, aber gut verkäuflichen Guttenberg-Nachdichtung, Veronica Ferres, die plötzlich feststellt “Kinder sind unser Leben”, Jürgen Todenhöfer mit der uneigennützigen Aufforderung “Teile dein Glück”, die blonde Bikini-Entwerferin Sony Kraus, die mit Zitronen handelt, der kölsch nuschelnde Wolfgang Niedecken, der uns von seiner Kindheit erzählen möchte oder der alterskluge Alfred Grosser mit einer Lebensbilanz – die angereiste Prominenz, all die Menschen, die man aus TV und Presse-Erzeugnissen zu kennen glaubt, verschaffen manchem Verlag und mancher Buchhandlung einen Zulauf, der nicht selten die vorhandenen Kapazitäten deutlich übersteigt. Die Veranstalter können sich jedenfalls darüber freuen, dass auch und gerade solche massenwirksamen  Ereignisse zu immer neuen Rekorden bei den Besucherzahlen beitragen.

Lyrik. Freunde gereimter und ungereimter Poesie kommen bei „Leipzig liest“ allemal auf ihre Kosten. Die Wahl wird schwer fallen, denn das Angebot ist reichhaltig und bunt. Lyrik-Veranstaltungen gibt es u. a. wieder im Gohliser Schlösschen, bei der traditionellen „Lyrik im Schlösschen“. Am 17. März um 17.30 Uhr wird dort die Lyrik-Session der Leipziger Buchmesse 2011 mit Klaus-P. Anders, Helmut Braun, Wulf Kirsten, Reiner Kunze und Richard Pietraß eröffnet. – „Teil der Bewegung. Lyriknacht an Musik.“, lautet der Titel einer abendfüllenden Veranstaltung in der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Unter musikalischer Begleitung von Kat Frankie stellen Vertreter der neuen Lyrik ihre aktuellen Gedichtbände vor. Am 19. März ab 20 Uhr lesen in der Hochschule neben vielen anderen: Mary Jo Bang aus den USA, der Luxemburger Jean Krier, die Berlinerin Ulrike Almut Sandig und Mathias Traxler.

Krimi. Immer stärker in den Vordergrund tritt die deutsche Autorin Elisabeth Hermann, deren bisherigen Romane ebenso Berlin zum Schauplatz haben, wie ihr neuestes Buch, das sie auf der Messe vorstellt. “Zeugin der Toten” ist eine spannende Geschichte, mit origineller Hauptfigur und aktuellem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Es ist bei List als Hardcover erschienen; frühere Titel sind durchweg als Taschenbuch erhältlich. Ihr erster Roman „Das Kindermädchen“ wird zur Zeit mit Jan Josef Liefers in einer der Hauptrollen verfilmt. – Viele gute Krimis kommen ja bekanntlich aus den nordischen Ländern. Ganz neu in der Szene ist der norwegische Tenor, Schauspieler, Komponist und jetzt auch Autor, Øystein Wiik. Er bleibt bei seinen Leisten und siedelt sein erstes Buch im Opern-Milieu an: Die Hinrichtung in Tosca endet für den Star-Sänger tatsächlich tödlich, woraufhin Opernkritiker Hartmann recherchiert und sich damit in allerhand Kalamitäten bringt. Der Titel erscheint bei dtv und kommt erst am 1. April auf den Markt – kein Scherz! Øystein kann man aber bereits am 18. März um 13.30 im Nordischen Forum erleben. Ob er liest oder singt oder beides, ist (noch) nicht bekannt.

(Quelle: Leipziger Messe)

Der Norden. Gleich weiter mit einer Erzählerin und einer Poetin aus der ausgesprochen farbigen und breiten literarischen Szene Skandinaviens. Eine Statistik will wissen, dass jeder dritte Isländer im Laufe seines Lebens ein Buch schreibt. Der neue Roman der erfolgreichen isländischen Autorin Kristin Marja Baldursdottir erscheint leider erst im Herbst, dann ist Island bekanntlich Gastland der Frankfurter Buchmesse. In Leipzig gewährt die Schriftstellerin aber schon einmal einen kleinen Einblick und liest aus ihren bisherigen Werken. Auf Deutsch erschienen zuletzt “Möwengelächter” und “Hinter fremden Türen” – beide Titel sind als Taschenbuch zu haben. Reizvoll und ganz besonders sind die Texte der samischen Lyrikerin Inger-Mari Aikio-Arianaick, vor allem wenn sie diese selbst und in ihrer Muttersprache vorträgt. Sie stammt aus finnisch Lappland und ist am 18. März um 11.30 im Nordischen Forum zu Gast. Auf Deutsch gibt es von ihr den Titel “Lebensrad”, der 2009 im Wiener Verlag Timar erschienen ist.

Aufs Ohr. Der postbürgerliche Mensch putzt selbst, kocht selbst und macht auch als Heimwerker jederzeit “sein Ding”. Da ist es nur recht und billig, dass man nicht auch noch selbst lesen will. Wir lassen lesen! Und im Ernst: Gute Texte, ob klassisch oder neuzeitlich, von schönen geschulten Stimmen gelesen – das hat schon was. Nicht selten erlebt man bekannte Werke dann noch einmal ganz anders als beim eigenen Lesen und im individuellen Kopf-Kino. Das Hörbuch ist in Leipzig tradtionell besonders stark vertreten. Und natürlich ist auch der Hörbuchbereich gegenüber den Vorjahren wieder gewachsen. Mehr als 120 Aussteller, über 100 Veranstaltungen, sowie eine Präsentation der ARD-Rundfunkanstalten. Zudem und erstmals in diesem Jahr, ein ganz neues Forum für das Hörspiel: Die „Hörspiel-Arena“.

Halle. Ausnahmsweise nicht Glas- oder Messehalle, sondern Halle an der Saale, die Nachbar-Großstadt von Leipzig, in Sachsen-Anhalt gelegen und nur wenige Kilometer Luftlinie vom Leipziger Messegelände entfernt. “Wir lesen mit:” heißt das trotzige Motto der Händelstadt. Die Veranstaltungen gehen hier von Sonntag 13.3. bis Samstag 19.3. und dabei sind u. a. Clemens Meyer, Angela Krauß und John Lennon. John Lennon am Samstag-Abend im Hallensischen “Beatles Museum” und zwar “in seiner eigenen Schreibe.” Wer dort war, möge doch bitte Nachricht geben von der Erscheinung.

Leipziger Nächte. Zurück an Weiße Elster und Pleiße. Allseits sehr beliebt ist die jährliche “Lange Leipziger Lesenacht” in der malerisch unterirdischen Moritzbastei. Diesmal schon am Donnerstag, 17. März. Und damit auch Leipziger Nächte wirklich lang sind, beginnt die Veranstaltung schon um 19 Uhr. Mit dabei Jens Eisel, Claudia Klischat, Nils Mohl, Selim Özdogan, Donata Rigg, Ulrike Almut Sandit, Clemens J. Setz und die berühmten vielen anderen. Für Musik sorgt “watching me fall”. Allzutief geht das in dem Festungsgemäuer allerdings nicht mehr, an dessen Wiederherstellung und Ausbau zum Studentenclub dereinst eine deutsche Bundeskanzlerin als “Baustudentin”, wie das in DDR-Deutsch hieß, mitwirkte. Wer danach noch mit Clemens Meyer durch die Laibdscher Barszene gezogen ist, der kommt gerade recht zum “Wake-up Slam” – täglich 10.30 Uhr bei ARTE.

Das alles und noch viel mehr, bei „Leipzig liest.“

Neue Krimi-Autorin aus Schweden

Das maritime Mord-Milieu der Viveca Sten

Es geht gleich saftig los. Mit einem drastisch geschilderten Todesfall. Und man denkt: Wieder so ein Krimi für Hartgekochte, mit detailliertem Morden, Sektionen in Nahaufnahme und anderen Scheußlichkeiten, die häufig begrenzte erzählerische Fähigkeiten wettmachen müssen. Obwohl am Ende drei Opfer zu beklagen sind, haben wir es hier aber dennoch nicht mit reißerischem Stil, der auf billige Effekte setzt, zu tun. Vielmehr bekommen wir neben den eigentlichen Kriminalfällen soviel Landeskunde und authentisches Lokalkolorit, wie selten in einem der zahlreichen, von sogenannten „Crime-Ladies“ verfassten, Schwedenkrimis.

Dieses Buch ist das erste einer Trilogie, deren schwedische Originalausgaben in den Jahren 2008 bis 2010 erschienen sind und die jetzt nach und nach in Deutsch bei Kiepenheuer und Witsch herauskommen. Fast hätte ich jedoch auf Kauf und Lektüre verzichtet. Denn der deutsche Titel „Tödlicher Mittsommer“ ist ein derber Marketing-Fehlgriff, eine unlogische, billig ausschließlich an Kauf-Instinkte appellierende und eher abschreckende Zumutung.

Viveca Sten, eine Stockholmer Juristin, Ehefrau und Mutter, legt ihr erstes belletristisches Werk vor. Es führt uns an Schauplätze, die manchen von uns aus jungen Jahren oder durch Kinder und Enkel schon recht gut bekannt sind – vorausgesetzt sie waren oder sind eifrige Astrid-Lindgren-Leser. Diesmal ist das Geschehen allerdings nicht auf dem idyllischen Saltkrokan angesiedelt, sondern auf einer der größten Schären-Inseln, dem etwa 30 Kilometer vor der Küste in der Ostsee liegenden Sandhamn. Auch in der vielverkauften „Millenium“-Trilogie von Stieg Larsson spielt das Felsen-Eiland eine Rolle. Mikael Blomkvist, die männliche Hauptfigur der Thriller, besitzt dort eine kleine Hütte, in die er sich gerne zum kontemplativen Arbeiten oder ausgedehnten Liebesspielen zurückzieht.

Viveca Sten kennt die Ferien-Insel durch zahlreiche eigene Aufenthalte. Nach der Lektüre ihres Krimis dürfte sich auch jeder der irgendwann einmal selbst diesen Ort besucht, bereits bestens orientieren können. Namen und Lage der schönsten Sehenswürdigkeiten, Gasthäuser und Strände sind geläufig und vertraut. Ebenso die Fährverbindungen vom Festland und zwischen den einzelnen Schärenfelsen, einschließlich Abfahrts- und Ankunftszeiten. Die Autorin erzählt plastisch und detailgetreu. Maritimes Milieu und maritimer Wortschatz („Roringknoten“, „zwei halbe Schläge um die eigene Part“) sind Seite für Seite gegenwärtig. Immer wieder besuchen wir mit ihr den edlen königlich schwedischen Segelclub (KSSS) mit seinen Traditionen, auf konservative Männlichkeit ausgerichteten Ritualen und seinen situierten Mitgliedern aus besten Kreisen.

Die Todesfälle erschüttern das kleine Soziotop und erzeugen ein Klima der Verunsicherung und des Misstrauens. Das gesellschaftliche Gefüge wankt, Wunden der Vergangenheit werden aufgerissen. Der zuständige Polizeibeamte ist Thomas Andreasson von der Dienststelle Nacka. Ein Mann Ende dreißig, der auf vielfältige Weise mit den Menschen der Schären-Welt verbunden ist. Er vergräbt sich gerne in seine Arbeit, da er persönliche, noch nicht allzu lange zurückliegende, Schicksals-Schläge zu verarbeiten hat.

In einer langen Tradition, seit dem Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö, bis zu aktuellen Autorinnen wie Camilla Läckberg und Aasa Larsson, sind gute schwedische Kriminalromane auch spannende Gesellschaftsdramen. Viveca Sten reiht sich hier gekonnt ein.

Neben dem Polizisten Thomas steht das Ehepaar Nora und Henrik Linde im Mittelpunkt der Erzählung. Wie stark sie in die aktuellen Fälle verwickelt sind, bleibt lange offen und ist eines der Spannungselemente des Buches. Kurze Kapitel und häufiger Perspektivenwechsel sorgen zusätzlich für Tempo und Kurzweil.

In der harmonischen Ehe von Nora und Henrik kommt es zu einem Konflikt, der entfernt an die Figur der Nora in Henrik Ibsens „Ein Puppenheim“ erinnert. Allerdings ist die moderne Nora Linde keine verwöhnte Zicke wie die norwegische Namens-Cousine, sondern eine gut ausgebildete und ambitionierte junge Frau, die gerne eine berufliche Chance wahrnehmen möchte. Dabei lernt sie ihren Ehemann plötzlich von einer ihr bis dahin nicht vertrauten, patriarchalisch konservativen Seite kennen.

Die Lösung der Kriminalfälle erweist sich schließlich, wie eben auch manches gesellschaftliche Phänomen, als im wahrsten Sinne zwiespältig. Mehr kann an dieser Stelle nicht verraten werden. Das Buch ist ideale Urlaublektüre und dabei nicht nur für Ostsee-Strände geeignet. Wir sind auf die Fortsetzungen schon sehr gespannt.

Sten, Viveca: Tödlicher Mittsommer (I de lungaste vatten, dt.). – Kiepenheuer und Witsch, 2010. Euro 14,95