„Aus Worten werden Welten“

Mit der festlichen Eröffnungsveranstaltung im Gewandhaus, in deren Mittelpunkt die Verleihung des „Buchpreises zur Europäischen Verständigung“ an den rumänischen Schriftsteller Mircea Cărtărescu steht, startet die Leipziger Buchmesse 2015 und Europas größtes Lesefestival „Leipzig liest“.

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Aus Worten sollen also Welten werden. Im Kopf der Leser. An dieser Verwandlung sind einige Protagonisten beteiligt. Autorinnen und Autoren, Verlage und Content-Anbieter, stationäre Sortimentsbuchhändler ebenso wie allerhand Online-Vertriebskanäle und nicht zuletzt die Besucher jener Welten, die aus Wörtern und Sprache entstanden sind – die Leser.

Zwei große Treffpunkte gibt es in Deutschland für die Beteiligten an diesen Prozessen, im Oktober in Frankfurt am Main und im März in Leipzig. Während in Frankfurt Geschäfts-Abschlüsse und –Anbahnungen, sowie umfangreicher Rechtehandel im Vordergrund stehen ist „Leipzig eine Plattform wo man seine Leser erreicht“, wie es der Sprecher der Geschäftsleitung der Leipziger Messe, Martin Buhl-Wagner, formulierte.

Neben dem bunten Messegetummel von Promi-Auftritten bis Manga-Comic-Convention, vom viel beachteten Auftritt der unabhängigen Verlage bis zu den Aktivitäten rund um die literarische Region Südosteuropa (in Leipzig schon seit mehreren Jahren ein besonderes Anliegen), neben diversen Foren, Lesebühnen, blauen und roten Sofas, spielen in diesem Jahr einige interessante, aktuelle, ja brisante Schwerpunkte eine größere Rolle.

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Meinungsfreiheit, Freiheit der Presse und die Freiheit sich künstlerisch auszudrücken sind bedrohte Güter. Nicht nur in den zurückliegenden Monaten wurde das ebenso eindrucksvoll wie warnend immer wieder demonstriert. „Es wird eine sehr politische Buchmesse“, ist sich Buchmesse-Direktor Oliver Zille deshalb sicher. Meinungsfreiheit und Toleranz sind schließlich zentrale Merkmale einer Veranstaltung wie das Treffen in Sachsens Hauptstadt. Deutlich zu machen, dass diese Grund- und Menschenrechte nicht verhandelbar sind, war nie dringender als jetzt.

Vor fünfzig Jahren nahmen die Bundesrepublik Deutschland und der damals noch junge Staat Israel diplomatische Beziehungen auf. 1965, zwanzig Jahre nach dem Ende des Hitler-Regimes, kein einfacher Vorgang, keine Selbstverständlichkeit. Das Jubiläum ist willkommener Anlass Israel, seine Literatur, seine Schriftsteller und Schriftstellerinnen in diesem Jahr als Ehrengäste auf der Buchmesse zu begrüßen. Amoz Oz, Meir Shalev, Mirjam Pressler und viele andere namhafte und weniger bekannte Autoren werden vor Ort sein.

„1965 bis 2015“. Deutschland – Israel“. Dazu gibt es ein kostenloses E-Book. Neben Leseproben enthält es Hintergrund-Informationen zu den beteiligten Autoren. Seit Mitte Februar ist es über alle gängigen Online-Buchshops erhältlich. Weitere Infos dazu und zum Schwerpunkt Israel gibt es hier: http://goo.gl/Bx98oQ

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Etwa 80.000 Erstauflagen erscheinen Jahr für Jahr auf dem deutschen Buchmarkt. Um die 25.000 werden allein im Vorfeld der Leipziger Buchmesse veröffentlicht, um pünktlich an den Messetagen vorgestellt werden zu können. In den Hallen wird, wie im Vorjahr, mit mindestens 175.000 Besuchern gerechnet. Knapp 5.000 unabhängige Buchhandlungen in Deutschland sind Vermittlungsinstitutionen, die das Kulturgut Buch an Mann und Frau bringen und dabei fundiert auf deren individuelle Interessen eingehen können. Ein wichtiges Instrument um Vielfalt und Qualität auf dem Buchmarkt zu sichern ist die Buchpreisbindung.

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sieht dieses sinnvolle und unverzichtbare Privileg durch das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP = Transatlantic Trade and Investment Partnership) gefährdet und kündigt energischen Widerstand dagegen an. Bekanntermaßen ist es ja nicht nur der Buchhandel der Kampagnen gegen einzelne Bestandteile des auszuhandelnden Vertragswerks gestartet hat. Den billigen Vorwurf des Antiamerikanismus im Zusammenhang mit dieser kritischen Haltung, erklärt Skipis für absurd. Interessanterweise hat Israel vor knapp zwei Jahren eine Preisbindung für Bücher neu eingeführt.

Die Leipziger Buchmesse: In diesem Jahr vom 12. bis zum 15. März.

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Den „Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung“ erhält Mircea Cărtărescu für seine dreiteilige umfangreiche Roman-Chronik, die sogenannte „Orbit-Trilogie“:

Die Wissenden. – Deutsch bei Paul Zsolnay Verlag, 2009

Der Körper. – Paul Zsolnay Verlag, 2011

Die Flügel. – Paul Zsolnay Verlag, 2014

Die beiden ersten Bände liegen bereits als Taschenbücher vor.

Leipziger Begegnungen 2012

Von Menschen und Büchern rund um die Stadt, ihre Buchmesse und “Leipzig liest” – Der erste Teil

Auftakt. Der Marsch der Massen zur Messe. Wie schnell der Rummel-Trummel jeden Morgen hochfährt! Um zehn werden die Schleusen geöffnet und drängend fluten Hunderte die bereits unruhig auf Einlass warteten die lichte hohe Glashalle und die Flure zwischen den Ausstellungsständen. Und schon sitzen auf blauen und roten Sofas morgenfrische oder notdürftig ausgeschlafene Autoren und Autorinnen neben pseudo-wachen Moderatoren, die planmäßig ihre ersten Frage-Stanzen absondern. “Kann man sagen, dass der Stoff Ihres neuen Romans zu Ihnen gefunden hat?”

Zum Messegelände findet man am frühen Morgen am leichtesten mit der im dichten Takt fahrenden Straßenbahnlinie 16. Die Buchmesse ist nun schon seit Jahren am nördlichen Stadtrand zu Hause, deshalb dauert die Fahrt reichlich 20 Minuten. Man verbringt diese Zeit in engstem Kontakt mit erwartungsvollen Menschen, die alle irgendwas mit Büchern oder zumindest buchnahen Dienstleistungen oder Produkten machen, und mit Schülern und Schülerinnen von Leipziger Bildungseinrichtungen mitsamt ihren Lehrerinnen und Lehrern, denen man den Messebesuch in den Tagesplan geschrieben hat und die diese Abwechslung vom Frontal-Unterricht als willkommenen Freiraum nutzen.

Es ist gut wenn man dann schon gefrühstückt hat. Vor der Begegnung mit den literarischen Protagonisten empfiehlt sich der Besuch beim „Brotagonisten“, wie sich die in ganz Leipzig vertretene Bäckerei-Kette Wendl betitelt. Man kann dort an einer “Vollversemmelung” teilnehmen, eine “Wendl-Schleife” genießen, die südlich des Mains auch als “Brezel” bekannt ist, oder man bringt den netten Damen hinter der Theke schonend bei, dass man gerne einen “Knax” hätte. Dazu eine Tasse Heißen vom aromatischen Bohno W. und für unterwegs kommt vielleicht noch der beliebte, nahrhafte “RoggStar” in die Tüte.

In Leipzig wird ab Null Grad Plus im Freien gefrühstückt. Dafür steht allzeit Sitzgarnitur an Sitzgarnitur vor Kneipe, Cafè, Bäckerei und Restaurant. Das gilt ganz besonders für die zwei wichtigsten Straßenzüge der Messestadt: die szenische Karl-Liebknecht-Straße (kurz: Karli) in der Südvorstadt und das enge Barfußgäßchen, stetig überfülltes Zentrum der Fress- und Vergnügungsmeile Drallewatsch im unmittelbaren Stadtkern.

“Ein Rettungsschirm für die Bildung!” – Transparent an einer Leipziger Hochschule.

Bildung. Eine Buchmesse ist lehrreich. Von dem sächsischen Kabarett-Urgestein Gunther Böhnke, der einst zusammen mit Bernd-Lutz Lange das legendäre Duo “academixer” war, erfahren wir “50 einfache Dinge die Sie über Sachsen wissen sollten”. (Westend. Euro 14,99) „Nicht nur, aber vor allem als Appetitmacher auf Sachsen für Nichtsachsen bestens geeignet, amüsant, anekdotisch, regionalstolz, dabei zugleich selbstironisch.“ (Sächsische Zeitung).

Natürlich hatte auch ich mir bis zu diesem Zeitpunkt nie tiefergehende Gedanken über die Papiertüte gemacht. Jetzt wurde mir auf die Sprünge geholfen. Unter anderem auf dem Mephisto-Sofa (Mephisto 97,6 = Universitätsradio Leipzig) ging Alexander Neubacher in aller Breite dem selbstgewählten Thema und den damit aus seiner Sicht verbundenen Vorurteilen auf den Grund. Entgegen allgemeiner Vermutung und Hoffnung hat jenes beliebte alternative Verpackungsmittel nach seinen Recherchen eine extrem negative Ökobilanz. Das und noch viel mehr, will er uns in seinem Buch der “Ökofimmel: Wie wir versuchen, die Welt zu retten – und was wir damit anrichten” weissmachen. (DVA, Euro 19,99). Diese Pseudoerkenntnisse verbreitende, ressourcenverschwendende Wichtigtuerei – als SPIEGEL-Buch erschienen – kann leider nicht in der Ökotonne entsorgt werden, sie gehört auf den Sondermüll.

Und auch das hätte ich nie erfahren, wenn ich mich nicht einmal mehr drei Tage durch Leipzigs Frühjahrbuchmesse geschoben, gelesen und gestaunt hätte: Im Mai 2011 schloss im indischen Mumbai die weltweit letzte Fabrik für mechanische Schreibmaschinen.

Karl May. Der sächsische Gauner und Vollblut-Fabulierer wurde am 25. Februar 1842 in Ernstthal geboren und starb am 30. März 1912 in Radebeul. So ist derzeit also willkommene Gelegenheit sowohl 100. Todestag, als auch 170. Geburtstag des Reise-, Heimat- und Abenteuer-Schriftstellers ausgiebig zu begehen. Einige unentwegte Freunde seiner Werke, von denen es noch sehr viele gibt, haben sich in der Karl-May-Gesellschaft organisiert, die auf der Messe mit einem kleinen Stand vertreten war und mehrere interessante Veranstaltungen einbrachte.

So las der populäre Schauspieler Peter Sodann Mays humorvolle Kurzgeschichte “Die Senfindianer” und anschließend einige Passagen aus dessen Autobiographie “Mein Leben und Streben” (Zenodot, Euro 24,90). Sodann schätzt besonders die humane Grundstimmung bei Karl May, wobei er aber auf die mitschwingenden christlich-missionarischen Töne eher verzichten könnte. Ihm gefallen neben den Abenteuerromen vor allem die Geschichten aus dem Erzgebirge.

Bereits vor etlichen Jahren hatte der Leipziger Schriftsteller Erich Loest (“Völkerschlachtdenkmal”, “Nikolaikirche”) eine Roman-Biographie des immer noch verkaufsstarken Schriftstellers veröffentlicht, die jetzt wieder neu aufgelegt wurde. Aus “Swallow, mein wackerer Mustang” (Mitteldeutscher Verlag, Euro 10) wurde an den Messetagen täglich im Kulturradio MDR Figaro daraus gelesen. Ganz aktuell ist eine neue, wissenschaftlich fundierte May-Biographie von Helmut Schmiedt bei C. H. Beck erschienen: “Karl May: oder die Macht der Phantasie.” (Euro 22,95)

Sodann. Peter Sodann als Tatort-Kommissar inzwischen pensioniert und als Bundespräsidenten-Kandidat der Linken nur mit einem Kurzauftritt, hält mit seinen politischen Vorstellungen ungern hinter dem Berg und nutzte den einen oder anderen Messeauftritt um seine Meinung vor stets zahlreichem Publik zu äußern. Man muss diese im Einzelnen nicht immer teilen, es ist jedoch sehr erfrischend, eine bekannte Persönlichkeit zu erleben, die sich so bescheiden unprominent gibt und auf jede falsche Stromlinienform verzichtet.

Sodann erzählt, dass er wie Karl May aus Ardistan stammt, was als Hinweis auf beider Herkunft aus sprichwörtlich einfachen Verhältnissen verstanden werden soll und schreibt den regierenden Politikern Goethes leicht verständliches “edel sei der Mensch, hilfreich und gut” ins Poesiealbum. Er verfügt über ein reiches Reservoir klassischer Dichtkunst aus der er jederzeit passend zitieren kann. Den vergnügten Menschen vor ihm, die immer wieder heftig applaudieren gibt er dann noch Brecht mit auf den weiteren Messe- und Lebens-Weg: „Reicher Mann und armer Mann // standen da und sahn sich an. // Und der Arme sagte bleich: // »wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«.“

Verfolgung. Bleiben wir noch etwas bei den politischen Momenten der Leipziger Buchmesse, die es trotz allen Unterhaltungs-Überangebotes Jahr für Jahr auch gibt und die mitunter in berechtigte Empörung und originelle Protestformen münden. Natürlich ist die Buchmesse nicht vorrangig als politisches Forum gedacht. Dennoch gibt es Ereignisse und Zustände auf unserem Planeten vor denen man nicht als Mitmensch und schon gar nicht als Künstler die Augen verschließen kann. Deshalb hat der Verband deutscher Schriftsteller eine Aktion gegen Neo-Nazis gestartet. Deshalb setzt sich die Gesellschaft für bedroht Völker für verfolgte Künstler in China ein und tat dies auf der Leipziger Buchmesse mit einer eindruckvollen Aktion und einer Unterschriftensammlung.

Am Ende dieses ersten Teils der „Leipziger Begegnungen 2012“ ein Zitat des verfolgten, vor den Nazis nach Schweden geflohenen Schriftstellers Kurt Tucholsky, über den in diesem Jahr ebenfalls eine neue Biographie von Rolf Hosfeld (Siedler, Euro 21,99) erschienen ist, und dessen Verzweiflung über seine Zeit und Zeitgenossen ihm 1935 nur noch den Ausweg in den Freitod ließ. So radikal deutlich und politisch er sich artikulierten konnte, so zart und liebevoll konnte er gleichzeitig seinen Gefühlen Ausdruck geben. Die Zeilen stammen aus Tucholskys Roman “Schloß Gripsholm” (Diogenes, Euro 7,90):

“…und dann spielten wir das Bücherspiel: Jeder las dem andern abwechselnd einen Satz aus seinem Buch vor, und die Sätze fügten sich schön ineinander.”

Den zweiten Teil der „Leipziger Begegnungen 2012“ gibt es in etwa einer Woche an dieser Stelle. Dann verrate ich auch jene drei Bücher, die ich persönlich in diesem Jahr am interessantesten fand.

Leipziger Buchmesse 2011 – zweite Nachlese

“Hier findet doch irgendeine Lesung statt!?”

Ein hilfesuchender Aufschrei als verständlicher Ausdruck leichter Desorientierung, angesichts eines alle Sinne überfordernden Angebots. Ich habe ihn irgendwo zwischen Messehallen und “Leipzig liest.” aufgeschnappt. Dazu auf =conlibri= nun der zweite Teil literarischer und anderer unsortierter Eindrücke von der diesjährigen Leipziger Buchmesse und dem Lese-Festival “Leipzig liest.” Erneut den ganz persönlichen Spuren des bloggenden Besuchers folgend.

Dittrich. Die Messefrau an sich ist schlank, trägt glänzend halblanges, zwischen braun und rot getöntes Haar, mattschwarzes, bis kurz über die Knie reichendes Kostüm, dazu Stiefel, gerade so hoch, dass die effektvoll giftgrüne Strumpfhose zwischen Stiefelende und Rocksaum gut sichtbar bleibt. Messefrau versucht ständig mit jemand der bedeutend ist, und deshalb nicht allein durch die Hallen und zu seinen Terminen findet, Schritt zu halten. In unserem Beispiel ist es Oliver Michael Dittrich. Besser bekannt als Olli Dittrich. Wir haben ihn nicht sofort erkannt, weil der Messe-Dittrich mit dem Dittsche- oder Musik-Dittrich so wenig gemein hat, wie Messefrau mit Fausts Gretchen.

Auf dem Kopf ist er graumeliert, kurzgeschnitten und akkurat gescheitelt; er ist schlank, groß, hält sich sehr gerade, trägt schwarzen Anzug, klassische Schuhe und eine nagelneue, sehr dicke Brille. Damit sähe er nun besser, sagt er mit geschulter, kräftiger Stimme zu Messefrau. Und da Messefrau “Das freut mich Herr Dittrich” zu Messe-Dittrich sagt, erkennt der Messe-Blogger ihn nun auch. Messe-Bloggers Blicke und Aufmerksamkeit waren zuvor von Messe-Frau etwas abgelenkt. Der Titel den Messe-Dittrich uns auf der Buchmesse nahe legt, heißt übrigens “Das wirklich wahre Leben.” Er ist bei Piper erschienen und kostet 19 Euro 95 Cent. Auch das Messe-Leben ist wahr und wirklich – dicht, prall, manchmal verwirrend und einen Hauch giftgrün.

Schmidt. Schmidt war da ganz anders. Arno Schmidt (1914 – 1979). Arno Schmidt lebte in einem winzigen Haus am Rande eines kleinen Heide-Dörfchens und ging vermutlich nie auf Buchmessen. Er blieb lieber zu Hause, las, forschte, sammelte Zettel und schrieb. Doch genau dieser Arno Schmidt hatte einen eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse. Noch dazu einen ganzen Stand für ein einziges Buch. Die Arno-Schmidt Stiftung, im sandigen Bargfeld zu Hause, hatte auch dieses Jahr wieder eine wunderbare, leicht zeitentrückte Oase inmitten all der Messe-Wucht geschaffen.

Die Standbesatzung widmete sich ganz der Präsentation des großen Hauptwerks ihres Meisters. Die letzten Herbst erschienene Neuausgabe von Arno Schmidts “Zettel’s Traum” war gewichtiger Mittelpunkt dieses Idylls. Der Stand-hafte Schmidt-Kenner und -Interpret Bernd Rauschenbach, resümierte nach der Messe im Fach-Organ “Arno-Schmidt-Mailingliste (ASML)” über den Publikums-Zuspruch: “Erfreulich viel junge Menschen darunter – und ganz erstaunlich viele Frauen (die standen früher eher gelangweilt herum, wenn ihre Männer sich am Stand festlasen). Einige wollten nur mal das sagenumwobene Buch anfassen oder hochheben, aber Etliche verlangten Friedrich Forssman und mir ganze Kurzreferate ab.”

Bild: Arno-Schmidt-Stiftung, Bargfeld

Leipzig. Ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, dass Arno Schmidt jemals in Leipzig war. Aber viele andere Literaten haben sich hier aufgehalten und gearbeitet. Wer auf ihren Spuren durch die sächsische Messe- und Kulturstadt spazieren möchte, der hat jetzt einen praktischen und detaillierten Navigator zur Hand: “Literarisches Leipzig” von Ansgar Bach und unter Mitarbeit von Susanne Zwiener, führt uns an die Wohn- und Wirkungsorte von 80 Dichtern, Gelehrten und Verlegern. Von Bruno Apitz, über Theodor Fontane und Franz Kafka, bis zu Juli Zeh, wandern wir alphabetisch durch das Werk und die Stadt. Das Buch, dem auch ein Stadtplan beigefügt wurde, ist ganz neu im Verlag Jena 1800 erschienen, der erstaunlicherweise in Berlin zu Hause ist, und kostet Euro 12.80.

Lyrik. Wilhelm Bartsch, der in Halle lebt, und den ich bisher nicht kannte, hat “Mitteldeutsche Gedichte” (Mitteldeutscher Verlag, 2010. Euro 16.) veröffentlicht. Wer nun mit provinzieller Tümelei rechnet, liegt falsch. Mitteldeutschland, so wird uns hier durch die poetische Hintertür klar – und eigentlich müssten wir das schon seit Thomas Manns “Doktor Faustus” wissen – , ist kulturgeschichtlich deutsches Kernland. Bartsch wandelt auf “Braunkohlenbaumwipfelpfaden zwischen keltischem Knacklaut und Gnadenstern Luther”, wie er es selbst formulierte. Er verwendet starke, unverbrauchte Bilder, holt historisch weit aus, ohne die soziale Realität der Gegenwart aus dem Auge zu verlieren.

Bartsch ist zudem ein profunder Novalis-Kenner, dem er in dem einen oder anderen Gedicht huldigt. Wie Novalis, versteht auch Bartsch den Leser als erweiterten Autor. Dieser hat das Recht, die Werke der Dichter in seinem Sinne zu interpretieren. Aber eben nur Leser oder Leserin. Lehrern hingegen möchte Bartsch am liebsten verbieten, junge Menschen mit ihren lehrplanmäßigen Unterrichts-Interpretationen der Literatur zu entfremden. “Am Ende ist alle Poesie Übersetzung”, schrieb er einmal, und seinen “Mitteldeutschen Gedichten” stellte er die Worte des Philosophen Wittgenstein voran: “Um in die Tiefe zu steigen, braucht man nicht weit reisen.”

Wilhelm Bartsch bei Mephisto.

Mephisto. Den Dichter Wilhelm Bartsch lernte ich auf dem roten Sofa bei “Mephisto 97.6” kennen. Mephisto ist wirklich wunderbar und seit einigen Jahren Medien-Stammgast in der großen Glashalle während der Leipziger Buchmesse. Das Radio der Universität Leipzig sendet Montag bis Freitag jeweils von 10 bis 12 und 18 bis 20 Uhr im Großraum Leipzig auf der UKW-Frequenz 97,6 MHz. Der Rest der Welt hat bei Interesse Zugang über den Live-Stream im Internet. Der kleine Messestand des Senders hat den Vorteil, dass man hier den Protagonisten der Buchmesse hautnah und in sehr kleinem Rahmen begnegnen kann.

Während sich anderswo dichte Menschentrauben drängen und einem Hören und Sehen schnell vergehen kann, finden sich vor dem roten Sofa oft nur eine Handvoll Kenner ein. Dabei hat Mephisto sie Alle. Ob Buchpreis-Gewinner oder Exkanzler-Sohn, Schauspieler oder Dichter, sie lassen sich ganz offensichtlich sehr gerne von dem gut ausgebildeten Medien-Nachwuchs befragen. Und die angehenden Profis beherrschen ihr Handwerk ohne bereits den gängigen Klischee-Abfragen und Phrasen-Aufsagereien verfallen zu sein. Man darf sehr gespannt sein, was aus Sarah Frühauf, Ben Hänchen und all den anderen einmal wird – wo sie uns in einigen Jahren hoffentlich wieder begegnen werden.

Fazit. Wir schreiben 2011. Das Buch ist noch da. Gedruckt und gebunden, mal handlich, mal schwerwiegend. Allem elektronischen Geblinke zum Trotz. Das Buch ist noch da, und es ist vielfältiger, bunter und manchmal einfältiger als je zuvor. Da gibt es Vaterbücher und Still-Ratgeber, biographische, bekenntnisreiche und erkenntnisarme Bücher, es gibt Bücher für Fitness und für Besinnung, rund um Essen und Trinken, gegen Krebs und gegen Ausländer, Bücher über die Vergangenheit und über die Zukunft. Die Titel heißen “Die Mütter-Mafia und Friends”, “Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, frag nach Salz und Tequila” oder “Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber”, “Kuss mit Soße” oder schlicht “Die Laufmasche”.

Kräftigen Beifall bekam Barbara Conrad als ihr der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung verliehen wurde. Sie hat Tolstois “Krieg und Frieden” neu und zeitgemäß übersetzt. Was für eine Leistung. Doch wer wird das Buch lesen? Und wer wird Jene lesen, die es nicht auf Long- und Short-Lists, nicht ins Programm eines marktstarken Verlages geschafft haben? Die wirklich literarischen Bücher sind ein Nischenprodukt. Das ist heute in jeder Buchhandlung so und das ist auch auf Buchmessen so. In Leipzig sind sie noch am ehesten zu finden: Die kleinen Verlage, die literarischen Sonderlinge, die Buch-Verrückten, die nimmermüden Lese-Existenzen.

Wer wissen möchte, wie Literatur mit Poesie beginnt, und wie sie gelebt werden kann, der sehe sich den Film “Das Schreiben und das Schweigen“ an, den zur Messezeit in Leipzig freundlicher- und passenderweise die Schaubühne ins Programm genommen hatte. Er zeichnet ein filmpoetisches Portrait der Wiener Lyrikerin Friederike Mayröcker. In unseren Lichtspielhäusern ist er eher selten zu finden; man wird ihn aber wohl bald auf DVD kaufen können. Die Bücher Mayröckers und ihres langjährigen Gefährten Ernst Jandl bekommen wir nach wie vor bei den Buchhändlern unseres Vertrauens.

Leipziger Buchmesse 2011 – eine erste Nachlese

„Wir lieben Leipzig!“

Mit diesem Ausruf beendete dtv-Chef Wolfgang Balk die diesjährige Lesenacht seines Verlags im akademixer-Keller und sprach damit sicher nicht nur den Anwesenden aus dem Herzen, sondern den meisten Besuchern von Buchmesse und “Leipzig liest”.

Am Sonntag ging die diesjährige Leipziger Buchmesse zu Ende; nach erneutem Besucherzuwachs nähert sich dieser Frühjahrshöhepunkt wohl endgültig seiner Kapazitätsgrenze. Der Wunsch nach einem Fachbesuchertag wurde deshalb von zahlreichen Buchhändlern und Bibliothekaren, Verlags- und Medienleuten immer wieder geäußert.

Voll. Voller. Leipziger Buchmesse. Gedränge also, und Geschiebe in allen Hallen und Gängen, an Ständen und vor Foren und Bühnen. Kein Durchkommen und dennoch allerorten buntes, oft fröhliches Treiben. Aber auch ernsthafte Diskussionen und hintergründige Gespräche. Medienrummel zudem. Bei =CONLIBRI= nun einige Eindrücke von – überwiegend – literarischen Aspekten des viertägigen Ereignisses. Eine klitzekleine Auswahl nur, zudem ganz den persönlichen Lieben und Vorlieben des bloggenden Besuchers folgend.

Setz. Clemens Johann Setz bekam den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik für seinen Erzählband “Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes.” Das war durchaus überraschend und unterstreicht einmal mehr die mögliche Eigendynamik solcher Preisträger-Findungsprozesse. Nun mag der gewollt originell und verstörend wirkende Titel des Buches ebenso etwas abschrecken wie die dargestellten Gewalt- und Pornowelten; mangelndes Schreib-Talent kann man dem 28-jährigen Autor jedoch nicht unterstellen. In bester östereichischer Jungautoren-Tradition – erinnert sei etwa an Handke oder Bernhard – gab er sich in den Tagen vor der Auszeichnung betont raubeinig, pointenreich provozierend, und verzichtete auch nicht darauf kräftige Seitenhiebe an Kolleginnen und Kollegen des schreibenden Gewerbes zu verteilen. Das änderte sich, als dann der Preisträger von Termin zu Termin gereicht wurde. Er lobte sogar ausdrücklich Wolfgang Herrndorf und dessen Roman “Tschick”, den er mit großem Vergnügen gelesen habe und dessen Verfasser den Preis ebenso verdient hätte. Wolfgang Herrndorf hatte wie Arno Geiger (“Der alte König in seinem Exil”) zu den Favoriten gezählt; er konnte wegen seiner tragischen Erkrankung nicht nach Leipzig kommen.

Bank. Zu meinen ganz persönlichen Favoritinnen gehört schon seit einiger Zeit die Schriftstellerin Zsuzsa Bank, deren Debüt-Roman “Der Schwimmer” vor einigen Jahren großen Eindruck auf mich gemacht hat. Insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten der Autorin, die aus einer ungarischen Familie stammt, aber von Anfang an in Deutsch schrieb, sind bemerkenswert. Man muss sich in den letzten Jahren immer wieder wundern, wie viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller die deutsche Literatur bereichern, die in eine andere Sprache hineingeboren wurden. Auch im neuen Roman “Die hellen Tage” findet Bank wieder zu ihrem weichen, melodiösen Sprach-Rhythmus. Erzählt wird die Geschichte dreier Familien und die zahlreichen Zerreißproben ausgesetzte Dreiecksbeziehung von Seri, Karl und Aja. Das Buch spielt u. a. in einem phantasievoll farbigen Zirkus-Milieu. „“Die hellen Tage“ sind für mich das schönste Buch des Frühjahrs 2011″, sagte Christine Westermann im WDR.

Florescu. Auch die Muttersprache von Catalin Dorian Florescu war nicht Deutsch sondern Rumänisch. Heute lebt er als deutschsprachiger Autor in der Schweiz. Bereits seine letzten beiden Romane “Zaira” und “Der blinde Masseur” fanden große Beachtung und zahlreiche Leser. In Leipzig stellte er sein Buch “Jacob beschließt zu lieben” vor. Es ist die abenteuerliche Lebensgeschichte des Jacob Obertin aus dem schwäbischen Dorf Triebswetter im rumänischen Banat, samt seiner Vorfahren. Florescu erzählt farbig und flott. Anekdotenreich und sinnlich schildert er Sitten und Gebräuche, Glauben und Aberglauben des europäischen Südosten. Manchmal hat man beim Lesen das Gefühl Schnaps und Knoblauch zu riechen. Der Autor berichtete, dass er sich immer wieder einige Zeit in Rumänien aufhält um neue Eindrücke, Stoffe und Geschichten zu sammeln. Für ihn ist Europa im übrigen eine einzige große Migrationsgeschichte.

Catalin Dorian Florescu zu Gast bei 3sat

Sofa. Polstermöbel allerorten. Traditionsreich, zentral positioniert und menschenreich umlagert, das blaue Sofa. Aufgestellt von Bertelsmann, Deutschlandradio Kultur und ZDF, nimmt hier alles Platz was einen Namen hat oder sich einen machen möchte. Nicht alle Gäste sind dabei von wirklich literarischem Rang wie Karen Duve, Margriet de Moor oder Melinda Nadj Abonji. Die meisten sind einfach populäre Figuren oder Darsteller unserer immer stärker ausfasernden Medien-Landschaft. Ein Joachim Krol ist ebenso dabei, wie die unvermeidliche Veronica Ferres, Gutmensch Todenhöfer und Leidfigur Walter Kohl, Radler Täve Schur oder die Übergröße Jörg Thadeusz. Tiefschwarz hingegen ist die Sitzgelegenheit für die Komik- und Manga-Fraktion; rot das Möbel auf dem Stand des Universitätsradios “Mephisto 97.6” – ein bemerkenswerter Messeteilnehmer, über den in einigen Tagen in einer zweiten Nachlese einige Sätze zu lesen sein werden. Ein Sofa befand sich auch im zweiten Stockwerk der innenstädtischen, lauschigen Connewitzer Verlagsbuchhandlung und hier saß dann am Abend nach getaner Messe-Schicht noch einmal der Eine oder die Andere in angenehm intimen Rahmen, las, plauderte, gab bereitwillig Auskunft und signierte vor eher kleinem, aber sehr geneigtem Publikum.

Leipziger Tage sind kurz. Sie sind im Nu vorüber. Und wenn sie zu Ende gehen, hat man immer das Gefühl etwas verpasst zu haben. Doch auch der Kondition buch- und literaturaffiner Geister sind Grenzen gesetzt. Die Füße schwitzen, schwellen und schmerzen. Höchste Zeit also die letzte Station des dann schon fortgeschrittenen Abends anzusteuern. Ein finaler, müder Meinungsaustausch im Sitzen, bei Bier, Wein, spätem Würzfleisch, in „Volkshaus“, „Südbrause“, „Cafè Puschkin“ oder einer der zahlreichen Kneipen und Restaurants auf dem hochfrequentierten Drallewatsch, dann fällt der Vorhang und manche Frage bleibt bekanntlich offen.

Eine zweite Nachlese folgt in wenigen Tagen.

“Leipzig liest.” – Ein Vorbericht

Fakten. Seit 20 Jahren gibt es inzwischen das große Lese-Festival parallel zur alljährlichen Buchmesse. Es findet nicht nur in den Messehallen, sondern auch und vor allem in ganz Leipzig statt, und längst ist daraus Europas größtes Lesefest geworden: Vier Tage, über 2000 Veranstaltungen, mehr als 1500 Autoren und Autorinnen. Sie treten an 300 unterschiedlichen Veranstaltungsorten auf, lesen aus ihren Werken,  diskutieren auf Podien, stellen sich den Fragen der interessierten Öffentlichkeit. Baumwollspinnerei, Clownmuseum, Gerichtsgebäude, Schwimmbad und Klärwerk sind nur einige der kuriosen Einrichtungen an denen gelesen und in der Regel sehr intensiv zugehört wird.

Das war Ich. Bio boomt. Nein, nicht das eichelfressende, freilaufende Schnitzel, nicht der biodramatisch erzeugte Kohlrabi und auch nicht der Stoff der treibt. Bio im Wortschatz von Verlegern und Buchhändlern meint in einem weitem Sinne und in gedruckter Form alles Biographische. Ob alt, ob jung, inzwischen sind es allzuviele bekannte und weniger bekannte, bedeutende und weniger bedeutende Persönlichkeiten und Persönchen, die glauben schon so viel Leben und Erlebtes hinter sich zu haben, dass es sich lohnt darüber zu schreiben – oder schreiben zu lassen. Ob Eckart Lohse und Markus Werner mit ihrer leicht überholten, aber gut verkäuflichen Guttenberg-Nachdichtung, Veronica Ferres, die plötzlich feststellt “Kinder sind unser Leben”, Jürgen Todenhöfer mit der uneigennützigen Aufforderung “Teile dein Glück”, die blonde Bikini-Entwerferin Sony Kraus, die mit Zitronen handelt, der kölsch nuschelnde Wolfgang Niedecken, der uns von seiner Kindheit erzählen möchte oder der alterskluge Alfred Grosser mit einer Lebensbilanz – die angereiste Prominenz, all die Menschen, die man aus TV und Presse-Erzeugnissen zu kennen glaubt, verschaffen manchem Verlag und mancher Buchhandlung einen Zulauf, der nicht selten die vorhandenen Kapazitäten deutlich übersteigt. Die Veranstalter können sich jedenfalls darüber freuen, dass auch und gerade solche massenwirksamen  Ereignisse zu immer neuen Rekorden bei den Besucherzahlen beitragen.

Lyrik. Freunde gereimter und ungereimter Poesie kommen bei „Leipzig liest“ allemal auf ihre Kosten. Die Wahl wird schwer fallen, denn das Angebot ist reichhaltig und bunt. Lyrik-Veranstaltungen gibt es u. a. wieder im Gohliser Schlösschen, bei der traditionellen „Lyrik im Schlösschen“. Am 17. März um 17.30 Uhr wird dort die Lyrik-Session der Leipziger Buchmesse 2011 mit Klaus-P. Anders, Helmut Braun, Wulf Kirsten, Reiner Kunze und Richard Pietraß eröffnet. – „Teil der Bewegung. Lyriknacht an Musik.“, lautet der Titel einer abendfüllenden Veranstaltung in der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Unter musikalischer Begleitung von Kat Frankie stellen Vertreter der neuen Lyrik ihre aktuellen Gedichtbände vor. Am 19. März ab 20 Uhr lesen in der Hochschule neben vielen anderen: Mary Jo Bang aus den USA, der Luxemburger Jean Krier, die Berlinerin Ulrike Almut Sandig und Mathias Traxler.

Krimi. Immer stärker in den Vordergrund tritt die deutsche Autorin Elisabeth Hermann, deren bisherigen Romane ebenso Berlin zum Schauplatz haben, wie ihr neuestes Buch, das sie auf der Messe vorstellt. “Zeugin der Toten” ist eine spannende Geschichte, mit origineller Hauptfigur und aktuellem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Es ist bei List als Hardcover erschienen; frühere Titel sind durchweg als Taschenbuch erhältlich. Ihr erster Roman „Das Kindermädchen“ wird zur Zeit mit Jan Josef Liefers in einer der Hauptrollen verfilmt. – Viele gute Krimis kommen ja bekanntlich aus den nordischen Ländern. Ganz neu in der Szene ist der norwegische Tenor, Schauspieler, Komponist und jetzt auch Autor, Øystein Wiik. Er bleibt bei seinen Leisten und siedelt sein erstes Buch im Opern-Milieu an: Die Hinrichtung in Tosca endet für den Star-Sänger tatsächlich tödlich, woraufhin Opernkritiker Hartmann recherchiert und sich damit in allerhand Kalamitäten bringt. Der Titel erscheint bei dtv und kommt erst am 1. April auf den Markt – kein Scherz! Øystein kann man aber bereits am 18. März um 13.30 im Nordischen Forum erleben. Ob er liest oder singt oder beides, ist (noch) nicht bekannt.

(Quelle: Leipziger Messe)

Der Norden. Gleich weiter mit einer Erzählerin und einer Poetin aus der ausgesprochen farbigen und breiten literarischen Szene Skandinaviens. Eine Statistik will wissen, dass jeder dritte Isländer im Laufe seines Lebens ein Buch schreibt. Der neue Roman der erfolgreichen isländischen Autorin Kristin Marja Baldursdottir erscheint leider erst im Herbst, dann ist Island bekanntlich Gastland der Frankfurter Buchmesse. In Leipzig gewährt die Schriftstellerin aber schon einmal einen kleinen Einblick und liest aus ihren bisherigen Werken. Auf Deutsch erschienen zuletzt “Möwengelächter” und “Hinter fremden Türen” – beide Titel sind als Taschenbuch zu haben. Reizvoll und ganz besonders sind die Texte der samischen Lyrikerin Inger-Mari Aikio-Arianaick, vor allem wenn sie diese selbst und in ihrer Muttersprache vorträgt. Sie stammt aus finnisch Lappland und ist am 18. März um 11.30 im Nordischen Forum zu Gast. Auf Deutsch gibt es von ihr den Titel “Lebensrad”, der 2009 im Wiener Verlag Timar erschienen ist.

Aufs Ohr. Der postbürgerliche Mensch putzt selbst, kocht selbst und macht auch als Heimwerker jederzeit “sein Ding”. Da ist es nur recht und billig, dass man nicht auch noch selbst lesen will. Wir lassen lesen! Und im Ernst: Gute Texte, ob klassisch oder neuzeitlich, von schönen geschulten Stimmen gelesen – das hat schon was. Nicht selten erlebt man bekannte Werke dann noch einmal ganz anders als beim eigenen Lesen und im individuellen Kopf-Kino. Das Hörbuch ist in Leipzig tradtionell besonders stark vertreten. Und natürlich ist auch der Hörbuchbereich gegenüber den Vorjahren wieder gewachsen. Mehr als 120 Aussteller, über 100 Veranstaltungen, sowie eine Präsentation der ARD-Rundfunkanstalten. Zudem und erstmals in diesem Jahr, ein ganz neues Forum für das Hörspiel: Die „Hörspiel-Arena“.

Halle. Ausnahmsweise nicht Glas- oder Messehalle, sondern Halle an der Saale, die Nachbar-Großstadt von Leipzig, in Sachsen-Anhalt gelegen und nur wenige Kilometer Luftlinie vom Leipziger Messegelände entfernt. “Wir lesen mit:” heißt das trotzige Motto der Händelstadt. Die Veranstaltungen gehen hier von Sonntag 13.3. bis Samstag 19.3. und dabei sind u. a. Clemens Meyer, Angela Krauß und John Lennon. John Lennon am Samstag-Abend im Hallensischen “Beatles Museum” und zwar “in seiner eigenen Schreibe.” Wer dort war, möge doch bitte Nachricht geben von der Erscheinung.

Leipziger Nächte. Zurück an Weiße Elster und Pleiße. Allseits sehr beliebt ist die jährliche “Lange Leipziger Lesenacht” in der malerisch unterirdischen Moritzbastei. Diesmal schon am Donnerstag, 17. März. Und damit auch Leipziger Nächte wirklich lang sind, beginnt die Veranstaltung schon um 19 Uhr. Mit dabei Jens Eisel, Claudia Klischat, Nils Mohl, Selim Özdogan, Donata Rigg, Ulrike Almut Sandit, Clemens J. Setz und die berühmten vielen anderen. Für Musik sorgt “watching me fall”. Allzutief geht das in dem Festungsgemäuer allerdings nicht mehr, an dessen Wiederherstellung und Ausbau zum Studentenclub dereinst eine deutsche Bundeskanzlerin als “Baustudentin”, wie das in DDR-Deutsch hieß, mitwirkte. Wer danach noch mit Clemens Meyer durch die Laibdscher Barszene gezogen ist, der kommt gerade recht zum “Wake-up Slam” – täglich 10.30 Uhr bei ARTE.

Das alles und noch viel mehr, bei „Leipzig liest.“

Von Menschen und Büchern

Nachträge zur Leipziger Buchmesse 2010

Erster Teil – mit zwei Geburtstagen

Der Preis der Leipziger Buchmesse ging in diesem Jahr an Georg Klein für seinen „Roman unserer Kindheit“, den Sachbuchpreis erhielt Ulrich Raulff für sein Buch „Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben“, Ulrich Blumenbach erhielt für seine Übertragung des Romans „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace die Auszeichung für die beste Übersetzung. Das war im Donnerstag letzter Woche. Dem ersten Tag der Leipziger Buchmesse 2010.

Am Samstag wurde es sehr eng. Die Besucherströme mussten durch Sicherheits-Kräfte gesteuert, die Übergänge in die einzelnen Hallen zu Einbahnstraßen erklärt werden. Als am Abend des letzten Tages die Tore der Leipziger Buchmesse für dieses Jahr wieder geschlossen wurden, hatte man 159.000 Menschen gezählt. Erneut einige Tausend mehr als im Vorjahr. Geschätzte 5000 – fast ausschließlich Kinder und Jugendliche – waren in besonderer Mission unterwegs. Diese „Cosplayer“ (von costume play) verkleiden sich als Figuren aus Mangas, Computerspielen, Fantasy- oder Märchen-Literatur. Da sah man Naruto, Ume oder eine Herzkönigin, Engel mit überdimensionierten Flügeln, Rotkäppchen, das in dieser Version dem gefräßigen Wolf Schluckbeschwerden bereiten wird. Nicht wenige Besucher nahmen allerdings Anstoß an dieser Farbigkeit und fanden die, aus ihrer Sicht karnevalesken Elemente, fehl am Platz. Doch Messe-Direktor Oliver Zille stellte im MDR-Gespräch klar, dass Messe Markt ist und dass er es sehr begrüße, dass dieses Segment alljährlich nach Sachsen kommt. Es wäre auch zu schade und folgenreich, so ein engagiertes und belebendes Publikum zu vertreiben. Jungen Menschen einmal mehr klar zu machen, dass sie mit ihrer Art und ihren Interessen nicht erwünscht sind, kann kein Weg sein.

Sehr viele Besucher kamen wegen der präsenten Prominenz. Dem greisen Ex-Präsidenten Richard von Weizsäcker, Stasi-Aufklärer Joachim Gauck, der Sieben-Brücken-Combo Karat, der schrill-vitalen Missionarin Nina Hagen, der drall-vergnügten Plaudertasche Marianne Sägebrecht, um nur Einige zu nennen. Andere, eher die kleinere Zahl, waren auf der Suche nach literarischem Neuland, nach Künstlern, die in unserem Lande noch nicht so oder auch gar nicht bekannt sind, wie jene aus Südost-Europa oder einige Skandinavier.

Der demonstrativen Wucht der allgegenwärtigen Medien konnte sich niemand entziehen. Allerdings waren von den Rundfunk- und Fernseh-Anstalten nur die öffentlich-rechtlichen vor Ort. RTL, SAT1, Vox und wie sie alle heißen, haben natürlich ganz andere Sorgen, Stars und Zielgruppen. Bei den Tages- und Wochenzeitungen durfte man sich über die Anwesenheit echter Qualitätsorgane wie Zeit, Süddeutsche usw. freuen und darüber wundern, wo eigentlich „Der Spiegel“ geblieben war. Offensichtlich wird in Hamburg zielstrebig an der weiteren Boulevardisierung des einstmals wichtigsten deutschen politischen Wochen-Blattes gearbeitet. Besonders groß ist Jahr für Jahr der Einsatz der hervorragend gestaltet und geschriebenen örtlichen „Leipziger Volkszeitung“. Deren ständig überfüllte Lesearena, in der zahlreiche bekannte und noch bekanntere Persönlichkeiten auftraten, benötigt in der Zukunft vielleicht einmal ein verändertes, möglicherweise offeneres, Konzept, um dem Massen-Ansturm Herr zu werden. Bei den westdeutschen Medien kann man insgesamt eine gewisse Zurückhaltung feststellen, was die Berichterstattung über die Leipziger Buchmesse betrifft. Wird berichtet, ist nicht selten eine leichte Überheblichkeit zu verzeichnen, die Züge herablassenden Spotts annimmt, wenn die Zeitung aus Frankfurt kommt.

Die Musik spielt in Leipzig. Und auch auf der jährlichen Buchmesse. Dort ist die Musikstadt mit einem eigenen Stand vertreten, auf dem Komponisten, die in Leipzig wirkten – wie Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn-Bartholdy – die zentrale Rolle spielen. Just während der Messetage, am 21. März, konnte der 325. Geburtstag von Johann Sebastian Bach begangen werden. Zur Feier dieses Jubiläums wurde das Bach-Museum erweitert und generalüberholt neu eröffnet und fand in der Thomas-Kirche ein Fest-Konzert mit dem Thomaner-Chor statt; zu Gehör gebracht wurden Kantaten von Bach und Telemann. Der Musikstadt-Messestand sollte auch den jüngsten Nachwuchs erreichen. Um seine Aufmerksamkeit wurde mit allerhand spielerischen Klangwerken geworben. Einen eigenen Ausstellungsbereich bekamen erstmals die Musik-Verleger. Neben großen Namen, wie Bärenreiter und Schott, nutzten auch kleinere Anbieter die Leipziger Gelegenheiten. Gerade bei diesen und ähnlich bei den schmalen, weniger bekannten Literatur-Verlagen, gab es die Möglichkeit zu mancher Entdeckung und interessanten Gesprächen.

Die vielbesprochene und –diskutierte Helene Hegemann konnte einem nur Leid tun. Im Rahmen der auch in Leipzig sehr heftigen Debatte rund um die akuten Probleme mit einem zeit- und mediengerechten Urheberrecht, wurde sie zum Spielball der verschiedenen Interessen-Gruppen. Gleichzeitig sollte sie als Teenie-Star der deutschen Literatur herhalten und für Zulauf und Umsätze sorgen. Eine Rolle mit der sie sichtlich überfordert war und deshalb völlig erschöpft die Messe vorzeitig verlassen musste. Was den Plagiatsvorwurf und im Zusammenhang damit, ihre literarischen Fähigkeiten betrifft, bekam sie Unterstützung von prominenter Seite. Martin Walser in einem Interview der Frankfurter Rundschau: „Die Anfangsgeschwindigkeit – wenn ich das mal mit einer Rakete vergleiche – hat sie doch von sich. Andernfalls würde sie doch das nicht alles herholen wollen. Das ist doch klar.“

Walser selbst, gern gesehener Gast in Leipzig und immer noch und wieder ein Publikumsmagnet, konnte gleich zwei neue Bücher präsentieren. Seine glaubenssehnsüchtige Novelle „Mein Jenseits“ und den neuesten Tagebuchband „Leben und Schreiben – Tagebücher 1974 – 1978.“ Gerade dieses Buch bot reichlich Diskussions- und Gesprächsstoff. Der Autor, in seinem Leben von den Medien mal links, mal rechts einsortiert, seine Werke, mal zerrissen, dann wieder in den Himmel gelobt, machte deutlich, wie wertvoll Tagebücher für die Aggressions-Abfuhr und die Bewältigung von Alltagen unterschiedlichster Zumutbarkeits-Schwere sind. „Tagebuchschreiben ist eine Lebensart“, sagt Martin Walser deshalb. Am heutigen 24. März wird er 83 Jahre alt. In Leipzig gab er sich offen plaudernd, dachte und formulierte brillant. Noch immer ist der Dichter vom Bodensee „Gedankenreich. Sprachmächtig.“ (Denis Scheck) Möge uns dieser wichtige Autor mit all seiner vitalen Schaffenskraft noch lange erhalten bleiben. Von dieser Stelle: Alles, alles Gute, Martin Walser!

Den sprachlichen (Ur-)Gewalten und der intellektuellen Präsenz eines Clemens Meyer waren nicht alle Moderatoren gewachsen. So flüchtete sich Tina Mendelssohn im 3sat-Gespräch in die Bitte, der Autor möge doch – was eigentlich nicht vorgesehen war – aus seinem neuen Buch „Gewalten“ vorlesen, da sie offensichtlich Schwierigkeiten hatte, angemessene Fragen zu formulieren. Meyer ergab sich mit ironischer Nachsicht, das Publikum unterstützte mit kräftigem Beifall und nach der Veranstaltung mit vielen Signierwünschen. Sein neuestes Werk trägt den Untertitel „ein Tagebuch“. Ein Kunstgriff, wie Meyer erläuterte, der es ihm ermöglicht hat, die Kurzgeschichten mehr oder weniger lose miteinander zu verbinden, zueinander in Beziehung zu setzen oder auch persönliche Elemente einfließen lassen zu können, ohne zwischen Autor und Protagonisten ständig differenzieren zu müssen. Ein Verfahren dass bereits Daniel Kehlmann in seinem Erzählband „Ruhm“ anwandte. In Meyers Geschichten geht es um Ereignisse des Jahres 2009 und ihr Gewaltpotential. Der Autor spannt einen Bogen von den Erlebnissen eines Einzelnen in der psychiatrischen Notaufnahme bis zum traumatisierenden Amok-Lauf von Winnenden. Die Stärke des Buches ist es, dass solche Ausmaße von Wahnwitz, solche Alpträume, erzählbar werden und dass es damit auch einen Beitrag zur Verarbeitung leistet.

Das umfangreiche, bunte Lese-Festival „Leipzig liest“ breitete sich vier Tage in der gesamten Sachsen-Metropole aus und bewies erneut, wie ein großes, dennoch sehr unterschiedliches Publikum, für die Literatur und ihre vielfältigen Darstellungs-Möglichkeiten, zu begeistern und gleichzeitig postmoderne, urbane Räume mit Menschen, Phantasie und Lebensart gefüllt werden können. Bis weit in die Nacht hinein waren Kneipen, Theater und Buchhandlungen, alte Kino- und Gerichtssäle, Bibliotheken und Museen voller Neugieriger und Enthusiasten, die danach noch stundenlang an Theken oder im Freien unter Heizpilzen bei Bier, Wein und Bionade Gedanken und Ideen austauschten.

Die Nobelpreis-Träger waren natürlich auch da. Herta Müller las im bis auf den letzten Platz besetzten Central-Theater aus „Atemschaukel“ und Günter Grass traf, sah und hörte man auf dem Messegelände eigentlich überall. Zu Günter Grass demnächst mehr in diesem Blog.

Leipziger Buchmesse 2010: Der Vorbericht

Die Messe

Kommenden Donnerstag, 18. März, beginnt die Leipziger Buchmesse 2010. Sie dauert bis Sonntag. Leichte Einbußen sind in diesem Jahr bei der Zahl der Aussteller, sowie der verkauften Fläche zu verzeichnen. Dem Otto-Normal-Besucher wird das kaum auffallen und auch die Messe-Macher sind froh, dass sie angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so glimpflich davon gekommen sind. Sie rechnen mit etwa 2.100 Ausstellern aus circa 40 Ländern. Im letzten Jahr kamen 147.000 Besucher und diese Zahl sollte eigentlich wieder erreicht oder übertroffen werden. Ein farbiges Ereignis mit zahlreichen Schwer- und Höhepunkten wird auf jeden Fall geboten. Dafür sorgen Themenwelten wie das „Forum Kinder – Jugend – Bildung“, die Comics- und Manga-Präsentationen, die in dieser Breite nur Leipzig bietet und natürlich wieder der sehr beliebte Hörbuch-Bereich. Ein besonders treues Publikum hat auch die Antiquariatsmesse, als fester und traditionsreicher Teil der Gesamt-Veranstaltung. Neu hinzu kommen der Ausstellungsbereich Musik, der Gemeinschaftsstand Lateinamerika und die Autoren-Buchhandlung. Ebenfalls zum ersten Mal: Der Schwerpunkt Digitalisierung. Ein Thema, das ja derzeit die gesamte Buchbranche umtreibt. In der Broschüre „Digitale Themen auf der Leipziger Buchmesse“ wird auf Veranstaltungen zu den Themen E-Books, libreka! E-Commerce und Co. hingewiesen. Außerdem findet man eine Übersicht von Ausstellern, welche über Produkte zum Thema Digitalisierung an Ihren Ständen informieren und bei denen man diese auch selbst ausprobieren kann.

Der Preis

Bereits am ersten Buchmessetag werden in der großen zentralen Glashalle die Preise der Leipziger Buchmesse verliehen. Über die Auszeichnungen, die mit insgesamt 45.000 Euro dotiert sind, entscheidet eine siebenköpfige Jury. Sie werden zu gleichen Teilen in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Essayistik, sowie Übersetzung verliehen. Anspruch der Jury ist es, herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen zu ehren, womit der Preis unmittelbar an das Konzept der Leipziger Buchmesse als Forum für Autoren und Literaturvermittlung anschließt. Unterstützt wird der „Preis der Leipziger Buchmesse“ durch den Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig. Hier kann man sehen, welche Autoren und Bücher nominiert wurden.

„Leipzig liest“

Das große Festival der Literatur und verwandter Künste. In wirklich ganz Leipzig und drumherum. Am Abend des 18. März erfährt man im Café Puschkin (KaLi) von Kathrin Passig (Bachmann-Preis!) und Aleks Scholz warum „Verirren“ manchmal schneller zum Ziel führt. Bei dem Buch zum Thema, dass bei Rowohlt erschienen ist, soll es sich laut Autorenschaft um eine Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene handeln. Am Tag darauf erklärt Rolf-Bernhard Essig aufgeweckten Jung-Lesern bereits ab acht Uhr dreißig (8.30!): „Wann ist ein Held ein Held“. Wer es wissen will muss zu solch früher Stunde in die Jugend-Tonne der Deutschen Angestellten Akademie kommen. Die meisten Höhepunkte gibt es am Samstag-Abend: Zum Beispiel im Keller des Centralkabaretts. „Mann für Mann“ von und mit Bastienne Voss. Laut Programmheft handelt es sich dabei um einen humoristisch-„erotischen Mauerfall“. Oder wie wäre es mit „Venus in Panik“. Spät am Abend in der Baumwollspinnerei. Ein Buch- und Videoprojekt der Gruppe VIP. Das vollständige Programm ist mit umfangreich eher unzureichend beschrieben. „Leipzig liest“ besteht aus insgesamt über 2000 Veranstaltungen, an denen sich 1500 Autoren an mehr als 300 Lese-Orten beteiligen. H i e r hat man es komplett und bequem durchsuchbar vor sich.

Messe-Direktor Oliver Zille bekennt sich in einem Presse-Gespräch zu der Notwendigkeit, dem erwartungsvollen Publikum, neben jungen und unbekannteren Autoren und Künstlern, auch Stars zu präsentieren: „Wichtige Namen des Frühjahrs müssen hier vertreten sein. Vom Medientross, den die Großen anziehen, profitieren auch die Kleinen.“ Leipziger Messe und „Leipzig liest“ zeichnen sich unter anderem auch durch ihre Nähe, ihre Unmittelbarkeit, zwischen Publikum und Autoren aus. Man sieht seinen Lieblingsschriftsteller, die bewunderte Dichterin, sehr häufig auch zwischen den einzelnen Events, dann sozusagen im übertragenen oder auch wörtlichen Sinne völlig ungeschminkt. Sollte es Ihnen bei solcher Gelegenheit gelingen, mit dem verehrten Wort-Künstler ins Gespräch zu kommen, sollten Sie vielleicht die Ratschläge beherzigen, die der Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, im Börsenblatt den Veranstaltern von Lesungen für die Konversation danach im privaten, ungezwungen Rahmen, an die Hand gibt: „Wie glücklich sind Schriftsteller oft, wenn (man) mutig die Niederungen der Alltagskultur betritt, dazu einlädt, über die Aufstiegschancen des FC St. Pauli nachzusinnen, einen Witz zu erzählen, Mietpreise in deutschen Großstädten zu vergleichen, sich an Kindheitserlebnisse mit Almdudler und Maoam zu erinnern oder die Leistungsfähigkeit von Internetversendern zu erörtern. Dann fliegen die Gesprächsbälle hin und her, dann fällt alles Schwere vom Autor ab.“ Viel Vergnügen also bei gepflegter Konversation mit Walser, Meyer, Passig und Co.