Sommerpause, Tucholsky, Ausblick

 

Mit einem Gedicht von Kurt Tucholsky, das er unter einem seiner zahlreichen Pseudonyme veröffentlichte, geht con=libri in die Sommerpause.

Bernd Michael Köhler hat es entdeckt und wir finden es passt nicht nur in den Sommer, sondern haarscharf und genau in unsere Zeit – wie übrigens so vieles das Kurt Tucholsky vor nunmehr etwa hundert Jahren erdachte und schrieb.

Im September geht es hier auf dem Blog weiter. Mit zwei Beiträgen über große Fabulierer in der deutschen Literatur; nach längerer Pause auch wieder einmal mit einer kleinen Satire; und – wenn alles klappt wie geplant – mit stimmungsvollen Impressionen von Exkursionen zu poetischen Orten, zu Städten und Dichtern und von Reisen durch schöne Landschaften.

 

Feldfrüchte 

Sinnend geh ich durch den Garten,
still gedeiht er hinterm Haus;
Suppenkräuter, hundert Arten,
Bauernblumen, bunter Strauß.
Petersilie und Tomaten,
eine Bohnengalerie,
ganz besonders ist geraten
der beliebte Sellerie.
Ja, und hier –? Ein kleines Wieschen?
Da wächst in der Erde leis
das bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.

Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik.
Bonzen, Brillen, Gehberockte,
Parlamentsroutinendreh …
Ja, und hier –? Die ganz verbockte
liebe gute S.P.D.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, doof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.

(Theobald Tiger)

Erstdruck in: Die Weltbühne, 21.09.1926, Nr. 38, S. 470 / dann wieder in: Tucholsky, Kurt: Mit 5 PS, Berlin: E. Rowohlt, 1928, S. 362

Hermann Müller: bis 1928 einer der SPD-Vorsitzenden und Fraktionsvorsitzender der SPD im Reichstag, dann ab 28.06.1928 letzter Reichskanzler mit parlamentarischer Mehrheit, der am 27.03.1930 zurücktreten musste. (Vom 27. März bis zum 6. Juni 1920 war ererstmals Reichskanzler).

1930 von Hanns Eisler als Lied vertont. Gemeinsame Auftritte mit dem Schauspieler und Sänger Ernst Busch. Gesang: Ernst Busch; Klavier: Hanns Eisler. Auf der LP Ernst Busch singt Hanns Eisler / Kurt Tucholsky (1967) enthalten. 2010 erschien die CD: Ernst Busch Live in Berlin 1960 Konzert in der Akademie der Künste der DDR. Auch darauf ist das vertonte Gedicht zu hören.

***

Beim einem späten Frühstück entstand Wulf Rehders sehr würzige zeitgemäße Variation des Tucholsky-Gedichts. Wir veröffentlichen sie mit seiner freundlichen Zustimmung.

Giftige Feldfrüchte von der anderen Seite des Atlantik

Sinnend geh ich durch den Garten
rund herum um’s Weiße Haus:
Korruption in allen Sparten,
Lügen, oh es ist ein Graus,
im Kabinett, bei Subalternen,
in Trumps Familiengalerie.

Herzlich schmettert aus den Fernen
Der Ku-Klux-Klan sein Kikeriki.
Donald Trump, Rassist und Hehler,
gehabt sich wohl in dem Geschmeiß,
dankt Gott für seinen treuen Wähler:
innen dumm und außen weiß.

Wulf Rehder gehört seit vielen Jahren zu den aufmerksamen Lesern von con=libri. Er hat zwei Wohnsitze, einen nördlich von San Francisco und einen (bevorzugten) in Potsdam bei Berlin, sowie zwei Pässe, einen amerikanischen und einen deutschen. Als junger Mann trieb er sich in akademischen Hainen herum, später in start-ups als umtriebener Manager. Inzwischen schreibt Wulf Rehder Essays und Bücher. Unter anderem:

Rehder, Wulf: Hallo Herr Goethe. Phantastische E-Mails seit Adam und Eva. – MV-Verlag, 2015 (vergriffen!)

Rehder, Wulf: Der deutsche Professor. Handbuch für Studierende, Lehrer, Professoren und solche, die es werden wollen. – tredition, 2017

Rehder, Wulf: Quisquilien zu Thomas Mann. Glossen und Gedankenkrümel. – tredition, 2017

 

Hin und weg

Nichts wie weg. Sommerfrische oder Fernreise, Städte- oder Bergtour. Sommerzeit ist Reisezeit ist Urlaubszeit. Kurz oder lang, fern oder nah, weg muss sein. Nicht zuletzt weil das Zurückkommen so schön ist. Das geliebte Zuhause genießt man um so mehr, wenn man es gelegentlich für einige Zeit verlässt um Ferne und Fremde zu erkunden.

Vielleicht zum Solidaritäts-Urlaub und zur Wirtschaftsförderung auf eine griechische Insel. Verbunden mit spannenden Währungsrisiken. Währungspolitik ist es, die seit einiger Zeit den Aufenthalt in den von mir geliebten Hoch- und Seitentälern der Schweizer Alpen erheblich erschwert bis verhindert. Auch der Aufenthalt in einer meiner Lieblingsstädte, dem literarischen Zürich, mit Spaziergang an den bergfrischen Wassern der Limmat, ist zum unerschwinglichen Luxus geworden.

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Für gemeine Euro-Bürger nur schwer erreichbar: Schweizer Hochtäler.

Bleibt die Kompensation des Verwehrten mittels Lektüre. Entsprechende Gedankengänge und Leseanregungen bieten Esther Scheideggers “Spaziergänge durch das Zürich der Literaten und Künstler”. Sie führt uns auf Wege die vor uns Joyce und Dürrenmatt, Max Frisch, Gottfried Keller, die Manns oder Therese Giehse gingen. In Zürich gab es keine Zerstörungen des Stadtbildes durch Kriege, nur den einen oder anderen Sündenfall der Kommerzialisierung. Doch abseits von Banken und Firmenzentralen kann man Viertel, Straßen, Gassen und Plätze von lebendiger urbaner Schönheit entdecken.

Dazu müsste man allerdings hin. Behelfen wir uns bis zum Kurssturz des Franken mit den fesselnden, hintergründig fundierten Zürich-Krimis von Michael Theurillat, dessen Kommissar Eschenbach seine liebe Mühe mit den Schweizer Verhältnissen hat. Oder folgen wir dem routinierten Erzähler Martin Suter, der uns äußerst lesbare Einblicke hinter die Kulissen der feinen Gesellschaft der Geld- und Weltstadt ermöglicht. Das und viel, viel mehr für Reisen und über ihre Ziele finden wir in unserer Lieblings-Buchhandlung, wo wir dann gleich mit weiteren anregenden Lese-Tipps versorgt werden. Ein Weg der sich natürlich nicht nur vor Reiseantritten lohnt. Zu Büchern, deren Preise dank Buchpreisbindung kalkulierbar und für die meisten Geldbeutel bezahlbar sind.

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Es führt kein Weg daran vorbei.

Wahre Traumreisen der Phantasie können beim Hören von Musik unternommen werden. Mit Smetana von der Quelle bis zur Mündung, perlend und dramatisch, die Moldau entlang. Frohen Mutes mit Strohhut, Picknickkorb und Beethovens sechster Sinfonie aufs Land. Oder mit der unvergleichlichen Stimme von Alice über den Sankt Petersburger “Prospettiva Nevski” promenieren. Sie singt in der gleichnamigen Canzone: “eines Tages traf ich auf dem Nevski Prospekt Igor Stravinsky”.

Mag ja sein. Aber “Kommando Elefant” waren schon mit Wittgenstein in der Kneipe. Die Jungs von der Blauen Donau nehmen uns sogar ganz lässig bis Alaska mit, und verbreiten dabei noch das passende Lebensgefühl: “lass’ die Dinge sein, wie sie niemals war’n”. Weil dem so ist, lassen uns Sibelius Tondichtungen sanft und entrückt über die unendlichen Weiten finnischer Wälder und Seen gleiten. Um schließlich mit Wolfgang Ambros auf dem Wiener Zentralfriedhof zu landen. Leben wie Reisen: Immer unterwegs, in einem fort irgendwo zwischen Aufbruch und Endstation.

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Westallgäuer Zufluchten

Zu kurzen Auszeiten zieht es mich bekanntlich gerne ins bodenseenahe Westallgäu. An Moorseen und schlängelnden Bächen, in Wäldern, auf Weiden und sanften Vorbergen mit überraschenden Ausblicken, auf unverhofften Lichtungen, in Kleinstädten, blumengeschmückten Dörfern und verstreuten Höfen, findet der Zivilisationbürger jene kleinen Zufluchten, menschenleeren Wege und verborgenen Leseplätze, die Wichtig und Richtig, Empörung und Zerstreuung des Alltags für eine Weile ihre Bedeutung nehmen. Der zweiwöchige Erholungsurlaub, der im August ansteht, wird hingegen in einer anderen, ebenfalls bergnahen Region verbracht.

Fast zum Schluss ein Geständnis: Den Titel für diesen Blog-Eintrag habe ich geklaut! Feiner ausgedrückt: Zur Überschrift über diesen Beitrag wurde ich durch die hochsommerliche Doppel-Ausgabe der Zeitschrift “DAS MAGAZIN” angeregt. Ein bunt-keckes, unterhaltsames Kleinformat, nicht ohne Anspruch, dessen Ursprünge sich bis ins Berlin der 1920er Jahre zurückverfolgen lassen.

“Hin & weg” lautet der Titel des aktuellen Schwerpunktheftes und im Untertitel heißt es verheißungsvoll: “Ab in die Wüste, zu Rita in den Hinterhof oder als Schisser um die Welt.” Für “DAS MAGAZIN” schreiben, neben vielen unentdeckten Talenten, Stefan Schwarz, der im letzten Jahr mit seinem Roman “Die Grossrussin” für satirisch-spannende Abwechslung sorgte und Kirsten Fuchs die derzeit mit ihrem All-Ager “Die Mädchenmeute”, einem echten Abenteuerbuch für Pubertierende aller Altersstufen, unterwegs ist.

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Was uns weg bringt.

In Franz Kafkas kurzer Parabel „Der Aufbruch“ (1922) schwingt sich ein Ich-Erzähler auf das gesattelte Pferd und nennt dem verdutzten Diener „weg von hier“ als sein Ziel. Ob man im Sommer verreist oder zuhause bleibt, mit guter Literatur begibt man sich auf eine – so heißt es bei Kafka – „wahrhaft ungeheure Reise“.

Weg ist nun con=libri für einige Wochen. Und irgendwann so gegen Mitte September wieder da. Dann wird die Tür geöffnet und nachgeschaut, ob der Herbst bereits davor steht. Außerdem gibt es Lokalberichterstattung. Für alle, die schon immer wissen wollten, was Hermann Hesse eigentlich mit Ulm zu tun hatte. Die vielen neuerscheinenden Bücher, zahlreich wie die bunten Blätter, die dann von den sommermüden Bäumen schweben, werden natürlich einmal mehr eine wichtige Rolle spielen.

Bis dahin.