Augsburg. Vor 125 Jahren wurde Bert Brecht geboren.
Am 10. Februar 1898 kam Eugen Berthold Friedrich Brecht als erstes Kind seiner Eltern Berthold Friedrich Brecht und Wilhelmine Friederike Sophie Brecht, geb. Brezing, in Augsburg zur Welt. Die Familie lebte zu der Zeit in einer schmalen Gasse der Altstadt. Das Haus lag an einem der Lechkanäle, die die Stadt durchziehen.
Aigihn! werden ihn die Eltern im bayerisch-schwäbischen Dialekt gerufen haben. Er wird sich später Bert nennen. Die Namensbezeichnung Bert Brecht ist Teil der Selbststilisierung des angehenden Dichters. Schon früh gehörten Lederjacken und -mäntel zum Image. Zahlreiche Fotos zeigen einen jungen Mann in Lederkleidung mit Zigarrenstumpen im Mund.

Frontseite des Bildbandes Bertold Brecht beim Photographen. Herausgegeben und mit einem Essay von Michael Koetzle. Der Band enthält Bilder, die im Atelier des Augsburger Photographen Konrad Reßler entstanden.
Seine Herkunft hat er im gedichteten Mythos neu gedeutet.
Ich, Bertold Brecht, bin aus schwarzen Wäldern. / Meine Mutter trug mich in die Städte hinein / Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder / Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.
(Nach GBA 11, 119) (*)
Mit 20 Jahren ging Brecht nach München. Auf Wunsch der Eltern zum Studium. Doch schon bald verkehrte er in Theaterkreisen, wurde – als wäre er erwartet worden – aufgenommen und alsbald vielfältig engagiert. Gedichte, Balladen, Bänkelgesänge entstanden, das erste große Stück hieß zunächst Spartakus, später Trommeln in der Nacht. Er lernte Frank Wedekind kennen, die lebenslange Freundschaft mit Lion Feuchtwanger entstand.
Nächste Station war Berlin. Dort lernte er die Intendantin und Schauspielerin Helene Weigel kennen. Sie wurde seine Lebensfrau. Immer gab es auch andere Frauen – im Bett und in der Schreibwerkstatt. Die Dreigroschenoper wurde zum großen Erfolg. Als die Nazis aufmarschierten, verlor er die Orte, an die er zu gehören glaubte. Berlin, das Theater, viele seiner Gefährten und Gefährtinnen, den deutschen Sprachraum. Über zahlreiche Exilstationen landet er schließlich, wie viele andere deutsche Dichter, Denker und Wissenschaftler, in den Vereinigten Staaten.
Zurück in Deutschland entschied sich Bert Brecht für Ost-Berlin und die DDR als neue Wirkungsstätte. Die westliche Szene nahm übel, in Augsburg war er lange kein Thema. Sein Tod im August 1956 kam unerwartet. Seine westdeutsche Geburtsstadt tut sich bis in die Gegenwart schwer, angemessene Formen des Erinnerns, Würdigens und Gedenkens zu finden. Das Programm zum 125. Geburtstag fällt deshalb einerseits umfangreich und vielfältig aus, wirkt jedoch gleichzeitig von Unsicherheit und Halbherzigkeit geprägt.
Das Brecht-Festival findet seit 2010 statt. In diesem Jahr beginnt es exakt an Brechts Geburtstag und dauert zehn Tage. Es steht unter dem Motto Brecht’s People. Die Auftaktveranstaltung im Goldenen Saal, der kommunalen Prachtstube, trägt den wundersamen Titel Festival-Kickoff. Geladen ist die Augsburger Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Breite.
Von dort geht es zur Parade, die auf dem Rathausplatz startet und in den Stadtteil Lechhausen führt, dem späteren Wohnort der Familie Brecht. Am Abend das Festbankett mit Ministern und Ministerinnen, Oberbürgermeisterin und Theaterintendant. Dazu wird allerhand Programm, sowie ein Geburtstagsessen, samt -torte geboten, zum bürgernahen Pay as you can (But pay!) von Euro 15 bis Euro 50.
Weitere Höhepunkte des Festivals sind ein Gastspiel des Berliner Ensemble, jene einst von Brecht begründete Kompanie; eine technofuturistische Séance des Staatstheater Augsburg; eine Wrestlingshow mit dem Titel Kampf um Augsburg. Natürlich darf in dieser unserer so besonderen Zeit ein ukrainisches Element nicht fehlen: Dakh Daughters entfachen Ukrainian Fire – ein szenisches Konzert.
Das vollständige Programm gibt es in dominantem Sattgelb gedruckt und im Netz. Die grafische Gestaltung wirkt bemüht, seine Übersichtlichkeit ist begrenzt.

125. Geburtstag von BB. Natürlich läuft da reichlich mehr als das ohnehin vorgesehene Programm. Beispielhaft hier einige Brenn- und Siedepunkte der Feierlichkeiten.
Das Brechthaus lädt zu den üblichen Öffnungszeiten zur Besichtigung. Im zweiten Stock des Museums wurde eine Wohnung eingerichtet, die als Wohn- und Arbeitsplatz auf Zeit für internationale Künstlerinnen und Künstler dient. Das Haus wartet derweil auf die dringende Generalsanierung, der Museumsbereich auf Neuorientierung
Alle drei Jahre verleiht die Stadt Augsburg den Brechtpreis, der mit Euro 15.000 dotiert ist und den bisher u. a. Franz Xaver Kroetz, Christoph Ransmayr und Sybille Berg erhielten. Die turnusgemäß 2022 vorgesehene Verleihung wurde in das Jubeljahr verlegt. Sie findet pikanterweise am in die Geschichtsbücher eingebrannten 20. April statt. An wen der aktuelle Preis verliehen wird, konnte ich bis zur Abfassung dieser Zeilen nicht erfahren.
Wenn es um Brecht in Augsburg geht, spielt die Buchhandlung am Obstmarkt eine besondere Rolle. Geführt vom rührigen Buchhändler Kurt Idrizovic ist sie gut sortierte Buchhandlung, Büchergilde-Depot und Brechtshop in einem. Wann immer es in Augsburg um Brecht geht, stößt man auf Kurt Idrizovic als Ideengeber, Veranstalter und Antreiber.
Wir liegen im Laubwald, essen dort Mohnnudeln zum Tee … Nur in der Buchhandlung am Obstmarkt gibt es zum Jubiläum eine kleine Köstlichkeit: Den Band Komm und setz dich lieber Gast. Am Tisch mit Bertold Brecht und Helene Weigel. Ein Bildband von Martha Schad mit vielen Fotos, Original-Rezepten und Illustrationen – von der Autorin signiert.

Beenden möchte ich diesen kleinen, unvollständigen Ausblick auf die Brecht-Feiern in Augsburg mit dem Handtuch zum Handbuch (*). Während letzteres den Brechtfreunden schon länger mit profundem Wissen zu Dichter, Werk und Umfeld zur Hand geht, ist das Trocknungstextil brandneu im Angebot.
Augsburg war über Generationen hinweg von Betrieben der Papier- und Textilindustrie geprägt. Während Rudimente der Papiererzeugung noch durch einen finnischen Konzern in der Stadt vertreten sind, ist die Textilproduktion nicht mehr vorhanden. Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg – kurz tim – pflegt die Erinnerung an diese industrielle Epoche. Dort entstand die Idee zu einem Handtuch mit des Dichters Konterfei, das derzeit in der Museumsweberei entsteht. Pünktlich zum 10. Februar soll es erhältlich sein.
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(*) Bertold Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bände (in 32 Teilbänden) und ein Registerband (Leinen)
(*) Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch : in fünf Bänden. – Stuttgart, 2001 ff.
Ebenfalls gedruckt, geeignet als Einführung und erster Überblick: Knopf, Jan: Bertold Brecht. – Stuttgart, 2000 (Universalbibliothek; 17619)
Für das vertiefende Interesse gibt es umfangreiche Biographien von Jan Knopf und Stephen Parker.
Im Netz findet man: