Literaturwoche Donau 2018

Der kleine Rückblick. Knapp und persönlich.

Es kann gut tun, wenn man intellektuell gefordert, ja überfordert wird. Es wird viel zu oft viel zu wenig verlangt. Der deutsch-schweizer Philosoph und Schriftsteller Jonas Lüscher wies darauf hin. Und sein Roman Kraft, den er in der Ulmer Stadtbibliothek vorstellte, ist genau so ein Werk, dessen voller Genuss sich entfaltet wenn man ihn mit einem kleinen Rucksack an Voraussetzungen angeht. Die Geschichte vom Tübinger Rhetorikprofessor (sic!), der nach Kalifornien reist um dort in mehrfacher Hinsicht zunächst heftig ins Schlingern zu geraten um schließlich zu kentern.

Was für ein wunderbarer Ort diese Stadtbibliothek. Als Büchersammlung, als Treffpunkt, als Veranstaltungsort, als markanter Mittelpunkt inmitten historischer Umgebung, eine Glaspyramide, transparent und einladend. Drinnen Bücher, Bücher, Bücher, Leseplätze und W-LAN, draußen Passanten, Cafés, Restaurants, reges Stadtleben.

Die Literaturwoche Donau 2018 ist punktgenau im Hochfrühling gelandet. Es wärmt, grünt und blütenstaubt. Im Bus sitzt schräg gegenüber einer der keinen Bart hat. Dafür hält er in der einen Hand eine Doppel-LP aus Vinyl und in der anderen einen Viererpack Drumsticks.

Angesichts der explodierenden Natur kommen mir die Pflaumen- und Kirschbäume in den Büchern von Iris Wolff in den Sinn. Nicht nur sie lobte das besondere Ambiente und die einmalige Atmosphäre des Ulmer Veranstaltungsreigens. Sie habe sich sehr wohl gefühlt, ließ sie wissen, im nostalgisch trendigen Casino, das bis auf den letzten Vintage-Sessel besetzt war. Ihr gefiel, dass sie ihren Verleger Arno Kleibel vom Salzburger Otto Müller Verlag an ihrer Seite hatte.

Nicht zuletzt weil er ihr erlaubt hatte ihren aktuellen Roman in vier Erzählungen nach einer rumänischen Redensart So tun, als ob es regnet betiteln zu dürfen. Man muss wissen, dass Verleger und Lektoren (angeblich verkaufshemmende) Kommata in Buchtiteln überhaupt nicht schätzen. Ein Abend, der wie so manch anderer, vom gut vorbereiteten Florian L. Arnold moderiert wurde, der als Mitorganisator genügend Ausdauer für diese lange Woche hatte und für jede unvorhersehbare Gesprächswendung ein rhetorisches Werkzeug.

Als der ohne Bart aussteigt kann ich das Plattencover erkennen: Bryan Adams. Dabei hatte ich auf Jazz getippt. Es sind diese ganz eigenen, charaktervollen Lokalitäten die ein Gutteil des Reizes der Literaturwoche ausmachen: Die Räume der Ulmer Museumsgesellschaft, das ehemalige Sparkassen-Casino, das Museum Villa Rot in Burgrieden (Abstecher nach abseits der Donau), das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm, die Putte ebendort.

Die Putte ist eine ehemalige Schreibwarenhandlung. Hier habe ich als bayerischer Volksschüler Hefte, Stifte und Bucheinbände erstanden. Jetzt haben sich Künstler in die freigeräumten und weiß gestrichenen Räume eingemietet, zeigen ihre Werke und laden zu kleinen, intimen Runden. Wie jene mit den schreibenden Vonhiers Sybille Schleicher, Florian L. Arnold und Silke Knäpper. Sie stellten jeweils eines ihrer Lieblingsbücher den anderen beiden, sowie den versammelten Neugierigen vor. Sie ließen wissen, wie schwer die Auswahl gefallen war. Arnold hatte Sebalds Austerlitz dabei, Schleicher Transit von Anna Seghers, aktuell weil gerade eine Petzold-Verfilmung des Stoffes angelaufen ist. Beide Bücher kannte ich bereits.

Neu war für mich Meine Freunde des Franzosen Emmanuel Bove. Silke Knäpper hatte es mitgebracht. In den 1920er-Jahren mäandert Bâton durch Paris. Er ist Kriegsinvalide. Die Rente reicht zum Nötigsten. Anders als Knut Hamsuns alter ego einige Jahrzehnte früher leidet er keinen Hunger. Ihn quält die Einsamkeit. Von einer Suche nach Anschluss, Freundschaft, Liebe handelt dieses Buch. In klarer präziser Sprache, ein Stil frisch wie von neulich, ebenso gut wie unverkennbar übersetzt von Peter Handke. Wahrhaftig, ich habe kein Glück. Kein Mensch interessiert sich für mich… Ich war traurig und wütend. Die Vorstellung, mein ganzes Leben würde in Einsamkeit und Armut ablaufen, verstärkte meine Hoffnungslosigkeit.

An zehn Tagen Literaturwoche gab es eigentlich nur Höhepunkte. Doch wenn es nur Höhepunkte gibt, entstehen keine Gipfel, sondern lediglich eine ausgedehnte Hochfläche. Braucht eine Veranstaltung wie die Literaturwoche deshalb mehr Auf und Ab, Gut und Besser, Mehr und Weniger? Am Ende ist es so, dass das dichte Angebot es jeder und jedem ermöglicht persönliche Favoriten zu finden. Was kann es Schöneres geben als Vielfalt mit Qualität und Niveau? Dass nicht alle Ulmer, Neu-Ulmer das bemerkt haben … Geschenkt.

Wie man seine Stadt mit anderen Augen sieht, wenn man eine Veranstaltung der Literaturwoche Donau verlässt! Warum waren denn alle die jetzt dort draußen sind nicht ebenfalls dabei, sondern haben sich mit Zimteis, Cappuccino, Weizenbier und Donauufer zufrieden gegeben?

Begeistert vom Flair des Donauufers und der Altstadt waren, soweit sie Zeit dafür fanden, die Aussteller der erstmals veranstalteten kleinen Buchmesse, die unter dem Label Konturen stattfand und zu der fast 20 Verlage gekommen waren. Viele davon arbeiten nach einem Motto das dem großen Verleger der Weimarer Republik, Kurt Wolff, zugeschrieben wird, nachdem man zwar von der Verlegerei nicht leben, gleichwohl gut damit leben könne. Das angebotene Spektrum dieser unabhängigen Buchmacher reichte von der Beatlyrik über wiederentdeckte Romane, literarische Texte auf CDs gepresst, die wie Singlescheiben längst vergangener Populärmusik-Zeiten aussehen, bis zu Buchrollen und Kinderbüchern.

Am Samstag war die Verkaufsausstellung etwas außerhalb zu Gast, in der Villa Rot im idyllisch gelegenen Burgrieden. Am Sonntag dann in den Räumen der Museumsgesellschaft in Ulms stark frequentierter Mitte. Weit Gereiste waren dabei, wie Jürgen Schütz und sein Wiener Septime Verlag, spannende Spezialisten wie Moloko Print oder Ralf Zühlkes Stadtlichter Presse, Verlage aus der Region wie Thomas Zehenders danube books, Etablierte wie der Peter Hammer Verlag. Einfache Tische, reichlich Büchervorräte, gedruckte Verlagsprogramme und -vorschauen, interessiertes Publikum und auskunftsfreudige Verleger garantierten den Erfolg dieses Formats, das auf jeden Fall wiederholt werden soll.

Lesen ist Entspannung, Bereicherung, Vergnügen und gelegentlich Mühsal. Wer Erholung von mitunter vielleicht etwas zu voraussetzungssatter Lektüre sucht, der greife zu den Büchern von Martin Ebbertz. Humor mit Geist, Witz mit Geschmack bieten Werke wie Feuer in der Eiswürfelfabrik, 66 Kürzestgeschichten über kleine Katastrophen und alltägliche Beobachtungen von Dingen wie sie überall und jederzeit passieren können oder eben auch nicht, weil sie der Phantasie des Schriftstellers entspringen. Erschienen im Axel Dielmann-Verlag.

In einer Eiswürfelfabrik brach ein furchtbares Feuer aus. Die Feuerwehr kam mit vielen Wagen. Die Feuerwehrmänner schoben die Leitern vor und rollten die Schläuche aus. Mit starken Wasserstrahlen spritzten sie in die Fabrik… Die Arbeiter trugen Eiswürfel aus der brennenden Fabrik, soviel sie konnten. Sie schwitzten viel und bekamen schwarze Gesichter. Am Abend war der Brand gelöscht… Zur Belohnung durften die Arbeiter sich jede Menge Eiswürfel mit nach Hause nehmen. Daraus kochten sie sich dann Tee oder Kaffee.

Ebbertz hat neben zahlreichen Büchern für sogenannte Erwachsene auch für Kinder geschrieben. Als Beispiel sei hier nur noch Der kleine Herr Jaromir genannt, der, so schrieb DIE ZEIT, aus einem anderen Land stammt, einem wo Kinder und Dichter gemeinsame Sachen machen.

Die Literaturwoche Donau bot zehn Tage Gelegenheit sich gemein zu machen. Mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, mit Verlegern und Verlegerinnen, mit Literatur in seiner schillernden Vielfalt. Vor allem aber mit all den tollen Menschen, die teilen, was man selbst liebt.

An der Donau ist Literaturwoche!

Zehn Tage Leidenschaft für Literatur, besondere Bücher aus unabhängigen Verlagen, ergänzt um feine musikalische Anreicherungen. Vom 20. bis zum 29. April dauert die diesjährige Literaturwoche Donau. Der Verein Literatursalon Donau e. V. und zahlreiche Partner und Unterstützer laden ein.

Freunde schöner Poesie und Poetik, großer Erzählungen und überraschender Texte sollten vorschlafen und sich die Abende und Wochenenden freihalten für das ambitionierte und breit gefächerte Programm. 

Am Freitag 20. April findet bei freiem Eintritt die Eröffnungsveranstaltung im Haus der Museumsgesellschaft Ulm in der Neuen Straße statt. Mit Hernan Ronsino ist gleich eine der wichtigsten Stimmen der argentinischen Literatur zu Gast. Er hat den Übersetzer Luis Ruby und seinen deutschen Verleger Ricco Bilger mitgebracht. Für die musikalischen Akzente des Abends sorgt das Silber Quartett.

Zwei markante Veranstaltungsorte im Rahmen der Literaturwoche Donau 2018: Ulmer Münster und das Haus der Museumsgesellschaft

Was bieten die folgenden Tage?

Um nur einige Höhepunkte zu nennen: Jonas Lüscher stellt seinen Roman über das Streben und Scheitern des Rhetorikprofessors Kraft vor. Iris Wolff liest aus dem vielbesprochenen und hochgelobten, aus vier zusammenhängenden Erzählungen bestehenden Roman So tun als ob es regnet (bei dem Titel handelt es sich um eine rumänische Redensart). Bei Anna Baars Als ob sie träumend gingen begegnen wir einer kroatisch-österreichischen Autorin, die ebenso sprachmächtig wie anrührend von Liebe in Zeiten des Krieges erzählt. Der Schweizer Thomas Meyer besticht mit feinem Humor und Hintersinn. Sein aktuelles Buch Trennt euch! ist konsequenterweise eine überraschende Liebeserklärung an die Beziehung zwischen zwei Menschen.

Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein behauptet Thomas Kapielski. Um das zu überprüfen wird am Schlusssontag zu einer Frühschoppenlesung ins Ulmer Künstlerhaus geladen. Es empfiehlt sich jedoch Zurückhaltung beim Genuss geistiger Getränke, denn am Abend kann man zusammen mit Sudabeh Mohafez den Münsterturm besteigen. In schwindelnder Höhe wird sie ihren Stadtschreibertext vorstellen, der für diese Literaturwoche entstanden ist.

Künstlerhaus und Münsterturm sind nur zwei der wunderbaren Lokalitäten die Florian Arnold und Rasmus Schöll, die beiden Hauptmacher der Veranstaltungsreihe, dem Publikum erschließen konnten. Gespannt sein darf man nicht zuletzt auf die Botschaft internationale Stadt im Herzen Ulms auf dem Hans-und-Sophie-Scholl-Platz. Im bayerischen Nachbarn Neu-Ulm geht es zum Wiley-Kiosk, ins frisch renovierte Edwin-Scharff-Museum und das beliebte Café d’Art.

Im Rahmen der diesjährigen Literaturwoche Donau findet schließlich und zum guten Schluss noch die Erste Ulmer Buchmesse der unabhängigen Verlage statt. Am Sonntag, 29. April im renommierten Museum Villa Rot in Burgrieden (der Ort liegt etwa 20 Kilometer südlich der Donau-Doppelstadt) und bereits einen Tag zuvor, dem Samstag, in den Räumen der Museumsgesellschaft Ulm. 19 Verlage aus ganz Deutschland – aus Ulm sind danubebooks und Topalian & Milani vertreten – präsentieren ein breites Spektrum schöner Bücher, exquisiter Gestaltung und hochwertiger Literatur. Der Eintritt ist frei.

In den Städten Ulm und Neu-Ulm hängen bereits flächendeckend die von Joachim Brandenburg großartig gestalteten Einladungs-Plakate aus. Hinsehen lohnt sich. Das vollständige Programm (das natürlich viel mehr bietet als die hier aufgeführten Appetithappen) mit genauen Angaben zu Orten, Zeiten und Preisen findet man überall dort wo Kultur stattfindet, ganz sicher aber in den beiden Stadtbibliotheken und der Buchhandlung Aegis.

Infos im Netz gibt es hier:

http://literatursalon.net/literaturwoche-donau-2018/

 

Literaturwoche Donau 2016

Persönliche Impressionen links und rechts des Stroms

LW DonauAlles ging nicht. Dazu war das Programm der „Literaturwoche Donau 2016“ zu prall, zu vielfältig, zu dicht. Es hieß auswählen, mit anderen Terminen und Interessen abstimmen – auch gelegentlich schweren Herzens verzichten. Was blieb, war mehr als genug. Begegnungen mit Autoren und Autorinnen, Künstlerinnen und Künstlern, Verlegern, und nicht zuletzt Musikern die lange in Erinnerung bleiben. Anregungen, Anstöße, Aufforderungen. Nachdenkliches, Bewegendes, Heiteres.

In love with Shakespeare. Seit 400 Jahren ist er bereits tot. Kopflos liegen seine sterblichen Überreste in kalter Gruft, wie wir aktuell erfahren mussten. Er ist einmal mehr im Gespräch, im Feuilleton breit vertreten und gut im Geschäft. Shakespeare: seine Zeit, Werk und Wirkung – auf 100 Seiten hat Stefana Sabin alles Wissenswerte über den Barden vom Avon zusammengefasst. (Sabin, Stefana: Shakespeare auf 100 Seiten. – Reclam, 2014)

Kenntnisreich und charmant – oft mit einem Lachen – erzählte die in Bukarest geborene Literaturwissenschaftlerin und Publizistin in der Buchhandlung Jastram vom englischen Dramatiker und Reimer. Von denen, die ihn verehrten, und jenen, die ihn weniger schätzten, wie Voltaire, Shaw, Wittgenstein oder Tolstoi. Sie berichtete von der Shakespeare-Bewunderung der Goethe-Zeit und von der langen Geschichte und Vielzahl der Übersetzungen. Wie der bekannten von Schlegel/Tieck im 19. Jahrhundert, oder der neuesten Komplett-Übertragung aller Dramen durch Frank Günther. Von den vielen, die anlässlich von Theater-Inszenierungen entstehen und nicht dokumentiert sind. Stefana Sabin selbst schätzt besonders Erich Frieds Versionen.

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Mit dem Publikum diskutierte sie über die Unklarheiten in der Biographie des Dichters. Und betonte, dass die dramatischen Dichtungen Shakespeares keine Hochkultur, sondern Massenunterhaltung waren, für alle gesellschaftlichen Schichten, im Original oft zotig, mit vielen satirischen Anspielungen auf die Obrigkeit.

“Der Text soll sprechen.” Am eindrucksvollsten spricht er durch sie selbst. Nora Gomringer muss man erleben. Bücher sind schön, CDs nicht schlecht, aber eigentlich geht nur in echt. Der Saal der Museumsgesellschaft war überfüllt als dieses Ereignis im Rahmen der diesjährigen Literaturwoche anstand. Und am Ende waren alle glücklich und zufrieden, bereichert und beifallsfreudig. Die Künstlerin nicht weniger, wie sie nach ihrem Auftritt wissen ließ.

Sie las u. a. aus ihren Büchern „Monster Poems“, „Morbus“ und „Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren“. (Alle bei Volland & Quist erschienen, dem großen Verlag für die kleinen Formen.) Amüsiert hat sie ihr Publikum natürlich gerade zum Trotz. Doch nie ohne Hintersinn. Bei ernsten Themen gelingt es ihr den Zuhörern ein Lächeln zu entlocken. Im scheinbar heiteren Inhalt, lauert immer das Doppelbödige.

“Ich bin Dichter!” Darauf zu bestehen, dass dies eine durchaus zulässige Existenzform ist, diese Freiheit nimmt sich Nora Gomringer. Allen pietistisch geprägten, erwerbsfleißigen Ulmern, die zweifeln dass Kunst Arbeit sein kann, ruhig einmal deutlich gesagt. Und sie ist Dichterin. Poetin mit Leib, Seele und Stimme.

„Ich bin der Verlag“. Hinter den Backstein-Festungsmauern der Neu-Ulmer Venet-Haus Galerie erzählte Sebastian Guggolz die erstaunliche Geschichte seiner Verlags- und Verlegertätigkeit. Der Gewinn aus einer Quizshow im letzten Sommer hat ihm ermöglicht mit dem eigenen Unternehmen weiter zu machen. Er verlegt Autoren und Autorinnen, die nicht mehr leben und deren Werke ungerechtfertigt der Kurzatmigkeit des Buchgeschäfts zum Opfer gefallen sind. Neuauflagen bedeutender literarischer Werke, die längst aus dem Blickfeld möglicher Leser und den Lagern der Verlage und Großhändler verschwunden sind. Schwerpunkt sind dabei die kleineren Sprachen Nord- und Osteuropas.

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Vergessene Nobelpreisträger sind dabei, wie der finnische Literatur-Nobelpreisträger Frans Emil Sillanpää (1888 – 1964, Nobelpreis 1939) mit seinen Romanen „Frommes Elend“ und „Hiltu und Ragnar“. Bei seinem Besuch in Neu-Ulm hat Guggolz bereits die nächsten beiden skandinavischen Literaturnobelpreisträger angekündigt: Johannes Vilhelm Jensen (1944) aus Dänemark und Harry Edmund Martinsson (1974) aus Schweden. Wir sind gespannt, welche Werke Guggolz auswählt.

Aus der Region. Ein Dienstagabend im April. Die Literaturwoche Donau mit einem Verleger- und Autorenfest zu Gast im Neu-Ulmer Kultur-Café d’Art mit seiner umtriebigen, gastfreundlichen Wirtin Heidi Völzke. Moderatorin des Abends ist Wibke Richter, für kraftvolle musikalische Momente steht das Gitarren- und Gesangsduo Roadstring Army. Rappelvoller Saal. Beste Stimmung. Im Mittelpunkt drei regionale, unabhängige Verlage. Schnell wird klar, dass die mehr zu bieten haben als provinziellen Kleingeist. Hier sind Abenteurer am Werk, die ihre Ein- und Glücksfälle am liebsten zwischen Buchdeckeln und in hochwertigen Druckwerken verwirklicht sehen.

Bei Thomas Zehenders „danube books“ ist der Name Programm. Es geht die Donau entlang Richtung Osten. Eine überfällige Grenzüberschreitung, blicken die etablierten Kulturmacher doch meist leicht halsstarrig westwärts. „Skizzen aus Slawonien/Sketches of Slavonia“ mit Photographien von Damir Rajle und ergänzenden Texten in Deutsch, Englisch und Serbo-Kroatisch, setzt mit eindrucksvollen Aufnahmen aus besonderem Blickwinkel diese fruchtbare, im Osten des heutigen Kroatien gelegene Region, ins Bild.

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Übrigens: Wer sich für die Geschichte der donauschwäbischen Auswanderer interessiert, darf sich auf den Titel „Die zweite Heimat. Eine Familienchronik aus Südungarn“ freuen, der erstmal am 23. Juni im Donauschwäbischen Zentralmuseum präsentiert wird.

Der Verleger der  „edition dreiklein“ ist Martin Gehring. Zusammen mit der Illustratorin Marion Hartlieb hat er das Kinderbuch „Kiki – Alles fliegt“ gestaltet, das im Juni zeitgleich in einer deutschen und einer französischen Ausgabe erscheinen wird. Hartlieb hat zudem ihr Interesse an der österreichischen Kaiserin Elisabeth, die unter dem Namen „Sissi“ populär wurde, in eine liebevolle Adaption für Kinder umgesetzt. In „Die Sisi aus Possenhofen“ malt sie sich phantasievoll und in leichten Farben das Leben der kleinen Elisabeth aus.

Martin Gehring hat als Autor mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den satirischen Hühner-Western „El Pollo – Entscheidung in der Sierra Chica“ (erschienen im Verlag Manuela Kinzel). Er liest eine Kurzgeschichte, in der es um den Rapp-Bier-Konvoi auf württembergischen Autobahnen und einen Nutztiertransport geht. Eine humorvoll überzeichnete Erzählung mit der er das Publikum zum Schmunzeln und Lachen zwingt.

Vom Ulmer Dichter Marco Kerler erschien 2015 der Lyrik-Band „Schreibgekritzel“ bei Kinzel. Seine nächste Veröffentlichung plant er derzeit mit der „edition dreiklein“. Mit der Formation „MarcoBeatz“ macht er RockPoetry, SpokenWord und Improvisation in der Region. Beim Verlegerfest stellte Marco Kerler Beispiele aus seinem Projekt „VolksLyrik“ vor. Spontane Poesie im Dialog mit dem Publikum. Einer von vielen Höhepunkte des Abends dann seine Sprechgesang-Performance zusammen mit den Gitarren von Roadstring-Army. Stimmung in Siedepunkt-Nähe.

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Florian L. Arnold und Rasmus Schöll sind die Hauptdrahtzieher der „Literaturwoche“. Und seit einiger Zeit auch Jungverleger. In dieser Funktion stehen sie Wibke Richter Rede und Antwort. Sehr zum Vergnügen von Jung und Nichtmehrganzjung im Saal, gerät dies zu einer äußerst pointiert-gewitzten Talkshow. Ihr Verlag heißt „Topalian und Milani“, dass dieses kühne Unternehmen bereit ist sich jeder verlegerischen Vernunft zu widersetzen, zeigt ein Werk, dass mit Multitalent Tommi Brehm realisiert wurde.

Der „Appendix Dick“ ist ein künstlerisch gestaltetes Verzeichnis aller Personen die in den Werken des amerikanischen Autors Philip K. Dick vorkommen. Fast 600 Seiten, limitierte Auflage 100 Stück, alle fein gebunden und signiert, die ersten 50 zudem handkoloriert. „Haptik. Optik. Schönheit“ sind die entscheidenden Kriterien für Bücher aus dem Hause Topalian und Milani. Ich freue mich ganz besonders auf den angekündigten Band mit zwei weniger bekannten Novellen von Stefan Zweig.

Viel Beifall zum Schluss für alle Beteiligten. Und wir Zuhörer und Zuschauer wurden nicht nur glänzend unterhalten. Wir haben auch gelernt. Regional hat nichts mit Begrenzung zu tun. Und, dass es unabhängigen Verlagen gelingen kann mit Mut und Offenheit den üblichen, nur scheinbar zwangsläufigen, Markt-Mechanismen erfolgreich zu trotzen.

Von der Lebenskunst. Der oberschwäbische Schriftsteller Werner Dürrson starb 2008. Sein einziges großes Prosawerk, der Roman „Lohmann oder die Kunst, sich das Leben zu nehmen. Eine romaneske Biographie“ (bei Klöpfer & Meyer erschienen und jederzeit lieferbar) droht in Vergessenheit zu geraten. Der in Ulm und Umgebung bestens bekannte und geschätzte Walter Frei brachte mit seiner Lesung diesen literarischen Schatz wieder in Erinnerung.

Er las Abschnitte, die zeigten, welch frischen Humor dieses autobiographisch gefärbte Werk, neben allen ernsthaften Passagen, zu bieten hat. Schließlich ist bereits der Titel unbedingt doppelt zu deuten. Nicht nur im naheliegenden suizidalen Sinne. Sondern vor allem als Aufforderung, nach Freuden und Chancen, nach den Möglichkeiten eines gelingenden Lebens, energisch zu greifen.

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Raum und Wort. Wie sehr Örtlichkeit und Ambiente die Atmosphäre literarischer Darbietungen mitgestalten und beeinflussen, wurde bei der diesjährigen Literaturwoche eindrucksvoll deutlich. Mit der Venet-Haus Galerie haben die Veranstalter eine weitere besonders stimmungsvolle Lokalität gefunden und bespielt. Den Abend mit Kai Weyand und seinem morbid-heiteren Roman “Applaus für Bronikowski“ in eine Steinmetz-Werkstatt zu verlegen hatte schon was. Eine Buchhandlung als Veranstaltungsort gehört natürlich unbedingt dazu. Die Kulturbuchhandlung Jastram als Mitveranstalter besetzt diese Position in idealer Weise.

Dass sich beim regionalen Verlegerfest im Café D’Art alle Anwesenden sehr wohl fühlten, wurde bereits festgehalten. Ein offenes, einladendes Lokal mit viel Stammkneipen-Potential. Fester Bestandteil der Literaturwochen ist die „Obere Stube“ der Ulmer Museumsgesellschaft. Mit ihren Ausblicken auf Rathaus und Münster, mit großzügigem Platzangebot und einem treuen Publikum, das stets zahlreich erscheint, darf sie auch in den zukünftigen Programmen auf keinen Fall fehlen.

 

 

„Schluss mit Hesse!“

Letzte Höhepunkte der Literaturwoche Donau 2016

LW DonauVermutlich fulminant wird sie zu Ende gehen. Die „Literaturwoche Donau 2016“. Am Samstag, den 7. Mai ab 18 Uhr. In der Neu-Ulmer Venet-Haus Galerie. Das finale Literaturfest steht unter dem Motto „Schluss mit Hesse“. Der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer (Klöpfer & Meyer) wird zu Gast sein. Er versteht es, besonders kurzweilig über seine langjährigen Erfahrungen im Literaturbetrieb zu erzählen. In seinem Verlag ist der Roman „Sex mit Hermann Hesse“ von Felicitas Andresen erschienen, aus dem die Autorin an diesem Abend lesen wird. Es ist eine originelle, humorvolle Auseinandersetzung, mit dem vielfach idealisierten Nobelpreisträger.

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Ab 21 Uhr folgt dann der Auftritt des Singer-Songwriter Duos Knulp, das sich nach der Hauptfigur in der gleichnamigen Erzählung Hermann Hesses benannt hat.“

Knulp

Sein Bericht „Die Nürnberger Reise” war Ausgangspunkt für Jan Haag und Bernd Michael Köhler zu fragen, was Hesse über den dort geschilderten Aufenthalt (der keine zwei ganzen Tage dauerte) hinaus mit Ulm zu tun hatte. Bei den Recherchen wurde bald klar, dass dies mehr war, als den gängigen Biographien zu entnehmen ist. Erste Zwischenergebnisse der Nachforschungen wurden auf diesem Blog veröffentlicht:

Hermann Hesse und Ulm

Erster Teil „Die Schwarze Henne“

Zweiter Teil „Die Nürnberger Reise“

Dritter Teil „Die Geige“

Eine erweiterte Fassung mit ausführlichen Literatur- und Quellenverzeichnissen ist in Vorbereitung.

LW DonauAchtung! Achtung!

Noch ist die Literaturwoche Donau 2016 nicht zu Ende. Heute (4. Mai in der Museumsgesellschaft) und morgen (5. Mai in der Venet-Haus Galerie, Neu-Ulm): „Teatro Caprile“ aus Wien. Literarisches Kabarett und Kleintheater mit zupackenden Texten von Karl Valentin, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Florian L. Arnold u. a. „Die Beseitigung der modernen Ratlosigkeit!“ heißt das Programm. Vergnüglich Skurriles zum Staunen und Lachen. Das sollte man wirklich nicht versäumen.

Hier gibt es mehr dazu.