Thomas Mann und München

Einer der meistzitierten und meistverwendeten Sätze Thomas Manns lautet: „München leuchtete.“ Das Zitat steht heute gerne für den Nachweis urbaner Lebensqualität, synonym für eine Stadt als kulturelles Zentrum mit Ausstrahlung, auch als Werbung für die Stadt München an sich. Mit diesem Satz beginnt die Erzählung „Gladius Dei“. Vollständig lautet deren erster Absatz:

„München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten schönen Junitages.“

mariensäule vor der frauenkirche

Während hier scheinbar das Klischee einer bayerischen Idylle bedient wird, handelt die dann folgende Geschichte ganz allgemein von der teilweise naiven Trivialität des Münchener Kunstverständnisses und von einem peinlichen persönlichen Scheitern. Es ist die Geschichte eines religiösen Eiferers, ja eines Fanatikers, und seines versuchten und kläglich misslungenen Versuchs eines Sturmlaufs gegen die Freiheit der Kunst. Dem heutigen Leser fallen sofort Parallelen zu religiös motivierten Bilderstürmern unserer Tage ein. Das Ganze endet tragisch-komisch und spätestens jetzt wird klar, dass es sich bei den Worten „München leuchtete“ um die für Thomas Mann so typische Ironie handelt.

Thomas Mann lebte über 39 Jahre in München – fast die Hälfte seines Lebens. Seine Gefühle gegenüber dieser Stadt waren von Anfang an ambivalent.

Wenn man so will, hatte Thomas Mann München ja viel zu verdanken. Mit dem Umzug von Lübeck in die bayerische Hauptstadt nahm das Leben des jungen Lübeckers seine entscheidende Wende, begann seine berufliche Laufbahn als Schriftsteller. „Erst aus der Ferne wird die Besonderheit der lübeckischen Herkunft bewusst. Erst der Verlust der Kindheits- und Jugendwelt macht die Erinnerungen daran zu Spielmaterial.“, schreibt Hermann Kurzke in seiner, der derzeit besten und gültigsten, Thomas-Mann-Biographie. (Eine ähnliche Voraussetzung für eine dichterische Laufbahn erleben wir, wenn auch unter anderen Vorzeichen, etwa fünfzig Jahre später bei Günter Grass.)

Wie viel eigene Meinung des jungen Autors mag wohl in den Worten verborgen sein, die er seiner Toni Buddenbrook in den Mund legt, die allerdings, das muss man berücksichtigen, soeben eine zweite heftige Ehe-Enttäuschung hinter sich hat? „Akklimatisieren? Nein, bei Leuten ohne Würde Moral, Ehrgeiz, Vornehmheit und Strenge, bei unsoignierten, unhöflichen und saloppen Leuten, bei Leuten, die zu gleicher Zeit träge und leichtsinnig, dickblütig und oberflächlich sind…bei solchen Leuten kann ich mich nicht akklimatisieren.“ Mann selbst hielt in einem Brief an den norddeutschen Freund Grautoff nicht hinter dem Berg: „…dies München – habe ich es noch niemals gestanden? – wie herzlich bin ich seiner überdrüssig! Ist es nicht die unlitterarische Stadt par excellence? Banale Weiber und gesunde Männer – Gott weiß, welche Fülle von Missachtung ich in das Wort „gesund“ versenke!“ Da war er 21 Jahre alt und lebte seit zwei Jahren in München. 1926, inzwischen über 50jährig, drückt er sich differenzierter und gewählter aus, am Grundtenor des Urteils hat sich aber eigentlich nicht viel geändert:

„Das Künstlerische und das Geistige, das Plastische und das Kritische, sind heute gar nicht mehr auseinanderzuhalten: eine Tatsache, die München nahe angeht. Denn München wird nur dann in Deutschland und in der Welt an der Spitze bleiben oder wieder an die Spitze kommen, wenn es nicht nur eine sinnenfrohe, sondern auch eine geistige, geistfreundliche, geistwillige, nicht nur künstlerische, sondern auch eine literarische Stadt ist.“

Die 39 Jahre die Thomas Mann mit seiner Familie in München verbrachte waren voller wichtiger Ereignisse, voller Höhepunkte; sie hätten genügt für mehr als ein Schriftstellerleben.

Am 18. Juli 1900 – er wohnt in der Schwabinger Feilitzschstraße – schreibt Thomas Mann die letzten Zeilen der Buddenbrooks. Das Originalmanuskript wird sogleich per Wert-Sendung an den Verlag S. Fischer in Berlin gesandt. „Eben habe ich mich, beim Versiegeln meines Romans, grässlich mit Lack verbrannt. Schreiben kann ich solch Buch wohl; aber es nach Berlin zu schicken ist eine Kunst für sich.“ Nach langem Hin und Her um Kürzungswünsche des Verlags, erscheint die zweibändige Erstausgabe in einer Auflage von 1000 Exemplaren im Oktober 1901. Der Erfolg beim breiten Publikum setzt allerdings erst ein, als eine preisgünstigere Ausgabe in einem Band erscheint. Der junge Schriftsteller ist jetzt materiell unabhängig, aber weit entfernt von der angestrebten großbürgerlichen Lebensführung. Der Weg dorthin wird geebnet durch Bekanntschaft, Verlobung und Hochzeit mit Katja Pringsheim, einem begabten Mädchen aus wohlhabenden Haus und die Tochter des Mathematik-Professors und kunstsinnigen Mäzens Alfred Pringsheim und dessen Gattin und ehemaligen Schauspielerin Hedwig, Enkelin von Hedwig Dohm, Schriftstellerin, Publizistin und Feministin, eine Art Alice Schwarzer des 19. Jahrhunderts. Die Trauung findet am 11. Februar 1905 statt; die Hochzeitsreise führt das Paar nach Zürich. „Das ganze war ein sonderbarer und sinnverwirrender Vorgang, und ich wunderte mich den ganzen Tag, was ich da im wirklichen Leben angerichtet hatte…“ Im November des gleichen Jahres kommt das erste Kind, die Tochter Erika. Das Ehepaar wird sechs Kinder bekommen, alle erblicken in München das Licht der Welt und wachsen in dieser Stadt auf.

Katharina_Mann_1905Im Februar 1913 wird das Grundstück Poschingerstraße 1, nahe dem rechten Isarufer, erworben, als Besitzerin ist im Grundbuch Katja Mann eingetragen. Der Einzug in das neue Haus, eine herrschaftliche Villa, in damals noch ruhiger Vorstadtlage, findet am 5. Januar 1914 ohne Katja statt. „Ich bin sehr bekümmert, dass meine Frau nicht mit Einzug halten konnte. Sie ist seit vorgestern in Arosa: Man verlangte abermals einen mehrmonatigen Hochgebirgsaufenthalt. Es ist hart.“ Das Lungenleiden, das die Ehefrau zu mehreren Aufenthalten im Schweizer Hochgebirge zwingt, verschafft dem Gatten und Schriftsteller reichlich Material, das er im „Zauberberg“ verarbeitet. Die Arbeit daran hatte Mann 1914 begonnen, sie wurde durch den ersten Weltkrieg unterbrochen und schließlich erst 1919 fortgesetzt. Das Werk erscheint 1924.

Zum 50. Geburtstag am 6. Juni 1925 lädt die Stadt München zu einer offiziellen Feier im Alten Rathaussaal. Festvortrag des Philologen Franz Muncker, Rede des Ersten Bürgermeisters Karl Scharnagl, der im folgenden Jahr zum Oberbürgermeister gewählt wird, eine bewegende Ansprache des Bruders Heinrich; Gäste sind neben vielen anderen Stefan Zweig, Alfred Kubin, Hans Pfitzner, Gerhard Hauptmann und Hugo von Hofmannsthal. Thomas Mann dankt gerührt: „Auf jeden Fall ist es eine wundervolle, tief dankenswerte Sache, einem großen Kulturvolk, wie dem deutschen, anzugehören, von seiner Sprache getragen zu sein…“

1929 erscheint „Buddenbrooks“ in einer preisgünstigen Sonderausgabe für 2,85 Mark, was im Buchhandel für einigen Wirbel sorgt. Im Herbst erhält der Münchener Groß-Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur und wird weltweit gefeiert. Mehr dazu in diesem Blog und an dieser Stelle:

Nobelpreis für Thomas Mann

„Meine Gesundheit ist nicht die beste, die Nerven, der Kopf sind recht ermüdbar. Ich habe ein bisschen viel zu tragen, auch zu vielerlei.“ Mit dieser Klage beginnt das Jahr 1933, das einschneidende Veränderungen für die Familie Mann bringen wird. Am 30. Januar wird Adolf Hitler Reichskanzler, ab März 1933 werden jüdische Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker, aus ihren freien Berufen gedrängt, von ihren Verbänden ausgegrenzt und erhalten Berufsverbot, werden jüdische Geschäfte boykottiert. Am 10. Mai 1933 finden in Berlin und in 21 anderen deutschen Städten groß inszenierte öffentliche Bücherverbrennungen statt, darunter Werke von Arnold und Stefan Zweig, Jakob Wassermann, Kurt Tucholsky, Heinrich und Klaus Mann. Anfang dieses Jahres wird in ganz Deutschland dem 50. Todestages Richard Wagners gedacht; den Komponisten hatte die nationalsozialistische Bewegung für sich vereinnahmt und in den Mittelpunkt einer kulthaften Verehrung gestellt.

Wagner und Mann

Zum Jubiläum hält Thomas Mann auf Einladung der Münchener Goethe-Gesellschaft am 10. Februar im Auditorium Maximum der Universität den Vortrag „Leiden und Größe Richard Wagners.“ Eine der besten und wohlformuliertesten Beiträge zum Jubiläum, wie unabhängige Stimmen dem Wagner-Verehrer Thomas Mann bescheinigen werden. Als Ganzes ein Text hymnischer Zueignung, der allerdings Differenzierungen nicht ausspart. So heißt es zum Beispiel: „Die Vereinigungsidee der Künste selbst hat etwas Dilettantisches und wäre ohne die mit höchster Kraft vollzogene Unterwerfung ihrer aller unter sein ungeheures Ausdrucksgenie im Dilettantischen stecken geblieben“. Weite Kreise des kulturellen Establishments in der bayerischen Metropole stoßen sich an solch kritischen Ansätzen. Niemand darf es ihrer Ansicht nach wagen, das nationale Symbol Wagner in die Nähe des Dilletantismus zu rücken.

Es war, als hätte die Stadt nur darauf gewartet, dem weltläufigen Literaten beikommen zu können. Willkürlich aus dem Zusammenhang gerissene Passagen bildeten den Anlass für den „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen den Festredner. Beteiligt waren Größen des musikalischen und künstlerischen Lebens, der Musikhochschule und der Kunstakademie, Namen wie Hans Pfitzner, Hans Knappertsbusch, Olaf Gulbransson, Karl Miller, Richard Strauss. Der Protest wird von den Nazis instrumentalisiert, dazu die deutlicher werdenden Drohungen und Konsequenzen des antisemitischen Wahns. Nonkonforme („entartete“) Künstler und jüdische Mitbürger geraten ins Visier des sich etablierenden Regimes. Von einem Aufenthalt in der Schweiz im März 1933 – im Februar hatte in Berlin der Reichstag gebrannt – kehren Katja und Thomas Mann, auf dringendes Anraten ihrer Kinder Erika und Klaus, nicht mehr nach Deutschland zurück.

Die Heimat war genommen. München verloren. Kurz darauf auch Haus und Bibliothek, sowie große Teile des Vermögens.

Thomas Mann und München. Mit dem Abstand der vielen Jahre im Exil und der Milde des Alters schreibt Thomas Mann im Jahre 1955 aus Zürich an den damaligen Oberbürgermeister Thomas Wimmer: „Ich bin ja München, wo ich die Hälfte meines Lebens verbrachte, von Herzen zugetan, lieber Herr Oberbürgermeister, und nie habe ich Ihrer Stadt gegrollt, auch zu Zeiten nicht, wo mir Böses kam von dort…Wann immer ich Münchener Laute höre, Münchener Tonfall wird es mir warm ums Herz.“