Autoren, Bücher, Themen rund um die diesjährige Buchmesse und das Literaturfest “Leipzig liest”
Der zweite Teil
“Ich habe in meinem ganzen Leben außer meinem Sparbuch noch nie ein Buch gelesen.” Behauptete neulich in einem Interview Heinz Georg Kramm, besser bekannt als Heino, seineszeichens LandaufLandab-Sänger („Schwarzbraun ist die Haselnuss“). Und der nachdenkliche Alphabet und verwirrte Vielleser wundert sich, auf was man im Land gut gefüllter Festgeldkonten und hormongesteuerter SUV-Piloten noch so alles stolz sein kann. – “Vorsicht Buch!” möchte man da hilfreich und warnend zugleich zurufen. Und so heißt denn auch – aber nicht nur deshalb – die neue Image-Kampagne der Buchbranche, die in Leipzig gestartet wurde und die in Zukunft die Republik flächendeckend überziehen soll. Wen sie wohl erreichen kann und ob sie bei hartnäckigen Fällen wie Herrn Kramm noch etwas bewirken wird?

Das Buch sucht neue Leser- und Käuferschichten. Dazu schlägt die Buchbranche ab sofort kräftiger auf die Werbe-Trommel.
Hier können auch Kleine groß rauskommen. Die Buchmesse in Leipzig ist der ideale Platz für kleinere und unabhängige Verlage sich einem offenen Publikum vor Ort und einer breiteren Öffentlichkeit via berichtender Massenmedien zu präsentieren. Deshalb kommen sie Jahr für Jahr gerne wieder (und weil Frankfurt sowieso zu teuer ist!). Die meist schmalen, dafür oft sehr phantasievoll gestalteten Stände, gehören für Kenner zu den wirklichen Messe-Höhepunkten. Mit der “Leseinsel junger Verlage” wurde zudem für die Autoren dieser Marken ein ideales Podium geschaffen um leibhaftig und vor sehr interessierten und aufgeschlossenen Menschen aus den frisch verlegten Werken vorzutragen.
Kurt Wolff war eine der profiliertesten Verleger-Persönlichkeiten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Einige Zeit Weggenosse von Ernst Rowohlt, etablierte er 1912 sein eigenes Unternehmen. Im Leipziger Kurt Wolff Verlag erschienen neben vielen anderen Franz Kafka und Gottfried Benn, Georg Trakl, Frank Werfel und Walter Hasenclever. Die im Jahr 2000 gegründete Kurt Wolff Stiftung – deren Vorstand der umtriebige Stefan Weidle (Weidle Verlag) anführt – hat sich die Förderung einer “vielfältigen Verlags- und Literaturszene” zum Ziel gesetzt. Jährlich verleiht sie auf der Leipziger Buchmesse den Kurt Wolff Preis in mehreren Kategorien.
In diesem Jahr ging der Hauptpreis an den Wallstein Verlag, “der seit gut einem Vierteljahrhundert in sorgfältigen und gestalterisch anspruchsvollen Editionen die deutsche Literatur seit dem 18. Jahrhundert mit der Zeit- und Wissenschaftsgeschichte verknüpft und zugleich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine herausgehobene Plattform bietet.” Den Förderpreis bekam das noch ganz junge Berliner Unternehmen “binooki.” Die Gründerinnen Selma Wels und Inci Bürhaniye verlegen zeitgenössische türkische Belletristik in deutscher Sprache. Zielgruppe sind in erster Linie die vielen Mitbürger im Lande mit türkischen Wurzeln, aber auch bei deutschen Muttersprachlern sollen diese, meist erstmals ins Deutsche übersetzten Werke, das Interesse an der aktuellen Literaturszene in der Türkei wecken.

Der Leipziger Messestand von „Binooki“. Das Regalsystem ist nicht von Ikea, sondern besteht aus leeren Weinkisten. Die Verlegerinnen streuten das Gerücht, dass sie die darin enthaltenen Flaschen selbst ausgetrunken hätten.
Eine wirklich gute Idee hatte auch der mairisch Verlag. Er ist in Hamburg ansässig, pflegt ein recht buntes Programm und erfand jetzt kurzerhand den „indiebookday“ (den es allerdings in den USA schon länger gibt ;-)), angelehnt an die unabhängigen Plattenlabel (die sog. „Indielabel“) in der Musikindustrie. Der erste deutsche indiebookday fand am 23. März statt. An diesem Tag wurden Buchliebhaber aufgefordert in einen Buchladen ihrer Wahl zu gehen und ganz gezielt ein Buch zu kaufen, das aus einem Indie-Verlag stammt. Danach sollte ein Foto des Covers, des Buches, vielleicht sogar von Käufer mit Buch, in einem sozialen Netzwerk (Facebook, Twitter, Google+) oder einem Blog unter dem Stichwort „Indiebookday“ veröffentlich werden. Wer die Aktion gut findet, wird zudem gebeten darüber zu reden oder zu schreiben. Die für den Anfang nicht ganz schlechte Resonanz dieser Kampagne kann im Netz besichtigt werden.
Keine Werbekampagne braucht es hingegen für Zeitgenossen wie den von mir sehr geschätzten Filmregisseur und bekennenden Bücherfreund Christian Petzold (“Wolfsburg”, “Gespenster”, “Barbara”). Als ihm jüngst ein gut dotierter Preis verliehen wurde und man wissen wollte, was er mit dem Geld vorhabe, antwortete er: “Zu einer Weltreise habe ich keine Lust. Ich glaube ich kaufe mir noch mehr Bücher.”
Zur Nachahmung empfohlen. Verlassen Sie dazu die viel beschrittenen Pfade der gleichgeschalteten Konsum-Boulevards, all die von Manhattan, Esprit, H & M, C & A, K & L, P & C, Schuh-Paradiesen, Jeanshallen, MacDings und Kauf-Bums gesäumten 1A-Lagen; meiden Sie die als Buchhandlung nur noch deklarierten öden Großflächen, deren Zukunft mehr als ungewiss ist. Biegen Sie ab in die Nebenstraßen, die Winkelgassen und versteckten Plätze. Wenn Sie dort irgendwo den Hinweis “VorsichtBuch!” entdecken – ignorieren Sie ihn. Betreten Sie den Laden trotzdem. Zum zwanglosen Stöbern und Schmökern, zum Entdecken und zu angenehmen Gesprächen über Literatur (!) mit kundigen Buchhändlern und Buchhändlerinnen.
Hier beispielhaft einige aktuelle Neuerscheinungen der erwähnten kleineren undoder jüngeren, auf jeden Fall aber medienkonzern-unabhängigen Verlage, deren Produktion Sie dort möglicherweise begegnen werden:
Satyr-Verlag
Neft, Anselm: Hell. Roman, 2013. Euro 19,90
Bartel, Christian: Grundkurs Weltherrschaft. Bekenntnisse eines Ausnahmeathleten, 2013. Euro 11,90
binooki
Canigüz, Alper: Söhne und siechende Seelen, 2012. Euro 14,90
Boralioglou, Gaye: Der hinkende Rhythmus. Roman, 2013. Euro 15,90
Wallstein
Piwitt, Hermann Peter: Die Gärten im März. Roman, Neu aufgelegt 2013. Euro 19
Kögl, Gabriele: Auf Fett Sieben. Roman, 2013. Euro 17,90
Stahl, Daniel: Nazi-Jagd: Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen, 2013. Euro 34,90
mairisch Verlag
Paul, Stevan: Schlaraffenland. Ein Buch über die tröstliche Wirkung von Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen und die Unwägbarkeiten der Liebe. 15 Kochgeschichten, 2012. Euro 18,90 (wurde in Leipzig als Geheimtip gehandelt.)
Volandt & Quist
Gomringer, Nora: Ich werde etwas mit der Sprache machen, 2011. Euro 14,90. (s. a. Teil 1 der Leipziger Begegnungen 2013)
Gomringer, Nora: Monster Poems. Mit Illustrationen von Reimar Limmer, 2013. Euro 17,90