Literaturwoche Donau 2018

Der kleine Rückblick. Knapp und persönlich.

Es kann gut tun, wenn man intellektuell gefordert, ja überfordert wird. Es wird viel zu oft viel zu wenig verlangt. Der deutsch-schweizer Philosoph und Schriftsteller Jonas Lüscher wies darauf hin. Und sein Roman Kraft, den er in der Ulmer Stadtbibliothek vorstellte, ist genau so ein Werk, dessen voller Genuss sich entfaltet wenn man ihn mit einem kleinen Rucksack an Voraussetzungen angeht. Die Geschichte vom Tübinger Rhetorikprofessor (sic!), der nach Kalifornien reist um dort in mehrfacher Hinsicht zunächst heftig ins Schlingern zu geraten um schließlich zu kentern.

Was für ein wunderbarer Ort diese Stadtbibliothek. Als Büchersammlung, als Treffpunkt, als Veranstaltungsort, als markanter Mittelpunkt inmitten historischer Umgebung, eine Glaspyramide, transparent und einladend. Drinnen Bücher, Bücher, Bücher, Leseplätze und W-LAN, draußen Passanten, Cafés, Restaurants, reges Stadtleben.

Die Literaturwoche Donau 2018 ist punktgenau im Hochfrühling gelandet. Es wärmt, grünt und blütenstaubt. Im Bus sitzt schräg gegenüber einer der keinen Bart hat. Dafür hält er in der einen Hand eine Doppel-LP aus Vinyl und in der anderen einen Viererpack Drumsticks.

Angesichts der explodierenden Natur kommen mir die Pflaumen- und Kirschbäume in den Büchern von Iris Wolff in den Sinn. Nicht nur sie lobte das besondere Ambiente und die einmalige Atmosphäre des Ulmer Veranstaltungsreigens. Sie habe sich sehr wohl gefühlt, ließ sie wissen, im nostalgisch trendigen Casino, das bis auf den letzten Vintage-Sessel besetzt war. Ihr gefiel, dass sie ihren Verleger Arno Kleibel vom Salzburger Otto Müller Verlag an ihrer Seite hatte.

Nicht zuletzt weil er ihr erlaubt hatte ihren aktuellen Roman in vier Erzählungen nach einer rumänischen Redensart So tun, als ob es regnet betiteln zu dürfen. Man muss wissen, dass Verleger und Lektoren (angeblich verkaufshemmende) Kommata in Buchtiteln überhaupt nicht schätzen. Ein Abend, der wie so manch anderer, vom gut vorbereiteten Florian L. Arnold moderiert wurde, der als Mitorganisator genügend Ausdauer für diese lange Woche hatte und für jede unvorhersehbare Gesprächswendung ein rhetorisches Werkzeug.

Als der ohne Bart aussteigt kann ich das Plattencover erkennen: Bryan Adams. Dabei hatte ich auf Jazz getippt. Es sind diese ganz eigenen, charaktervollen Lokalitäten die ein Gutteil des Reizes der Literaturwoche ausmachen: Die Räume der Ulmer Museumsgesellschaft, das ehemalige Sparkassen-Casino, das Museum Villa Rot in Burgrieden (Abstecher nach abseits der Donau), das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm, die Putte ebendort.

Die Putte ist eine ehemalige Schreibwarenhandlung. Hier habe ich als bayerischer Volksschüler Hefte, Stifte und Bucheinbände erstanden. Jetzt haben sich Künstler in die freigeräumten und weiß gestrichenen Räume eingemietet, zeigen ihre Werke und laden zu kleinen, intimen Runden. Wie jene mit den schreibenden Vonhiers Sybille Schleicher, Florian L. Arnold und Silke Knäpper. Sie stellten jeweils eines ihrer Lieblingsbücher den anderen beiden, sowie den versammelten Neugierigen vor. Sie ließen wissen, wie schwer die Auswahl gefallen war. Arnold hatte Sebalds Austerlitz dabei, Schleicher Transit von Anna Seghers, aktuell weil gerade eine Petzold-Verfilmung des Stoffes angelaufen ist. Beide Bücher kannte ich bereits.

Neu war für mich Meine Freunde des Franzosen Emmanuel Bove. Silke Knäpper hatte es mitgebracht. In den 1920er-Jahren mäandert Bâton durch Paris. Er ist Kriegsinvalide. Die Rente reicht zum Nötigsten. Anders als Knut Hamsuns alter ego einige Jahrzehnte früher leidet er keinen Hunger. Ihn quält die Einsamkeit. Von einer Suche nach Anschluss, Freundschaft, Liebe handelt dieses Buch. In klarer präziser Sprache, ein Stil frisch wie von neulich, ebenso gut wie unverkennbar übersetzt von Peter Handke. Wahrhaftig, ich habe kein Glück. Kein Mensch interessiert sich für mich… Ich war traurig und wütend. Die Vorstellung, mein ganzes Leben würde in Einsamkeit und Armut ablaufen, verstärkte meine Hoffnungslosigkeit.

An zehn Tagen Literaturwoche gab es eigentlich nur Höhepunkte. Doch wenn es nur Höhepunkte gibt, entstehen keine Gipfel, sondern lediglich eine ausgedehnte Hochfläche. Braucht eine Veranstaltung wie die Literaturwoche deshalb mehr Auf und Ab, Gut und Besser, Mehr und Weniger? Am Ende ist es so, dass das dichte Angebot es jeder und jedem ermöglicht persönliche Favoriten zu finden. Was kann es Schöneres geben als Vielfalt mit Qualität und Niveau? Dass nicht alle Ulmer, Neu-Ulmer das bemerkt haben … Geschenkt.

Wie man seine Stadt mit anderen Augen sieht, wenn man eine Veranstaltung der Literaturwoche Donau verlässt! Warum waren denn alle die jetzt dort draußen sind nicht ebenfalls dabei, sondern haben sich mit Zimteis, Cappuccino, Weizenbier und Donauufer zufrieden gegeben?

Begeistert vom Flair des Donauufers und der Altstadt waren, soweit sie Zeit dafür fanden, die Aussteller der erstmals veranstalteten kleinen Buchmesse, die unter dem Label Konturen stattfand und zu der fast 20 Verlage gekommen waren. Viele davon arbeiten nach einem Motto das dem großen Verleger der Weimarer Republik, Kurt Wolff, zugeschrieben wird, nachdem man zwar von der Verlegerei nicht leben, gleichwohl gut damit leben könne. Das angebotene Spektrum dieser unabhängigen Buchmacher reichte von der Beatlyrik über wiederentdeckte Romane, literarische Texte auf CDs gepresst, die wie Singlescheiben längst vergangener Populärmusik-Zeiten aussehen, bis zu Buchrollen und Kinderbüchern.

Am Samstag war die Verkaufsausstellung etwas außerhalb zu Gast, in der Villa Rot im idyllisch gelegenen Burgrieden. Am Sonntag dann in den Räumen der Museumsgesellschaft in Ulms stark frequentierter Mitte. Weit Gereiste waren dabei, wie Jürgen Schütz und sein Wiener Septime Verlag, spannende Spezialisten wie Moloko Print oder Ralf Zühlkes Stadtlichter Presse, Verlage aus der Region wie Thomas Zehenders danube books, Etablierte wie der Peter Hammer Verlag. Einfache Tische, reichlich Büchervorräte, gedruckte Verlagsprogramme und -vorschauen, interessiertes Publikum und auskunftsfreudige Verleger garantierten den Erfolg dieses Formats, das auf jeden Fall wiederholt werden soll.

Lesen ist Entspannung, Bereicherung, Vergnügen und gelegentlich Mühsal. Wer Erholung von mitunter vielleicht etwas zu voraussetzungssatter Lektüre sucht, der greife zu den Büchern von Martin Ebbertz. Humor mit Geist, Witz mit Geschmack bieten Werke wie Feuer in der Eiswürfelfabrik, 66 Kürzestgeschichten über kleine Katastrophen und alltägliche Beobachtungen von Dingen wie sie überall und jederzeit passieren können oder eben auch nicht, weil sie der Phantasie des Schriftstellers entspringen. Erschienen im Axel Dielmann-Verlag.

In einer Eiswürfelfabrik brach ein furchtbares Feuer aus. Die Feuerwehr kam mit vielen Wagen. Die Feuerwehrmänner schoben die Leitern vor und rollten die Schläuche aus. Mit starken Wasserstrahlen spritzten sie in die Fabrik… Die Arbeiter trugen Eiswürfel aus der brennenden Fabrik, soviel sie konnten. Sie schwitzten viel und bekamen schwarze Gesichter. Am Abend war der Brand gelöscht… Zur Belohnung durften die Arbeiter sich jede Menge Eiswürfel mit nach Hause nehmen. Daraus kochten sie sich dann Tee oder Kaffee.

Ebbertz hat neben zahlreichen Büchern für sogenannte Erwachsene auch für Kinder geschrieben. Als Beispiel sei hier nur noch Der kleine Herr Jaromir genannt, der, so schrieb DIE ZEIT, aus einem anderen Land stammt, einem wo Kinder und Dichter gemeinsame Sachen machen.

Die Literaturwoche Donau bot zehn Tage Gelegenheit sich gemein zu machen. Mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, mit Verlegern und Verlegerinnen, mit Literatur in seiner schillernden Vielfalt. Vor allem aber mit all den tollen Menschen, die teilen, was man selbst liebt.

An der Donau ist Literaturwoche!

Zehn Tage Leidenschaft für Literatur, besondere Bücher aus unabhängigen Verlagen, ergänzt um feine musikalische Anreicherungen. Vom 20. bis zum 29. April dauert die diesjährige Literaturwoche Donau. Der Verein Literatursalon Donau e. V. und zahlreiche Partner und Unterstützer laden ein.

Freunde schöner Poesie und Poetik, großer Erzählungen und überraschender Texte sollten vorschlafen und sich die Abende und Wochenenden freihalten für das ambitionierte und breit gefächerte Programm. 

Am Freitag 20. April findet bei freiem Eintritt die Eröffnungsveranstaltung im Haus der Museumsgesellschaft Ulm in der Neuen Straße statt. Mit Hernan Ronsino ist gleich eine der wichtigsten Stimmen der argentinischen Literatur zu Gast. Er hat den Übersetzer Luis Ruby und seinen deutschen Verleger Ricco Bilger mitgebracht. Für die musikalischen Akzente des Abends sorgt das Silber Quartett.

Zwei markante Veranstaltungsorte im Rahmen der Literaturwoche Donau 2018: Ulmer Münster und das Haus der Museumsgesellschaft

Was bieten die folgenden Tage?

Um nur einige Höhepunkte zu nennen: Jonas Lüscher stellt seinen Roman über das Streben und Scheitern des Rhetorikprofessors Kraft vor. Iris Wolff liest aus dem vielbesprochenen und hochgelobten, aus vier zusammenhängenden Erzählungen bestehenden Roman So tun als ob es regnet (bei dem Titel handelt es sich um eine rumänische Redensart). Bei Anna Baars Als ob sie träumend gingen begegnen wir einer kroatisch-österreichischen Autorin, die ebenso sprachmächtig wie anrührend von Liebe in Zeiten des Krieges erzählt. Der Schweizer Thomas Meyer besticht mit feinem Humor und Hintersinn. Sein aktuelles Buch Trennt euch! ist konsequenterweise eine überraschende Liebeserklärung an die Beziehung zwischen zwei Menschen.

Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein behauptet Thomas Kapielski. Um das zu überprüfen wird am Schlusssontag zu einer Frühschoppenlesung ins Ulmer Künstlerhaus geladen. Es empfiehlt sich jedoch Zurückhaltung beim Genuss geistiger Getränke, denn am Abend kann man zusammen mit Sudabeh Mohafez den Münsterturm besteigen. In schwindelnder Höhe wird sie ihren Stadtschreibertext vorstellen, der für diese Literaturwoche entstanden ist.

Künstlerhaus und Münsterturm sind nur zwei der wunderbaren Lokalitäten die Florian Arnold und Rasmus Schöll, die beiden Hauptmacher der Veranstaltungsreihe, dem Publikum erschließen konnten. Gespannt sein darf man nicht zuletzt auf die Botschaft internationale Stadt im Herzen Ulms auf dem Hans-und-Sophie-Scholl-Platz. Im bayerischen Nachbarn Neu-Ulm geht es zum Wiley-Kiosk, ins frisch renovierte Edwin-Scharff-Museum und das beliebte Café d’Art.

Im Rahmen der diesjährigen Literaturwoche Donau findet schließlich und zum guten Schluss noch die Erste Ulmer Buchmesse der unabhängigen Verlage statt. Am Sonntag, 29. April im renommierten Museum Villa Rot in Burgrieden (der Ort liegt etwa 20 Kilometer südlich der Donau-Doppelstadt) und bereits einen Tag zuvor, dem Samstag, in den Räumen der Museumsgesellschaft Ulm. 19 Verlage aus ganz Deutschland – aus Ulm sind danubebooks und Topalian & Milani vertreten – präsentieren ein breites Spektrum schöner Bücher, exquisiter Gestaltung und hochwertiger Literatur. Der Eintritt ist frei.

In den Städten Ulm und Neu-Ulm hängen bereits flächendeckend die von Joachim Brandenburg großartig gestalteten Einladungs-Plakate aus. Hinsehen lohnt sich. Das vollständige Programm (das natürlich viel mehr bietet als die hier aufgeführten Appetithappen) mit genauen Angaben zu Orten, Zeiten und Preisen findet man überall dort wo Kultur stattfindet, ganz sicher aber in den beiden Stadtbibliotheken und der Buchhandlung Aegis.

Infos im Netz gibt es hier:

http://literatursalon.net/literaturwoche-donau-2018/