Fakten. Seit 20 Jahren gibt es inzwischen das große Lese-Festival parallel zur alljährlichen Buchmesse. Es findet nicht nur in den Messehallen, sondern auch und vor allem in ganz Leipzig statt, und längst ist daraus Europas größtes Lesefest geworden: Vier Tage, über 2000 Veranstaltungen, mehr als 1500 Autoren und Autorinnen. Sie treten an 300 unterschiedlichen Veranstaltungsorten auf, lesen aus ihren Werken, diskutieren auf Podien, stellen sich den Fragen der interessierten Öffentlichkeit. Baumwollspinnerei, Clownmuseum, Gerichtsgebäude, Schwimmbad und Klärwerk sind nur einige der kuriosen Einrichtungen an denen gelesen und in der Regel sehr intensiv zugehört wird.
Das war Ich. Bio boomt. Nein, nicht das eichelfressende, freilaufende Schnitzel, nicht der biodramatisch erzeugte Kohlrabi und auch nicht der Stoff der treibt. Bio im Wortschatz von Verlegern und Buchhändlern meint in einem weitem Sinne und in gedruckter Form alles Biographische. Ob alt, ob jung, inzwischen sind es allzuviele bekannte und weniger bekannte, bedeutende und weniger bedeutende Persönlichkeiten und Persönchen, die glauben schon so viel Leben und Erlebtes hinter sich zu haben, dass es sich lohnt darüber zu schreiben – oder schreiben zu lassen. Ob Eckart Lohse und Markus Werner mit ihrer leicht überholten, aber gut verkäuflichen Guttenberg-Nachdichtung, Veronica Ferres, die plötzlich feststellt “Kinder sind unser Leben”, Jürgen Todenhöfer mit der uneigennützigen Aufforderung “Teile dein Glück”, die blonde Bikini-Entwerferin Sony Kraus, die mit Zitronen handelt, der kölsch nuschelnde Wolfgang Niedecken, der uns von seiner Kindheit erzählen möchte oder der alterskluge Alfred Grosser mit einer Lebensbilanz – die angereiste Prominenz, all die Menschen, die man aus TV und Presse-Erzeugnissen zu kennen glaubt, verschaffen manchem Verlag und mancher Buchhandlung einen Zulauf, der nicht selten die vorhandenen Kapazitäten deutlich übersteigt. Die Veranstalter können sich jedenfalls darüber freuen, dass auch und gerade solche massenwirksamen Ereignisse zu immer neuen Rekorden bei den Besucherzahlen beitragen.
Lyrik. Freunde gereimter und ungereimter Poesie kommen bei „Leipzig liest“ allemal auf ihre Kosten. Die Wahl wird schwer fallen, denn das Angebot ist reichhaltig und bunt. Lyrik-Veranstaltungen gibt es u. a. wieder im Gohliser Schlösschen, bei der traditionellen „Lyrik im Schlösschen“. Am 17. März um 17.30 Uhr wird dort die Lyrik-Session der Leipziger Buchmesse 2011 mit Klaus-P. Anders, Helmut Braun, Wulf Kirsten, Reiner Kunze und Richard Pietraß eröffnet. – „Teil der Bewegung. Lyriknacht an Musik.“, lautet der Titel einer abendfüllenden Veranstaltung in der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Unter musikalischer Begleitung von Kat Frankie stellen Vertreter der neuen Lyrik ihre aktuellen Gedichtbände vor. Am 19. März ab 20 Uhr lesen in der Hochschule neben vielen anderen: Mary Jo Bang aus den USA, der Luxemburger Jean Krier, die Berlinerin Ulrike Almut Sandig und Mathias Traxler.
Krimi. Immer stärker in den Vordergrund tritt die deutsche Autorin Elisabeth Hermann, deren bisherigen Romane ebenso Berlin zum Schauplatz haben, wie ihr neuestes Buch, das sie auf der Messe vorstellt. “Zeugin der Toten” ist eine spannende Geschichte, mit origineller Hauptfigur und aktuellem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Es ist bei List als Hardcover erschienen; frühere Titel sind durchweg als Taschenbuch erhältlich. Ihr erster Roman „Das Kindermädchen“ wird zur Zeit mit Jan Josef Liefers in einer der Hauptrollen verfilmt. – Viele gute Krimis kommen ja bekanntlich aus den nordischen Ländern. Ganz neu in der Szene ist der norwegische Tenor, Schauspieler, Komponist und jetzt auch Autor, Øystein Wiik. Er bleibt bei seinen Leisten und siedelt sein erstes Buch im Opern-Milieu an: Die Hinrichtung in Tosca endet für den Star-Sänger tatsächlich tödlich, woraufhin Opernkritiker Hartmann recherchiert und sich damit in allerhand Kalamitäten bringt. Der Titel erscheint bei dtv und kommt erst am 1. April auf den Markt – kein Scherz! Øystein kann man aber bereits am 18. März um 13.30 im Nordischen Forum erleben. Ob er liest oder singt oder beides, ist (noch) nicht bekannt.
Der Norden. Gleich weiter mit einer Erzählerin und einer Poetin aus der ausgesprochen farbigen und breiten literarischen Szene Skandinaviens. Eine Statistik will wissen, dass jeder dritte Isländer im Laufe seines Lebens ein Buch schreibt. Der neue Roman der erfolgreichen isländischen Autorin Kristin Marja Baldursdottir erscheint leider erst im Herbst, dann ist Island bekanntlich Gastland der Frankfurter Buchmesse. In Leipzig gewährt die Schriftstellerin aber schon einmal einen kleinen Einblick und liest aus ihren bisherigen Werken. Auf Deutsch erschienen zuletzt “Möwengelächter” und “Hinter fremden Türen” – beide Titel sind als Taschenbuch zu haben. Reizvoll und ganz besonders sind die Texte der samischen Lyrikerin Inger-Mari Aikio-Arianaick, vor allem wenn sie diese selbst und in ihrer Muttersprache vorträgt. Sie stammt aus finnisch Lappland und ist am 18. März um 11.30 im Nordischen Forum zu Gast. Auf Deutsch gibt es von ihr den Titel “Lebensrad”, der 2009 im Wiener Verlag Timar erschienen ist.
Aufs Ohr. Der postbürgerliche Mensch putzt selbst, kocht selbst und macht auch als Heimwerker jederzeit “sein Ding”. Da ist es nur recht und billig, dass man nicht auch noch selbst lesen will. Wir lassen lesen! Und im Ernst: Gute Texte, ob klassisch oder neuzeitlich, von schönen geschulten Stimmen gelesen – das hat schon was. Nicht selten erlebt man bekannte Werke dann noch einmal ganz anders als beim eigenen Lesen und im individuellen Kopf-Kino. Das Hörbuch ist in Leipzig tradtionell besonders stark vertreten. Und natürlich ist auch der Hörbuchbereich gegenüber den Vorjahren wieder gewachsen. Mehr als 120 Aussteller, über 100 Veranstaltungen, sowie eine Präsentation der ARD-Rundfunkanstalten. Zudem und erstmals in diesem Jahr, ein ganz neues Forum für das Hörspiel: Die „Hörspiel-Arena“.
Halle. Ausnahmsweise nicht Glas- oder Messehalle, sondern Halle an der Saale, die Nachbar-Großstadt von Leipzig, in Sachsen-Anhalt gelegen und nur wenige Kilometer Luftlinie vom Leipziger Messegelände entfernt. “Wir lesen mit:” heißt das trotzige Motto der Händelstadt. Die Veranstaltungen gehen hier von Sonntag 13.3. bis Samstag 19.3. und dabei sind u. a. Clemens Meyer, Angela Krauß und John Lennon. John Lennon am Samstag-Abend im Hallensischen “Beatles Museum” und zwar “in seiner eigenen Schreibe.” Wer dort war, möge doch bitte Nachricht geben von der Erscheinung.
Leipziger Nächte. Zurück an Weiße Elster und Pleiße. Allseits sehr beliebt ist die jährliche “Lange Leipziger Lesenacht” in der malerisch unterirdischen Moritzbastei. Diesmal schon am Donnerstag, 17. März. Und damit auch Leipziger Nächte wirklich lang sind, beginnt die Veranstaltung schon um 19 Uhr. Mit dabei Jens Eisel, Claudia Klischat, Nils Mohl, Selim Özdogan, Donata Rigg, Ulrike Almut Sandit, Clemens J. Setz und die berühmten vielen anderen. Für Musik sorgt “watching me fall”. Allzutief geht das in dem Festungsgemäuer allerdings nicht mehr, an dessen Wiederherstellung und Ausbau zum Studentenclub dereinst eine deutsche Bundeskanzlerin als “Baustudentin”, wie das in DDR-Deutsch hieß, mitwirkte. Wer danach noch mit Clemens Meyer durch die Laibdscher Barszene gezogen ist, der kommt gerade recht zum “Wake-up Slam” – täglich 10.30 Uhr bei ARTE.
Das alles und noch viel mehr, bei „Leipzig liest.“