Traunstein und Thomas Bernhard. Ein Ausflug.

Chiemgau, Oberbayern.

Es war wieder einmal so weit. Wenige wertvolle Wochen Pause von Benzindunst und Schwarm-Existenz der Großstadt. Ein Entkommen. Landluft und Streusiedlungen. Kleine Dörfer um Kirchen und Gasthöfe. Menschenarmes Abseits. Die selbst gewählte Multimedia-Abstinenz zwingt dazu nach eigenen Antworten zu suchen. Was blüht im Moor? Was wächst im Wald? Was ist der Mensch? Schmale Wege über Hügel vor alpiner Kulisse. Wollenfreies Ruhen an abgelegenen Bergseen. Weißblauer Himmel, sattgrüne Wiesen. Bauernbrot und Buttermilch. Wammerl (1) und Weißbier. Jetzt Jodeln können!

Im Chiemgau sagt man Stiegen zu den Treppen. Wie im nahen Österreich.

Brez’n an Brez’n. Semmel an Semmel. Hefezöpfe. Bäckerei an Bäckerei liegt auf dem Weg vom oberen Ende der hölzernen Apotheker-Stiege ins Herz von Traunstein, dem Stadtplatz. – Traunstein an der Traun. Vom früheren Salzhandel zeugen die Salinenhäuser und die Salinenkapelle. Es gibt ein Druckerei-Museum, das Heimat-Museum im Brotturm und das Stadt- und Spielzeugmuseum. Der Weg des empfohlenen Rundgangs führt daran vorbei. Und an den Jugendstilhäusern, dem Obelisken, der städtischen Galerie. Die Kirche eines ehemaligen Kapuziner-Klosters wird heute für Ausstellungen, Lesungen und Konzerte genutzt.

Der Fluss umschließt die Kernstadt von drei Seiten. Aus drei Himmelsrichtungen führen Stiegen und steile Wege vom Flusstal hoch zur Innenstadt. Der Stadtplatz ist großräumig heimeliger Mittelpunkt. Vor dem Eingang der barocken Pfarrkirche St.Oswald steht eine lebensnahe Ratzinger-Büste. Gleich nach dem Gotteshaus kommt der Marktbrunnen mit seiner Rolandsfigur. Rundum Cafès und Gaststätten, kleine und etwas größer Läden. Blumenpracht am Brunnen und in Kübeln auf Kopfstein-Pflaster. Samstag ist Markttag: Gemüse und Obst aus Ober- und Niederbayern, Meierei- und Molkerei-Erzeugnisse aus nahen Dörfern, noch mehr Brez’n, Semmeln und duftendes Gebäck.

“Traunstein, entsetzlich!” rief der bekennende Kleinstadtverächter und Großvater Thomas Bernhards, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, als er in den 1930er- und 1940er-Jahren mit Frau, Tochter und Enkel mehr oder weniger freiwillig hier lebte.

Thomas Bernhard der Österreicher, der große Dramatiker und Erzähler, der Schwierige und chronisch Kranke, der Nestbeschmutzer, wurde am 9. Februar 1931 in Heerlen, Niederlande geboren. Um in der österreichischen Provinz nicht unehelich entbinden zu müssen, war die Mutter mit Unterstützung einer Freundin, weit weg in ein klösterliches Heim für ledige Mütter geflüchtet. Da hatte sich der leibliche Vater längst aus dem Staub gemacht.

Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte Thomas Bernhard mit den Großeltern. 1938 war man nach Traunstein gekommen. Während die Mutter zentral in der Schaumburgerstraße, Ecke Taubenmarkt wohnte, hatte sich Johannes Freumbichler mit seiner Frau, seiner umfangreichen Bibliothek und seiner unnachgiebigen Kleinstadt-Verachtung in einem nahen Dorf niedergelassen.

Die Frau sorgt als Hebamme für ein regelmäßiges Einkommen, während der Mann anarchistisch quer denkt, viel schreibt, aber wenig veröffentlicht, und mit dem Enkel Thomas gerne und oft spazieren geht. Bildungsgänge sind das für den Jungen, der in der Volksschule nicht zurecht kommt. Die Mutter ist mit der Erziehung des schwierigen, wohl hochbegabten Sohnes, völlig überfordert. Sie macht ihn für ihr persönliches Scheitern verantwortlich. 1941 verbringt der Zehnjährige deshalb einige Monate in einem Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche im thüringischen Saalfeld. 1943 wird er in einem Internat in Salzburg untergebracht.

Über diese Traunsteiner Kindheit voller Armut, Not, Missachtung und Züchtigung, schreibt Thomas Bernhard in seinem Buch “Ein Kind”. Das Leben der Mutter ist geprägt von persönlichen Enttäuschungen, Misserfolgen und fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz. Das Kind ist von Anfang an ein Klotz am Bein. Der bescheidene mütterliche Normenkanon wird dem gerade einmal sieben Jahre alten Sohn mit Schlägen und dem Verlangen nach bedingungsloser Unterordnung nahegebracht. Im zeitgeschichtlichen Umfeld hat der nationalsozialistische Aufmarsch, die Durchdringung des Alltagslebens mit braunem Dung, längst begonnen.

“Du bist mein ganzes Unglück, Dich soll der Teufel holen! Du hast mein Leben zerstört!…Du bist ein Nichts, ich schäme mich Deiner! Du bist ein Nichtsnutz wie Dein Vater! Du bist nichts wert! Du Unfrieden-Stifter! Du Lügner! … Das ist nur eine Auswahl ihrer (der Mutter) von Fall zu Fall gegen mich ausgestoßenen Verfluchungen, die nichts als ihre Hilflosigkeit mir gegenüber bewiesen…Die größte Enttäuschung ihres Lebens, die größte Niederlage, als ich auftrat, war sie da…So war die Liebe meiner Mutter zu mir, dem unehelichen Kind, immer von dem Haß gegen den Vater dieses Kindes unterdrückt.”

Eine Kindheit in diesen Jahren war in vielen Häusern kein Paradies. Das Leben in der Kleinstadt keine Idylle. Arbeitslosigkeit, Inflation, Verwahrlosung und Entmündigung breiter Bevölkerungsschichten waren die Realität. Rundum ist der Tod allgegenwärtig. Thomas Bernhard wohnt mit seiner Mutter über einem Geschäft für Trauerbedarf. Die Menschen sterben aus Armut, an Banalitäten oder an früher Altersschwäche. Schon dem Achtjährigen sind Gedanken an Selbstmord geläufig. Trotz der traurigen Wahrheiten ist “Ein Kind” ein ausgesprochen fesselndes Lese-Erlebnis. Das Buch ist flüssig geschrieben. Wie bei Thomas Bernhard meist, aus einem Guss – auch im Satzbild. Die Lektüre lässt den Leser betroffen und berührt zurück.

Thomas Bernhard studierte später an Hochschulen in Wien und Salzburg u. a. Dramaturgie und Schauspiel. Er wird einer der bedeutendsten deutschsprachigen Erzähler und Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Mit seinen oft provozierenden Texten und deren Aussagen, sorgte er immer wieder für Turbulenzen und Kontroversen im Kulturleben. Seinem Vaterland und dessen herrschender Schicht stand er kritisch und distanziert gegenüber und machte sich damit reichlich Gegner und Feinde. Immer wieder setzte sich Bernhard, der mit 16 Jahren an einer Lungentuberkulose erkrankte, die nie wieder ganz ausheilte, mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs auseinander. Er warf der Mehrheitsgesellschaft Bagetellisierung und Verdrängung der Rolle Österreichs während der Hitler-Herrschaft vor und schreckte dabei vor keiner Deutlichkeit zurück. Thomas Bernhard starb am 12. Februar 1989 in Gmunden im Salzkammergut.

Im heute alles andere als armen und tristen Traunstein, wird die Erinnerung an den Schriftsteller und an seine Kinderjahre in der Stadt lebendig gehalten. In der Buchhandlung am Stadtplatz ist “Ein Kind” gleichberechtigte Stapelware neben den in diesem August unvermeidlichen “Shades of Gray”; im Regal findet man weitere Werke Bernhards. Um die Ecke, auf dem Weg zum Taubenmarkt, kommt man am ehemaligen Wohnhaus vorbei. Eine Erinnerungstafel informiert aufmerksame Passanten. Von dort sind es nur noch wenige Schritte zur “Thomas-Bernhard-Stiege”, die zur Traun und ihren Auen hinunter führt. Von oben sieht man den Viadukt, über den in kurzen Abständen Züge nach Salzburg oder München fahren und der in der Phantasie des unangepassten Großvaters Freumbichler und seines Enkels eine besondere Rolle spielte:

“Diese Eisenbahnbrücke war das gewaltigste Bauwerk, das ich bis dahin gesehen hatte. Wenn wir nur ein ganz kleines Dynamitpäckchen an einem einzigen  der Träger anringen und zur Explosion bringen, dann stürzt die ganze Brücke unweigerlich ein, sagte mein Großvater…Die Vorstellung, daß ein Päckchen Sprengstoff von der Größe unserer Familienbibel genügt, um die weit über hundert Meter lange Brücke zum Einsturz zu bringen, faszinierte mich wie nichts.”

Sie steht immer noch, die Brücke. Einen guten Blick darauf hat man von der großen Terrasse des Gasthofs und Brauerei-Ausschanks Schnitzlbaumer am Taubenmarkt. Es lohnt sich dort einzukehren, eine typische bayerische Mahlzeit zu verzehren und dabei den gemächlich dahinfahrenden Zügen hinterherzuträumen. Oder man folgt auf einem geführten literarischen Spaziergang den Spuren Thomas Bernhards. Willi Schwenkmeier, ein Lehrer, Journalist und guter Kenner des Schriftstellers und seiner Arbeiten, führt durch die historische Altstadt und zu Schauplätzen in Thomas Bernhards Werken.

Die nächsten Führungen finden am 29. September und am 6. Oktober, jeweils um 15 Uhr statt. Dauer etwa 2 Stunden, Kosten 5 Euro, Infos und Anmeldung bei der Stadtbücherei Traunstein:
Tel. (08 61) 16 44 80
E-Mail:  info@stadtbuecherei-traunstein.de.

(1) Wammerl = Bayerisch für Schweinebauch, gegrillt, geräuchert, gekocht.)

Bernhard, Thomas: Ein Kind. – Salzburg und Wien, 1982

„Ein Kind“ ist der letzte Band der fünfteiligen autobiographischen Schriften Thomas Bernhards: Die Ursache. Eine Andeutung, Der Keller. Eine Entziehung, Der Atem. Eine Entscheidung, Die Kälte. Eine Isolation, Ein Kind. Die gebundenen Ausgaben aller Bände sind bei Residenz, die Taschenbücher bei dtv erschienen.

Thomas Bernhard – Ein Nachtrag

Inzwischen liegt der 80. Geburtstag des Erzählers und Dramatikers Thomas Bernhard schon wieder über eine Woche zurück und der Strom der Jubiläums-Gefälligkeiten in den Medien ebbt langsam ab. Es war viel Stereotypes und viel Wiedergekäutes dabei. Doch heute ist es erneut die „Süddeutsche Zeitung“, die einen einfühlsamen, differenzierten und umfangreichen Nachtrag in ihrem Feuilleton bringt. (Ausgabe vom 17. Februar 2011, S. 15) Michael Frank konzentriert sich in seiner Betrachtung auf die Reaktionen im „Heimatland“ des zu Hause herzlich Ungeliebten. Unter dem Titel „Ehre dem Nestbeschmutzer“ behauptet er, „die Österreicher haben einen Weg gefunden, Thomas Bernhard zu feiern: indem sie ihn zum Kabarettisten erklären.“

Wer Thomas Bernhard gerne ganz frisch gedruckt kaufen und lesen möchte, der wird bei dtv fündig. Der Verlag hat den fünfteiligen biographischen Zyklus „Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“ und „Das Kind“ in ansprechenden, preiswerten Neuauflagen herausgebracht. Der Autor  setzt sich in diesen Werken mit seiner vaterlosen, von Repression und Krankheit geprägten, Kindheit und Jugend im keineswegs entbräunten Nachkriegs-Österreich auseinander.

dtv und Thomas Bernhard

Die lange Liebe zur Zeitung

Oder warum ich irgendwann Thomas Bernhard lesen werde

Obwohl der bunte und laute eBook-Rummel immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, bleibe ich gelassen. Für den Rest meiner Lebensspanne sind genügend gedruckte Bücher vorhanden und werden noch reichlich neu erscheinen. Doch denke ich an die Zukunft der gedruckten Zeitung, wird mir schon etwas mulmiger. Dabei bin ich gerade von diesem Medium so völlig abhängig. Von klein auf und für immer. Geruch und Geknister. Überformat und Überschrift. Gefaltet oder ausgebreitet. Öliges Schwarz das schmiert. Tag für Tag. Einfach. Kompliziert. Ohne Zeitung geht es nicht. Nie. Nirgends. Morgens zum allerersten Kaffee das selbstverliebte Lokalblatt, aus der besten aller Städte, Präsentierteller eitler Provinz-Prominenz. Ein Platz für Helden. Mittags Sport in SZ, FAZ, FR, TAZ oder Schduddgarder. Abends Feuilleton in SZ, FAZ, FR, TAZ oder NZZ. Wöchentlich FAS, TAS, derFREITAG oder – wenn gar nichts sonst greifbar – auch mal WAMS. DIE ZEIT? Die Zeit der ZEIT ist vorbei. Boulevard und Trivialbrei machen sich zunehmend breit im einst liberal-intellektuellen Muss für alle die mitreden wollten.

Ich werde nie Thomas Bernhard lesen! Nie. Nirgends. Das war bisher so sicher wie Blüms Rente. Thomas Bernhard würde ich nicht lesen. Dieses absatzlose Jammertal, diesen triefenden Ich- und Weltschmerz, das endlose Leiden an Österreich und Österreich und wieder Österreich, wollte ich mir ersparen. Auch das fortwährende Draufhauen auf echte und vermeintliche Nazis und Katholiken; verständlich zwar, aber sich stark abnützend. „In jedem Wiener steckt ein Massenmörder, aber man darf sich die Laune nicht verderben lassen.“

Und es gibt weitere Leserzumutungen, wie seine zahlreichen punktarmen, kommareichen Passagen. Die langen Sätze voll Wort- und Begriffswiederholungen. “Die Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie” – der durchaus witzige Text über die Verleihung dieses Preis an ihn, Thomas Bernhard, geht über zwölfeinhalb Seiten und n-mal lesen wir “Die Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie”. Der Autor begründet: “ich bemühe mich naturgemäß immer um den ganzen korrekten Titel” und schert sich wenig um liebe Müh‘ und Not seiner Leser.

Natürlich, und jetzt gerate ich fast und wie nebenbei ins Lobende, verleiht das der flüssigen Sprachmelodie einen gewissen Rhythmus. Natürlich schimmert hinter dem fortwährenden Haudrauf literarischer Glanz; doch zu leicht werden spitze Ironie und galgenhumorige Komik dabei übersehen. Auf gar keinen Fall aber kann ich ihm seine Absatzlosigkeit nachsehen, denn die macht es nahezu unmöglich, wie gewohnt die Lektüre an beliebiger Stelle zu unterbrechen; und ich lasse mir als Leser auch von meinen verehrtesten Dichtern und Dichterinnen nicht gerne Unterbrechungslosigkeit vorschreiben.

Die Veränderung in meinem Weltbild begann am 23. Februar 2010. Da entdeckte ich Thomas Bernhard als Artgenossen. In der Wochenzeitung derFREITAG berichtete der Autor Michael Angele über die “Leiden des Zeitungssüchtigen”. Er ließ keinen Zweifel aufkommen, dass es ihm um die gedruckte Version des fast vierhundert Jahre alten Nachrichten-Trägers geht.“ Idealerweise sollte man diesen Text in der gedruckten Ausgabe des Freitag lesen.”

Das habe ich gemacht und jemanden gefunden, der mir aus dem Herzen sprach. Dem es in wunderschönster und pointierter Weise gelang über Freud und Leid des gemeinen langjährig Zeitungsabhängigen zu schreiben. Unter anderem ging es um die Schwierigkeiten die auftreten können, wenn man versucht, tagesaktuelle Zeitungen der eigenen Muttersprache (hier: Deutsch) in einem entlegenen anatolischen Bergdorf oder italienischen Badeort, einer märkischen Flächengemeinde oder Kleinstadt der Mittelheide zu beschaffen, wobei BILD hier ausdrücklich nicht mitspielt.

Angele schildert in diesem Zusammenhang, wie Thomas Bernhard einen ganzen Tag durch halb Südbayern und ein Drittel Österreich fuhr um die NZZ des Tages zu erwerben. “350 Kilometer Hass auf „Drecksorte“, in denen es die „Neue Zürcher“ nicht gibt.” Das konnte ich mühelos nachvollziehen; war mir doch Ähnliches immer wieder an nur scheinbar erholsamen Urlaubstagen widerfahren. Thomas Bernhard selbst beschreibt das Original-Erlebnis in dem autobiographischen Buch “Wittgensteins Neffe”.

Es war immer noch Februar und immer noch Zweitausendzehn, als dieses Werk als allererstes von Thomas Bernhard den Weg ins häusliche Bücherregal fand – Abteilung: Neuzugänge. Es ist eine traurige Geschichte, mit viel Tod und Krankheit, aber mit eben dieser herrlichen Passage über eine unheilbare Zeitungssucht.

Detailgetreu wird uns von der grotesken Odysee erzählt, die von Ort zu Ort führt, u. a. nach Salzburg, Bad Reichenhall, Steyr und Wels, aber nicht zur Tagesausgabe der NZZ. Bernhards Fazit: “Da wir in allen diesen angeführten und von uns an diesem Tag aufgesuchten Orten die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommen haben … kann ich alle diese aufgeführten Orte nur als miserable Drecksorte bezeichnen, die absolut diesen unfeinen Titel verdienen. Wenn nicht einen dreckigeren. Und es ist mir damals auch klar geworden, daß ein Geistesmensch nicht an einem Ort existieren kann, in dem er die Neue Zürcher Zeitung nicht bekommt.“

Ich selbst existiere und lebe in einer kleinen süddeutschen Groß- und Universitätsstadt. Und als ich neulich über einen der schmucken Plätze dieser Stadt schlenderte, gingen vor mir zwei Mädchen, junge Frauen, ins Gespräch vertieft, und eine von beiden seufzte: “Ach Berlin. Ulm ist überwältigend.” Fast alle deutschsprachigen Zeitungen sind hier für mich und Tag für Tag problemlos verfügbar. Unter all den lesenswerten, mir vertrauten Blättern, habe ich über die Jahre hinweg immer wieder gerne und oft zur Süddeutschen Zeitung gegriffen.

Während unser lokales Pflichtblatt vor einigen Tagen, als sich in Ägypten Weltgeschichte ereignete, auf der Titelseite mit der Zeile “Ken wird 50” und einem großen farbigen Bild des Plaste-Produkts und Barbie-Gefährten aufmachte, erklomm die SZ am Freitag den 4. Februar einen neuen Gipfel des Qualitäts-Journalismus. Auf Seite 3 erschien, sechsspaltig und mit ebenso breitem schwarzweißen Portrait-Bild, “Der Weltverbesserer … Thomas Bernhard würde jetzt 80 Jahre alt werden. Eine Winterreise und Geburtstagswallfahrt”, von Benjamin Henrichs. Ein Artikel der noch einmal nachdrücklich, weit ausholend und originell zu Lektüre und Beschäftigung mit dem großen, queren österreichischen Dramatiker und Erzähler anregt. Eine deutsche Tageszeitung, die ihre ganze prominente Seite einem toten Dichter widmet: “Am 12. Februar 1989, drei Tage nach seinem 58. Geburtstag, ist Thomas Bernhard in Gmunden gestorben … Begraben wurde der Dichter in Wien, auf dem Grinzinger Friedhof, ohne dass es die Öffentlichkeit bemerkte, genau so also, wie er es immer gewollt hatte.”

„Es ist wie es ist, und es ist fürchterlich.“ Thomas Bernhard litt fast sein ganzes Leben an einer unheilbaren Lungenkrankheit. Am 9. Februar 2011 wäre er 80 Jahre alt geworden.

Ich habe längst begonnen, Thomas Bernhard zu lesen.

 

Bernhard, Thomas: Wittgensteins Neffe. – Suhrkamp, 2006

Bernhard, Thomas: Meine Preise. – Suhrkamp, 2009

Henrichs, Benjamin: Der Weltverbesserer. – In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 28, 4. Februar 2011, S. 3

Angele, Michael: Warum wir Zeitungen brauchen, derFREITAG, 23.2.2010

und hier: http://www.freitag.de/kultur/1008-warum-wir-zeitungen-brauchen