Nachfolgend veröffentlichen wir Auszüge aus einer Erzählung von Arthur Thomas Wille. Sie trägt den Titel „Morgenland.“ Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Die eingestreuten Zitate sind dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ vom 23. Dezember 2009 entnommen.
„Ich mach jetzt mit anderen Kräften einen neuen Auftrag, das ist bei Kundus! Genaueres darf ich nicht sagen! Leider ist es dort, wo die anderen zwei Soldaten gefallen sind. Brauchst Dir aber keine Sorgen zu machen, ich pass gut auf mich auf! Smile!“ (Ein Hauptgefreiter, 19, Kundus 2008)
Als Tereza anrief um mich zu bitten, sie zum Flughafen zu begleiten, war ich überrascht. Wunderte mich, dass sie nicht ihre Schwester oder die sonst jederzeit präsente Dresdner Freundin Kathleen darum gebeten hatte… Ablehnen konnte ich unter diesen Umständen natürlich nicht. Schließlich ging es um Max…
So standen wir dann also, sicherheitshalber viel zu früh, im üblichen Durcheinander der Flughafenhalle. Links die Espresso-Bar, rechts der Duty Free. Vorne die Schalter der Airlines. Das etwas unscharfe Bild des CNN News-Screen über uns. Menschen, die Gepäck tragend oder ziehend, unter dem von dünnem Regen gewässerten Glasdach, durch die hohe, weite Halle eilten, andere die suchend schlenderten. Hin und wieder sahen wir zu den hektisch wechselnden Daten der großen elektronischen Anzeigetafel hinüber, obwohl wir genau wussten, dass unser Flug nicht angezeigt werden würde. So warteten wir, zeitlos, zielvergessen und hatten eigentlich kein wirkliches Interesse, dass dieses Warten ein Ende nahm…
„Spätestens nach dem zweiten Bunkeralarm entwickelt auch der größte Philanthrop blutige Rachegelüste. Die militärisch einfachste Lösung, die hier von den Soldaten auch favorisiert wird, ist der groß angelegte Artillerie-Gegenschlag. Technisch kein großes Problem: Abschussstelle orten, Kanone ausrichten und zurückschießen – dauert weniger als eine Minute… aber die Taliban sind nicht blöd. Schon die Nächsten hätten ein langes Kabel und würden die Rakete neben einem Kindergarten starten.“ (Ein Oberstabsarzt, 34, Kundus 2009)
Es war schon kurios, dass sich Tereza und Max ausgerechnet auf einem Rummelplatz näher kennenlernten. Max besuchte solche Volksfeste so gut wie nie. Der billige Trubel und das Ramschige waren ihm zuwider. Mit den Fahrgeschäften konnte er nie etwas anfangen. Trotzdem hatte ihn eine Laune damals nach einem langen erschöpfenden Arbeitstag dort hin geführt. Auf eine Bratwurst, eine Tüte gebrannte Mandeln, als kleine Belohnung, dass er nach dem Nachtdienst den Tag auch noch durchgestanden hatte… Tereza traf er in der Straßenbahn. Sie war auf dem Heimweg… Später wusste sie selbst nicht mehr genau, warum sie der überraschenden Einladung des ärztlichen Kollegen, den sie bis dahin nur vom Sehen kannte, ihn zu begleiten gefolgt war. Der Tag endete im Bierzelt. Bei einer geteilten Maß Bier, munterer Blechmusik und Pommes, stellten beide fest, dass sie sich mehr zu sagen hatten, als das übliche alltägliche Arbeitsplatz-Gezwitscher…
Max hing an seiner Arbeit. Pläne, beim Militär auszusteigen und eine eigene Praxis zu gründen, hatte er immer wieder verschoben. Die Zeit, für die er sich hatte verpflichten müssen, um das Medizinstudium als Soldat absolvieren zu dürfen, war bereits abgelaufen. Tereza arbeitete als Zivilangestellte in der Klinik…
„Die Flaggen vor unserem Stab waren in letzter Zeit erfreulich häufig oben, das ist jeden Morgen der erste bange Blick, noch vor dem Briefing: kein Halbmast, keine gefallenen Kameraden.“ (Ein Stabsoffizier, 40, Kabul 2008)
In ihrer Trauer war sie schöner als jemals zuvor. Schöner und unerreichbarer als die junge Frau, die uns Max vor sieben Jahren als seine „Neue“ vorgestellt hatte. Damals spekulierten wir sofort, wie lange es diesmal gehen würde. Es war dann also doch für ein ganzes Leben gewesen. Das lange schwarze Haar, zum Pferdeschwanz gebunden, lag auf der Kapuze des Duffelcoat. Die Brille mit der rot-schwarzen Fassung war neu und schmückte schlicht. Ihre Augen lagen tief, blickten abwesend und müde irgendwohin, hellbraune Haut über hohen Wangenknochen, eine junge Frau, vor Jahren aus dem südöstlichen Europa nach Deutschland gekommen, weil in ihrem Heimatland Krieg war. Ein Krieg, dem ihre Familie entkommen konnte. Sie trug schwarze Stiefel zu dunkelblauen Jeans. Kleiner und dünner wirkend als im beruflichen Alltag, in dem sie eine den Patienten angenehme Autorität ausstrahlte, stand sie übersehbar und einsam im weiten Raum… Obwohl dicht neben ihr, war ich ihr in diesen Augenblicken, unmittelbar vor Ankunft des Flugzeuges, ferner denn je. Jede Berührung jetzt ausgeschlossen…
„Nächste Woche Montag ist Abflug. Seit drei Tagen fliegen uns wieder Raketen um die Ohren, ich hab die Schnauze voll, der Kleine (mein Diensthund) hat auch keinen Bock mehr. Mir geht’s nicht besonders, will heim.“ (Eine Stabsunteroffizierin, 30, Kundus 2009)
Auf CNN wurde ein iranischer Oppostions-Politiker von einem weißhaarigen Reporter interviewt … An der Espresso-Bar hatte sich eine Gruppe japanischer Touristen niedergelassen… Ein untersetzter Verbindungs-Offizier mit fleckigen schwarzen Schuhen kam zu uns, den Tereza wohl schon kannte. Er berichtete, dass die Maschine vor wenigen Minuten sicher gelandet sei… Viel mehr gab es dann für uns nicht zu tun oder zu sehen. Die Särge wurden direkt zur Carl-Goerdeler-Kaserne gebracht. Zum großen Zapfenstreich.