Maria Müller-Gögler

Erinnerung an eine oberschwäbische Schriftstellerin

Drei Frauen mit dem für die Region nicht untypischen Vornamen Maria sind im 20. Jahrhundert in der literarischen Landschaft Oberschwaben auf sehr unterschiedliche Weise hervorgetreten. Die stille, religiös-mysthisch dichtende Maria Menz fand mit ihren – meist in Mundart verfassten – Gedichten, naturgemäß nur ein begrenztes Publikum; ihr gedrucktes Werk ist inzwischen schwer zu bekommen. Im Heimatort Oberessendorf erinnert nur noch der Grabstein an sie. Maria Beig schrieb spröde eindrucksvolle Prosa. Mit „Rabenkrächzen“ und ihrem „Lebenslauf“ erreichte sie ein breiteres Publikum und fand einige Beachtung bei den Kritikern namhafter Medien.

Die dritte Maria – und von der soll an dieser Stelle etwas ausführlicher die Rede sein – hieß Müller-Gögler und war die vielseitigste dieser drei Schriftstellerinnen.

Das verlegerische Gesellenstück, das der spätere Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld abzuliefern hatte, als er im Ulmer Aegis-Verlag unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sein verlegerisches Handwerk erlernte, war ein Bändchen mit dem Titel „Maria Müller-Gögler. Gedichte“. Es erschien 1947 und das darin enthaltene Gedicht „Die Geige“ wählte Hermann Hesse als eines der für ihn zehn schönsten für die Anthologie „Geliebte Verse“ aus.

Dennoch blieb der 1900 im damaligen Oberamts-Städtchen Leutkirch geborenen und ab dem fünften Lebensjahr in Weingarten aufgewachsenen Schriftstellerin eine breitere Anerkennung zunächst verwehrt. Den führenden Verlagen der Republik war die provinzielle Herkunft der Autorin, den Verlegern des evangelisch-württembergischen Kernlandes ihre katholische Konfession, suspekt. So blieb es der Journalistin Jella Lepman in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorbehalten, die ersten beiden Romane von Maria Müller-Gögler im liberalen Stuttgarter Tagblatt erscheinen zu lassen. Nur schwer fanden sich danach kleinere Verlage die bereit waren „Die Magd Juditha“ und „Beatrix von Schwaben“ auch als Buch herauszugeben. Nach dem großen Krieg und dem Ende der Naziherrschaft erhielt das Verlangen der Leser nach der Literatur aus der Welt, von der man zwölf Jahre abgeschnitten war, Vorrang und die Dichterin aus dem Oberland wurde allenfalls am Rande wahrgenommen. Für Maria Müller-Gögler aber war Schreiben von Kindheit an zur Existenzform geworden.

Lange erschien ihr Werk sehr verstreut und sporadisch. In den siebziger Jahren hatte sich schließlich Martin Walser für die Kollegin eingesetzt. Auch ihr langjähriger Wohnort Weingarten entsann sich der Mitbürgerin. 1978 erhielt sie den Kunstpreis der Städte Ravensburg und Weingarten, zwei Jahre später das Bundesverdienstkreuz. Eine bescheidene späte Entdeckung und Anerkennung setzte damit ein. Das Literaturarchiv Oberschwaben ermöglichte eine neunbändige Werkausgabe im Thorbecke-Verlag; inzwischen sind jedoch alle Bücher nur noch antiquarisch oder in gut sortierten Bibliotheken zu bekommen.

Viele Anregungen für ihre Werke schöpfte Müller-Gögler aus der oberschwäbischen, ins Allgäu und den Bodensee übergehenden Landschaft, ihrer Natur, den hier lebenden Menschen, der Geschichte der Region. Sie entwickelte dabei bald einen eigenständigen, realistischen Erzählstil, dessen Vorbilder sie in romanischen und östlichen Literaturen fand. Der russische Atheist Paustowski zählte ebenso wie Bulgakow zu ihren Lieblingsautoren. Eine tiefe Zuneigung zu Frankreich, seiner Literatur und Musik, hat in ihren Büchern Spuren hinterlassen. Mit ihrem katholischen Glauben, dem sie ein Leben lang unbeirrt treu blieb, tritt sie niemals engstirnig oder dogmatisch auf; musste sie sich doch selbst von manchen Fesseln, in die sie durch religiös-konservative Erziehung und – damit eng verbunden – , die ihr zugedachte Rolle als Frau, gezwängt worden war, mühsam befreien. So ist das Religiöse ein Stück selbstverständlicher Lebenskultur, unabdingbar verbunden mit dem Alltag, den Festen, den Jahresläufen, den Ritualen der Menschen jener Gegend aus der die Dichterin kam und über die und für die sie schrieb.

Maria Müller-Göglers Roman „Täubchen, ihr Täubchen…“ durfte auf Anordnung des damaligen Oberbürgermeisters von der Stadtbücherei Ravensburg lange Zeit nicht ausgeliehen werden. Er handelt von den erotischen Wirrungen eines Junglehrers und setzt sich kritisch-ironisch mit dem ländlichen Schulwesen im Württemberg der Fünfziger-Jahre des 20. Jahrhunderts auseinander. Das Buch erschien erstmals 1963 und erzeugt auch heute noch beim Leser eine nachhaltige Betroffenheit. Es ist im Zusammenhang mit den aktuellen Missbrauchs-Debatten von beklemmender Aktualität.

In dem historischen Roman „Beatrix von Schwaben“ überträgt die Autorin die politischen Ereignisse im Deutschland der beginnenden Nazi-Zeit auf die Zeit der staufischen Ritter. Ebenso wie im Roman „Die Truchsessin“, der während der Bauernkriege spielt, fesselt den Leser die Spannung der Handlung, halten sich Erfindung und Präsentation historischer Fakten gekonnt die Waage. Beide Bücher schildern Frauenfiguren, die durch eine für ihre Zeit ungewöhnliche Eigenständigkeit in Denken und Handeln hervortreten und man darf getrost unterstellen, dass diese Protagonistinnen Persönlichkeitselemente der Autorin enthalten. Sie stehen den kriegerischen Welteroberungsplänen und Unterdrückungsfeldzügen ihrer männlichen Umwelt ablehnend gegenüber. Die Truchsessin, keine geringere als die Gattin des sogenannten Bauernjörg, drückt es im Roman so aus: „Ich habe mich immer schon gewundert, wie sich die Männer ein Leben lang mit Kriegen und Händeln herumschlagen mögen … Wir Frauen sind die Zuschauer bei den gefährlichen Spielen der Männer. Vielleicht wäre es gut darüber zu lächeln. Aber sie sorgen dafür, dass wir häufiger darüber weinen müssen.“

Die Bücher Maria Müller-Göglers sind auch deshalb und immer noch  interessant, weil die Lektüre farbigen und kenntnisreichen zeitgeschichtlichen Hintergrund und intensive, sehr gelungene Frauendarstellungen bietet. Martin Walser schrieb: „Ich habe beim Lesen dieser Autorin des öfteren verwundert den Kopf geschüttelt, weil das, was in unseren Jahren fast das einzige Entwicklungsthema geworden ist, eben die Menschwerdung der Frau, im Lebenswerk von Maria Müller-Gögler seit Jahrzehnten in jeder Tonart angeschlagen worden ist: von ätzend sarkastisch bis weltüberwinderisch-ergeben“.

In ihren persönlichen Erinnerungen („Bevor die Stürme kamen“, „Hinter blinden Fenstern“, „Das arme Fräulein“) schildert die Tochter des Finanzbeamten Adolf Gögler die ersten 25 Jahre ihres Lebens und damit des 20. Jahrhunderts. Die junge Schulmeisterin und spätere Gymnasial-Lehrerin schreibt hier fesselnde Lokal- und Regionalgeschichte, lange bevor diese Themen in Volkshochschul-Programme Einzug hielten. Sie nimmt den Leser mit in die kleinbürgerliche Welt vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, in die abgeschlossene Sphäre eines klösterlichen Erziehungsinstituts und schließlich, als gerade erst neuzehnjährige Lehrerin, auf eine Odyssee durch die Dorfschulen.

Das oberschwäbische Weingarten im Jahr 1917

Sie verlies den im ländlich konservativen Oberschwaben für junge Frauen vorgesehen Weg, brach aus der vorbestimmenten Laufbahn aus, studierte in München und Tübingen Germanistik, Philosophie, Pädagogik und promovierte 1930 in Tübingen mit einer Arbeit über „Die pädagogischen Anschauungen der Marie von Ebner-Eschenbach„, die 1931 bei Vieweg in Buchform erschien. Nach dem Studium heiratete Maria Gögler ihren Berufskollegen Paul Müller; der gemeinsame Sohn Paul wurde 1931, die Tochter Gisela 1932 geboren. Über die Berufsstationen Schwäbisch Gmünd, Laupheim und Crailsheim, kam sie 1938 nach Ulm, wo sie am Kepler-Gymnasium unterrichtete. Nachdem die Stadt im Dezember 1944 durch Bomben fast völlig zerstört worden war, zog die Familie nach Weingarten; dort lebte die Dichterin bis zu ihrem Tod im Jahr 1987.

Maria Müller-Gögler war eine sehr musikalische Frau, spielte ausgezeichnet Geige und Klavier, zählte zu den regelmäßigen Besucherinnen in Bayreuth und Salzburg. Mit dem Thema Musik hat sie sich auch literarisch beschäftigt, unter anderem in Biographien über den aus Ravensburg stammenden Sänger Karl Erb und über den Orgelbaumeister Joseph Gabler, dessen Groß-Instrumente noch heute oberschwäbische Kirchenräume mit himmlischen Klängen füllen.

In ihren zahlreichen Gedichten fand die Dichterin harmonische Melodien, die lange nachklingen und mit denen sie nicht nur ihre Liebe zur oberschwäbischen Landschaft und Kultur immer wieder neu interpretierte. Sie schreibe „Lyrik, die sich wie eine glänzende Kuppel über ihr Schaffen wölbt,“ schwärmte Siegfried Unseld zum fünfzigsten Geburtstag der Autorin. Ihr ganzes langes Leben und ihr umfangreiches Werk hatte sie schon mit einem ihrer frühen Gedichte unter ein passendes Leitwort gestellt:

„Bewahre mich vor leerem Wort, / vor Glanz, der nicht von innen glüht, / vor Blüte, die papieren blüht, / vor Wachstum, dem das Herzblatt dorrt.“

Jetzt erst Brecht.

Augsburg. Vor 125 Jahren wurde Bert Brecht geboren.

Am 10. Februar 1898 kam Eugen Berthold Friedrich Brecht als erstes Kind seiner Eltern Berthold Friedrich Brecht und Wilhelmine Friederike Sophie Brecht, geb. Brezing, in Augsburg zur Welt. Die Familie lebte zu der Zeit in einer schmalen Gasse der Altstadt. Das Haus lag an einem der Lechkanäle, die die Stadt durchziehen.

Aigihn! werden ihn die Eltern im bayerisch-schwäbischen Dialekt gerufen haben. Er wird sich später Bert nennen. Die Namensbezeichnung Bert Brecht ist Teil der Selbststilisierung des angehenden Dichters. Schon früh gehörten Lederjacken und -mäntel zum Image. Zahlreiche Fotos zeigen einen jungen Mann in Lederkleidung mit Zigarrenstumpen im Mund.

Frontseite des Bildbandes Bertold Brecht beim Photographen. Herausgegeben und mit einem Essay von Michael Koetzle. Der Band enthält Bilder, die im Atelier des Augsburger Photographen Konrad Reßler entstanden.

Seine Herkunft hat er im gedichteten Mythos neu gedeutet.

Ich, Bertold Brecht, bin aus schwarzen Wäldern. / Meine Mutter trug mich in die Städte hinein / Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder / Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.

(Nach GBA 11, 119) (*)

Mit 20 Jahren ging Brecht nach München. Auf Wunsch der Eltern zum Studium. Doch schon bald verkehrte er in Theaterkreisen, wurde – als wäre er erwartet worden – aufgenommen und alsbald vielfältig engagiert. Gedichte, Balladen, Bänkelgesänge entstanden, das erste große Stück hieß zunächst Spartakus, später Trommeln in der Nacht. Er lernte Frank Wedekind kennen, die lebenslange Freundschaft mit Lion Feuchtwanger entstand.

Nächste Station war Berlin. Dort lernte er die Intendantin und Schauspielerin Helene Weigel kennen. Sie wurde seine Lebensfrau. Immer gab es auch andere Frauen – im Bett und in der Schreibwerkstatt. Die Dreigroschenoper wurde zum großen Erfolg. Als die Nazis aufmarschierten, verlor er die Orte, an die er zu gehören glaubte. Berlin, das Theater, viele seiner Gefährten und Gefährtinnen, den deutschen Sprachraum. Über zahlreiche Exilstationen landet er schließlich, wie viele andere deutsche Dichter, Denker und Wissenschaftler, in den Vereinigten Staaten.

Zurück in Deutschland entschied sich Bert Brecht für Ost-Berlin und die DDR als neue Wirkungsstätte. Die westliche Szene nahm übel, in Augsburg war er lange kein Thema. Sein Tod im August 1956 kam unerwartet. Seine westdeutsche Geburtsstadt tut sich bis in die Gegenwart schwer, angemessene Formen des Erinnerns, Würdigens und Gedenkens zu finden. Das Programm zum 125. Geburtstag fällt deshalb einerseits umfangreich und vielfältig aus, wirkt jedoch gleichzeitig von Unsicherheit und Halbherzigkeit geprägt.

Das Brecht-Festival findet seit 2010 statt. In diesem Jahr beginnt es exakt an Brechts Geburtstag und dauert zehn Tage. Es steht unter dem Motto Brecht’s People. Die Auftaktveranstaltung im Goldenen Saal, der kommunalen Prachtstube, trägt den wundersamen Titel Festival-Kickoff. Geladen ist die Augsburger Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Breite.

Von dort geht es zur Parade, die auf dem Rathausplatz startet und in den Stadtteil Lechhausen führt, dem späteren Wohnort der Familie Brecht. Am Abend das Festbankett mit Ministern und Ministerinnen, Oberbürgermeisterin und Theaterintendant. Dazu wird allerhand Programm, sowie ein Geburtstagsessen, samt -torte geboten, zum bürgernahen Pay as you can (But pay!) von Euro 15 bis Euro 50.

Weitere Höhepunkte des Festivals sind ein Gastspiel des Berliner Ensemble, jene einst von Brecht begründete Kompanie; eine technofuturistische Séance des Staatstheater Augsburg; eine Wrestlingshow mit dem Titel Kampf um Augsburg. Natürlich darf in dieser unserer so besonderen Zeit ein ukrainisches Element nicht fehlen: Dakh Daughters entfachen Ukrainian Fire – ein szenisches Konzert.

Das vollständige Programm gibt es in dominantem Sattgelb gedruckt und im Netz. Die grafische Gestaltung wirkt bemüht, seine Übersichtlichkeit ist begrenzt.

125. Geburtstag von BB. Natürlich läuft da reichlich mehr als das ohnehin vorgesehene Programm. Beispielhaft hier einige Brenn- und Siedepunkte der Feierlichkeiten.

Das Brechthaus lädt zu den üblichen Öffnungszeiten zur Besichtigung. Im zweiten Stock des Museums wurde eine Wohnung eingerichtet, die als Wohn- und Arbeitsplatz auf Zeit für internationale Künstlerinnen und Künstler dient. Das Haus wartet derweil auf die dringende Generalsanierung, der Museumsbereich auf Neuorientierung

Alle drei Jahre verleiht die Stadt Augsburg den Brechtpreis, der mit Euro 15.000 dotiert ist und den bisher u. a. Franz Xaver Kroetz, Christoph Ransmayr und Sybille Berg erhielten. Die turnusgemäß 2022 vorgesehene Verleihung wurde in das Jubeljahr verlegt. Sie findet pikanterweise am in die Geschichtsbücher eingebrannten 20. April statt. An wen der aktuelle Preis verliehen wird, konnte ich bis zur Abfassung dieser Zeilen nicht erfahren.

Wenn es um Brecht in Augsburg geht, spielt die Buchhandlung am Obstmarkt eine besondere Rolle. Geführt vom rührigen Buchhändler Kurt Idrizovic ist sie gut sortierte Buchhandlung, Büchergilde-Depot und Brechtshop in einem. Wann immer es in Augsburg um Brecht geht, stößt man auf Kurt Idrizovic als Ideengeber, Veranstalter und Antreiber.

Wir liegen im Laubwald, essen dort Mohnnudeln zum Tee … Nur in der Buchhandlung am Obstmarkt gibt es zum Jubiläum eine kleine Köstlichkeit: Den Band Komm und setz dich lieber Gast. Am Tisch mit Bertold Brecht und Helene Weigel. Ein Bildband von Martha Schad mit vielen Fotos, Original-Rezepten und Illustrationen – von der Autorin signiert.

Beenden möchte ich diesen kleinen, unvollständigen Ausblick auf die Brecht-Feiern in Augsburg mit dem Handtuch zum Handbuch (*). Während letzteres den Brechtfreunden schon länger mit profundem Wissen zu Dichter, Werk und Umfeld zur Hand geht, ist das Trocknungstextil brandneu im Angebot.

Augsburg war über Generationen hinweg von Betrieben der Papier- und Textilindustrie geprägt. Während Rudimente der Papiererzeugung noch durch einen finnischen Konzern in der Stadt vertreten sind, ist die Textilproduktion nicht mehr vorhanden. Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg – kurz tim – pflegt die Erinnerung an diese industrielle Epoche. Dort entstand die Idee zu einem Handtuch mit des Dichters Konterfei, das derzeit in der Museumsweberei entsteht. Pünktlich zum 10. Februar soll es erhältlich sein.

* * *

(*) Bertold Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bände (in 32 Teilbänden) und ein Registerband (Leinen)

(*) Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht-Handbuch : in fünf Bänden. – Stuttgart, 2001 ff.

Ebenfalls gedruckt, geeignet als Einführung und erster Überblick: Knopf, Jan: Bertold Brecht. – Stuttgart, 2000 (Universalbibliothek; 17619)

Für das vertiefende Interesse gibt es umfangreiche Biographien von Jan Knopf und Stephen Parker.

Im Netz findet man:

augsburg-tourismus.de

brechtfestival.de

augsburg.de/brechtpreis

staatstheater-augsburg.de

buchhandlung-am-obstmarkt.de

timbayern.de

Hölderlin in Hauptwil

Jetzt aber, drin im Gebirg

Die Schweizer Gemeinde Hauptwil liegt im Kanton Thurgau zwischen Bodensee und Säntis-Massiv, westlich von Sankt Gallen. Den Mittelpunkt bildet ein kleiner Weiher, an dessen Ufer sich eine Badeanstalt befindet, die an heißen Sommertagen von den wenigen Kindern und Jugendlichen im Ort genutzt wird. Es ist eine ruhige, eher unscheinbare Siedlung. Für heutige Reisende gibt es eigentlich wenig Grund hier länger zu verweilen. Doch für Literaturfreunde lohnt sich ein Besuch, vielleicht als kleiner Abstecher während eines Urlaubs oder Wandertags im Appenzell oder dem nahen Toggenburg.

Im Januar 1801 erreichte der Dichter und Gelehrte Friedrich Hölderlin von Stuttgart kommend, nach langer Reise durch das tief verschneite Oberschwaben, über den westlichen Bodensee und schließlich von Konstanz her, die Ortschaft Hauptwil. Den größten Teil des Weges hatte er zu Fuß zurückgelegt. Er trat eine Stelle als Hofmeister bei der Familie Gonzenbach an; seine Aufgabe bestand darin, die dreizehn- und vierzehnjährigen Töchter Augusta Dorothea und Barbara Julia zu unterrichten.

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In Hauptwil wurde er freundlich aufgenommen, wohnte in einem Zimmer zum Garten. Er fand sich rasch zurecht und war nicht unglücklich, wie er der Mutter im Brief mitteilte: Ich kann in der Tat nicht anders sagen, nach der Überzeugung, die ich mir seit 10 Tagen geben konnte, als dass die zahlreiche Familie, in der ich lebe, aus solchen Menschen besteht, unter denen man mit zufriedener Seele leben muß, so viel unschuldiger Frohsinn ist unter den jüngeren, und so ein gesunder Verstand, und edle Gutheit unter den Älteren.

Das Gehalt betrug 300 Gulden im Jahr, bei freier Kost und Logis. Die Familie Gonzenbach beherrschte den kleinen Ort. Das obere Schloss bewohnte eine ältere Linie; das untere Schloss, das sogenannte Kaufhaus, heute als Wohnhaus genutzt, die Familie des Kaufherrn Anton Gonzenbach. Bei diesem Aufenthalt in der Schweiz lernte Hölderlin die Landschaft des Alpenraums kennen und war von ihr so fasziniert, dass sich das später in hymnischer Dichtung niederschlug. Allerdings dauerte der Thurgauer Aufenthalt nicht lange. Bereits Mitte April trennte man sich wieder. In bestem Einvernehmen und voller Respekt – wie das Haus Gonzenbach versicherte.

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Über den raschen Abschied aus Hauptwil gibt es verschiedene Spekulationen und Interpretationen. Es wurden amouröse Verwicklungen unterstellt oder politische Differenzen mit dem Dienstherrn vermutet. Doch am wahrscheinlichsten ist, dass sich Anzeichen geistiger Erkrankung bei Hölderlin bemerkbar machten.

Bei einem Spaziergang durch das gegenwärtige Hauptwil kann man feststellen, dass die Gemeinde pfleglich mit der Erinnerung an den Hölderlin-Aufenthalt umgeht. Am ehemaligen Wohnhaus der Familie Gonzenbach ist eine Erinnerungstafel angebracht. Es gibt einen Hölderlin-Weg. Und im Oberen Schloss, dessen Seitenflügel heute ein Altersheim beherbergt, wurde ein Erdgeschoss-Raum zu einem kleinen Hölderlin-Museum umgestaltet. Es ist eine schlichte, sachlich und gleichzeitig liebevoll gestaltete Einrichtung. An den Wänden erzählen einheitliche Tafeln von dem Ereignis und ein wenig über das Drumherum. Die Tür steht meist offen. Der Raum ist den ganzen Tag über frei zugänglich.

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Von Hauptwil gelangt man in einer halben Stunde Autofahrt nach Sankt Gallen und damit in das quirlige, umtriebige City-Leben einer großen Kleinstadt. In der Mitte der Stadt liegt der Klosterkomplex. Dort lebte bis im Jahre 912 der Mönch Notker, auch genannt der Stammler, einer der ersten großen Dichter und Gelehrten des deutschen Sprachraums. In der Sankt Galler Stiftbibliothek werden über 900 wertvolle Handschriften verwahrt.

“Es begab sich aber zu der Zeit …”

Gedanken über das Erzählen aus naheliegendem Anlass.

Nun feiern wir also wieder jene kleine Geschichte, die seit 2000 Jahren große Teile der Menschheit weniger in Kirchen denn in einen wochenlangen Konsumrausch treibt. Bewohner des christlichen Erdkreises stürmen die Handelshäuser, erwerben gefällte Nadelbäume, installieren Engels- und Sternenschmuck, singen Choräle und sentimentale Weisen. Eine uralte Geschichte löst dies aus. Sie gehört zu den ältesten, die sich Menschen immer und immer wieder erzählen. Immer dann wenn das Jahr auf dem Kalender nur noch wenige Tage hat. 

Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen … (Evangelium nach Lukas, Vorrede)

Es waren vier Chronisten, inzwischen als Evangelisten bekannt, die mehrere Generationen nach dem eigentlichen Geschehen, nachdem die Geschichte bereits in vielen Variationen von Mund zu Mund gegangen war, erstmals schriftliche Aufzeichnungen anfertigten, die uns als Überlieferungen erhalten blieben. In vier durchaus von einander abweichenden Versionen.

Dies ist ihr Kern: Eine hochschwangere, sehr junge Frau und ihr Partner, Zimmermann von Beruf, folgten im römisch besetzten Palästina einer Aufforderung des Kaisers Augustus, sich zwecks Volkszählung in ihren Heimatort Bethlehem zu begeben. Als das Paar dort eintraf, musste es feststellen, dass alle Herbergen bereits belegt waren. In einem schlichten Stall wurde ihnen schließlich Obdach gewährt. Die Verhältnisse waren einfach: Futterkrippe für Tiere, Stroh, ein Ochse, ein Esel; später kamen Hirten vom Felde hinzu. Ein gesunder Junge kam zur Welt; die Futterkrippe ward zu seiner ersten Wiege.

Der Knabe wuchs zu einem recht eigenwilligen (kritischen) jungen Mann heran, der seine jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern mit Prophezeiungen, Weisheiten und Reformvorschlägen unterhielt, dessen systemkritische Haltung jedoch von den Obrigkeiten mit Skepsis betrachtet wurde. Er verscherzte es sich mit der jüdischen Geistlichkeit gleichermaßen wie mit den Organen der Besatzungsmacht. Letztere verurteilte den aufrührerischen Geist zum Tode am Kreuz. 

Das Kreuz und der Gekreuzigte wurden alsbald zu den Hauptsymbolen seiner sich rasch vergrößernden Anhängerschaft. Aus dem Kind im Stall war ein Religionsgründer geworden, der einige bedenkenswerte Verhaltensregeln hinterließ. Und hätten seine Nachfolger durch die unruhigen Jahrhunderte hinweg seine Maximen etwas ernster genommen, wäre die heutige Welt möglicherweise ein kleines Stück friedfertiger und unversehrter.

Es gibt viele solcher uralter Erzählungen, die Zeiten, Kriege und Kulturen überlebt haben und heute immer noch in aller Munde sind, die niedergeschrieben werden, in immer neuen Varianten, die als Bücher gedruckt erscheinen, in Theatern aufgeführt oder verfilmt werden. Geschichten aus tausendundeiner Nacht, von den Irrfahrten eines Odysseus, den Abenteuern des unbeholfenen Don Quijote, von Eulenspiegeleien, Geschichten über Wundertaten und Utopien. Unsterbliche Erzählstoffe, inzwischen gerne als Narrative bezeichnet. Bis heute immer wieder hervorgeholt, dabei verändert, ausgeschmückt oder übersteigert.

Alte Menschen erzählen gerne vom eigenen Leben, von Vergangenheiten, die sie für wert halten dass Nachfolgende davon erfahren, von Erlebnissen, Schrecken, Tiefpunkten, die sie dauerhaft belasten und von den schönen Höhepunkten eines langen Lebens, die unvergessen geblieben sind. Sie sprechen über Krieg und Vertreibung, Not und Krankheit, von Geburten und Todesfällen, kleinen Freuden und großen Enttäuschungen. Ihr Erzählen hat oft therapeutischen Charakter oder die Form einer Beichte.

Kinder möchten erzählt bekommen. Sie lieben Geschichten, die man ihnen vorliest oder aus dem Stegreif erzählt. Da darf es einfallsreich bis absurd zugehen. Unheimlich oder lustig. Über Außerirdische und Aliens, Prinzen und Prinzessinnen, sprechende Tiere, Zeitreisende, Gestalten aus der Vergangenheit wie Piraten oder Höhlenmenschen. Grenzen setzen nur die Phantasie der Erzähler und Erzählerinnen, der Autorinnen und Autoren. Kinder fordern heraus, indem sie mit ihrem Denken scheinbar Unveränderbares in Frage stellen. Durch Konventionen beschränkte Unsagbarkeiten einfach aussprechen.

Eigentlich gibt es keinen Menschen, der nichts zu erzählen hätte. Doch nicht jeder hat eine Sprache dafür zur Verfügung. Die einen können nicht sprechen, nicht frei reden, nicht erzählen – andere können nicht zuhören. Nach den Kinderjahren werden harmonische Momente zwischen Sender und Empfänger seltener. Das Erzählen, die Gespräche werden immer mehr, immer häufiger von Dogmen beherrscht, von stur verteidigten Standpunkten. Andere Werdegänge, Prägungen, Bildungswege erschweren das gegenseitige Verstehen. 

Wer nicht (mehr) erzählen, zuhören, lesen kann, flüchtet gerne in Alibitätigkeiten, rechtfertigt nur allzu gern allerhand Geschäftigkeit und schützt Zeitmangel vor. Gesellschaftlich akzeptiert wird vorrangig der Nachweis unmittelbarer Nützlichkeit oder Erwerbskraft.

Bücher, literarische ebenso wie gute Sachbücher, sind nichts anderes als konserviertes Erzählen. Nicht zufällig ist autofiktionales Schreiben fester Bestandteil des literarischen Kanons. Eine betagte Vertreterin dieses Genres wurde in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Wem deren Bücher möglicherweise zu dünn geraten sind, der greife zu einem Ove Knausgaard, einem Hanns-Josef Ortheil, zu Ulla Hahn, Tove Ditlevsen, Cathérine Millet, Gerhard Henschel und Hermann Lenz.

Weihnachten ist eine Zeit des Erzählens. Jene uralte Geschichte, in Kirchen vorgetragen. Familiäre Stoffe und Anekdoten, die an Festschmaustafeln die Runde machen. Jüngst Geschehenes, frisch aufbereitet: Skandale, Ärgernisse, Erstaunliches, neu Entdecktes.

Erzählen ist fast immer erinnern. An Gelingen und Mißlingen, an Vorfahren und Gefährten, Kinder und Enkel, Reisen und Naturgewalten, Begegnungen und Ängste. Die Tage an und um Weihnachten gehören zu den wenigen verbliebenen Anlässen für Generationen übergreifendes Zusammensein. Für mündlichen Austausch, Erzählen und Zuhören. Es ist jene Zeit, in der die Stuben voller Narrative sind.

Acht EnergiesparTipps für Menschen die lesen

Der Blackout lauert, die Gasspeicher laufen leer, kalte und dunkle Zeiten stehen uns bevor. Dem können wir mit vereinten Kräften entgegenwirken. Energiesparen auf breiter Front ist angesagt. Wir Buchmenschen sind natürlich dabei. con=libri macht nachhaltige Vorschläge.

E i n s

Lesen Sie bei Tageslicht. Wenn es im Stübchen dämmert, setzen Sie die Lektüre an einem hellen Fleck im Freien fort.

Z w e i

Machen Sie bei nahender Nacht eine Fahrt gen Westen. (Nicht geeignet für automobile Fahrzeuglenker.) Wir empfehlen die Nutzung der Bahn, es gibt ausgezeichnete Ost-West-Verbindungen. Zur notwendigen Erholung nutzen Sie die Rückfahrt.

D r e i

Lesen Sie keine Bücher, die sehr spannend oder fesselnd sind. Wenn Sie nicht mehr aufhören können zu lesen, erliegen Sie sehr leicht der Versuchung elektrische Beleuchtung einzuschalten.

V i e r

Die Gewohnheit bei der Lektüre Heißgetränke zu genießen ist nicht mehr zeitgemäß. Ihre Erzeugung verschlingt jede Menge Energie. Greifen Sie zum coolen Drink oder einem kellerkühlen Mineralwasser.

Hat es raus: So geht Ressourcen schonendes Lesen und Schreiben.

F ü n f

Halten Sie sich möglichst oft zum Lesen in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken, Archiven, Volkshochschulen, Kaufhaus-Cafeterien, Wartezimmern oder -sälen auf. So sparen Sie heimische Ressourcen.

S e c h s

Unbedingt beachten: Der Weg zur Buchhandlung des Vertrauens sollte zu Fuß oder dem Rad (kein E-Bike!) zurückgelegt werden. Da gut sortierte unabhängige Buchhandlungen heutzutage nicht mehr an jeder urbanen Ecke zu finden sind, kommen natürlich auch öffentliche Verkehrmittel in Frage, die zudem den Vorteil bieten, dass die Lektüre nahezu lückenlos fortgesetzt werden kann.

S i e b e n

Lesen beim Baden in vollen Wannen ist, wenn es denn jemals praktiziert wurde, leider vorbei. Volle Wannen sind out. Leser in the Länd wissen ohnehin um den Wert des Waschlappens. Im Idealfall bleibt dabei eine Hand frei für Buch, Zeitschrift oder what älls.

A c h t

E-Book Reader sind grundsätzlich kontraindiziert. Ausnahme: Wenn sie außer mit E-Books mit Strom aus erneuerbaren Ressourcen geladen werden. In diesem Zusammenhang wird es höchste Zeit die einseitige Abhängigkeit von Produkten waffenstarrender Großmächte zu überwinden. (Kindle adè!)

Weitere Infos, nebst nützlicher Tipps für Zeiten versiegender Rohstoffe und krisengesättigter Weltlagen geben gerne und jederzeit die Börsengäng deutscher Buchhändler (m,f,d), sowie die Stiftung Lesende e. V.

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Neulich ging ich

Neulich ging ich über die Ilse-Aichinger-Brücke in Wien. 

Im letzten November wurde in Wien aus der Schwedenbrücke die Ilse-Aichinger-Brücke. Das Bauwerk führt über den nicht sehr breiten Donaukanal vom Ersten Bezirk, der sogenannten Inneren Stadt, in den Bezirk Leopoldstadt. Ilse Aichinger wurde hier 1921 geboren, sie wuchs in den Donaustädten Linz und Wien auf.

In Wien verstarb die Dichterin 2016. Zum 100. Geburtstag wurde ihr dieser Gedenkort gewidmet. Es ist jene Stelle, an der Aichinger 1942 zusehen musste, wie ihre Großmutter zusammen mit weiteren jüdischen Wienerinnen und Wienern deportiert wurde.

Die Welt ist aus dem Stoff, / der Betrachtung verlangt

So beginnt ihr Gedicht, das später unter dem Titel Winterantwort bekannt wurde. Ein Auszug daraus ist als Schriftzug, gefräst aus einer Metallleiste, Teil des heutigen Brückengeländers. Gestaltet von Aichingers Schwiegertochter Elisabeth Eich. Vor der Enthüllung trug der Schriftsteller Joseph Winkler Aichingers Winterantwort vor. Zahlreiche Wiener Künstler und Literaturfreunde begingen die Einweihung des Kunst- und Erinnerungswerkes mit einem Spaziergang über die Brücke.

Ich war vom Schwedenplatz aus, einem umtriebigen Knotenpunkt der Wiener Linien (wie der öffentliche Nahverkehr firmiert), auf die Brücke gegangen. Das war Anfang März dieses Jahres. Nach einem Winter, der keiner war, milde Tage und trotz Stickoxyden und Feinstaub, in der Luft ein frühes Ahnen von Vorfrühling. Die Wiener Luft ist nicht nur in diesem Bereich schlecht. Auf den Straßen nie endender dichter Autoverkehr. Zwischen engen Häuserschluchten gestaute Emissionen. Steht man in der Mitte der Brücke, sorgt ein kühler Wind für etwas Frische.

In der Nähe ist der kümmerliche Rest einer ehemaligen Stadtbefestigung zu besichtigen. Im Kanal, den die Ilse-Aichinger-Brücke überquert, fließt ein eher trübes Gewässer. Restaurant- und Partyschiffe liegen dauerhaft vor Anker. Eine Fähre, die Wien auf dem Wasser mit dem nahen Bratislava verbindet, legt hier ab.

In Aichingers Winterantwort erklingt gegen Ende die Stimme der verlorenen Großmutter. Sie fragt verzweifelt:

Ist es nicht ein finsterer Wald, / in den wir gerieten?

Die Antwort der Dichterin, als Stimme der trauernden Enkelin, verspricht Trost, Hoffnung, zarte Zuversicht:

Nein, Großmutter, er ist nicht finster, / ich weiß es, ich wohnte lang / bei den Kindern am Rande, / und es ist auch kein Wald.

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Trotz alledem!

Leipzig im März 2022. Ein Rückblick auf die Tage an denen so getan wurde als sei Buchmesse.

Die Leipziger Buchmesse 2022 wurde abgesagt. So ging es Anfang Februar durch Presse, Funk und Foren. Müßig, einmal mehr die Gründe für diese Entscheidung aufzuzählen. Zu erzählen bleibt, was dennoch geschah.

Den Kern der Veranstaltung bildete in den zurückliegenden coronafreien Jahren bekanntlich die eigentliche Messe auf dem Leipziger Messegelände im Norden der Stadt, mit aufwändigen Ausstellungsständen, Präsentationen, Lesungen, Diskussionen und einer breiten Medienpräsenz. 

Angestoßen von den Verlegern Leif Greinus (Voland & Quist) und Gunnar Cynybulk (Kanon Verlag), ermöglicht von zahlreichen Unterstützern und Helfern, wurde in diesem Jahr ein sogenanntes buchmesse popup auf die Beine gestellt. In einer ehemaligen Fabrikhalle des werk 2, einem der soziokulturellen Dreh- und Angelpunkte der Stadt, im beliebt-berüchtigten Stadtteil Connewitz. Gedacht als Trostpflästerchen, um die entstandene Leere, die Lücke, mit einer spontanen, einmaligen Aktion zu füllen.

Irgendwie fand die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr trotzdem statt. Die Medien finden überragend positive Worte für das alternative Messeprogramm der Popup-Buchmesse. Die Rede ist von Selbstbehauptung und Erfindungsgeist. Urteilte das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, das maßgebliche deutsche Fachblatt für die Buchbranche. Und in der WELT war zu lesen: …die von 60 unabhängigen Verlagen improvisierte Pop-up-Buchmesse in Leipzig war ein Ereignis.

Bei diesen und vielen ähnlichen Einschätzungen, die Print und Online zu finden waren, ist viel Wohlwollen im Spiel. Meiner Meinung nach zu viel. Dass diese Initiative im werk 2 ein Ereignis war, dem kann ich immerhin zustimmen. Nur mit einer etwas anderen Interpretation als in den medialen Urteilen.

Bei allem Respekt für den Wagemut und die Tatkraft der Veranstalter und ihrer Helfer. 10.000 Besucher sollen es an drei Tagen gewesen sein. Mag sein. Jedenfalls wurde der Auftrieb zum Durchtrieb im Zweistunden-Rhythmus. Aufgeteilt in praktikable, den Corona-Einschränkungen gerecht werdende Herden. Online eingecheckt, drei-G-abgecheckt und als buchaffiner Schwarm ein- und losgelassen. Und schon ging es rund im meist richtungsgleichen Kreisverkehr, um Stände und ausgelegte Bücher der etwa 60 überwiegend kleineren, unabhängigen Verlage.

Statt professionell gestalteter Messestände schlichte Tische, bedeckt mit Buch an Buch und allerhand ergänzenden Materialien. Flohmarktanmutung. Da fehlten nicht nur die gewohnten Gratishäppchen und -tröpfchen, die Kugelschreiber mit Verlagslogo, die Lesezeichen oder die Luftballons für die quengelnden Kleinen. Es fehlte schlicht zu Vieles, was anziehend, einladend, werbend wirken konnte. Von der löblichen Initiative und ihrer Umsetzung war ja nicht unbedingt Erleuchtung zu erwarten, etwas mehr Beleuchtung zur Erhellung des verbreiteten Dämmers wäre schön und praktisch gewesen. So waren in der umgerüsteten Werkshalle auf die Entfernung alle Bücher grau. Und erst beim Nähertreten, für das oft energisches Drängeln erforderlich war, wurden aus den Schatten hinter den Tischen beflissene Anbieter und nicht immer kompetente Auskunftgeber.

Nun ist das werk 2 nur einer von vielen spannenden Veranstaltungsorten in Leipzig. Nur eine der zahlreichen schönen, manchmal kuriosen Lokalitäten. An mehreren dieser bewährten Orte fanden ebenfalls Veranstaltungen statt, die zu normalen Buchmessezeiten unter dem Label Leipzig liest ihren Platz gefunden hätten. Wie z. B. in der Südbrause, einst der proletarischen Wochenreinigung dienend, nun Gastronomie und beliebter Treffpunkt. In direkter Nachbarschaft zum werk 2 stellten hier unter anderem Bov Bjerg, Fatma Aydemir, Vladimir Vertlib und der frisch gekürte Buchpreisträger Tomer Gardi ihre neuesten Bücher vor.

In der Alten Handelsbörse, ein Schmuckstück, zentral im Stadtzentrum gelegen, hatte der MDR seine Bühne aufgebaut. Hier stand in Gesprächsrunden und Diskussionen häufig Politisches im Vordergrund, kam man sehr schnell vom rein Literarischen auf das aktuelle Kriegsgeschehen und seine Folgen. 

Im Kreativviertel Plagwitz gibt es die Schaubühne Lindenfels. Hier weckte Österreich Vorfreude auf seinen Auftritt als Gastland der Buchmesse 2023. Unter dem Titel Wildes Österreich gab es eine Lange Nacht der österreichischen Literatur. Ebenfalls in der Schaubühne präsentierte sich Tschechien, mit einem Abend, der Echo Tschechien hieß. Dem in Deutschland sehr bekannten und beliebten Jaroslav Rudis war zudem eine eigene Veranstaltung gegönnt. Und am Abend der portugiesischen Literatur wurden die Gäste mit Ola Portugal begrüßt. Hier gab es zu Literarischem großartige Musik von dem Komponisten und Liedermacher Rodrigo Leao.

Vom zukünftigen Gastland Österreich, so war zu erfahren, wird es einen Literatur-Podcast geben. Er soll Interesse wecken an Büchern, Menschen und Geschichten aus dem Nachbarland: Literaturgespräche mit Katja Gasser. Die künstlerische Leiterin des Gastland-Auftritts spricht zweimal im Monat mit österreichischen Autorinnen und Autoren über Leben und Schreiben und darüber, wie beides wechselwirkt. Die nächste Ausgabe ist für den 4. April geplant. Dann ist Teresa Präauer die Gesprächspartnerin.

Besonders repräsentativ und prächtig ist die Kongresshalle am Zoo, die tatsächlich aus mehreren Sälen besteht. Auf der Bühne des größten wurde das Blaue Sofa aufgestellt. Das Möbel von ZDF, ORF, DLF Kultur und Bertelsmann gehört zu den beliebtesten Institutionen des Messegeschehen sowohl in Leipzig wie auch im Herbst in Frankfurt. Es erfordert einige Konzentration, um zum Eingang der Kongresshalle am Zoo zu gelangen. Lässt man die vermissen, kann es einem gehen wie mir. Erst als die vielen Eltern mit kleinen Kindern und Kinderwagen nicht mehr zu übersehen waren, ging mir auf, dass ich in der falschen Schlange stand, nämlich jener zum Leipziger Zoo.

Vor dem richtigen Eingang herrschte dann keineswegs großer Zuspruch. Man wurde zügig eingelassen und betrat den Saal, dessen Reihen eher spärlich besetzt waren. Welch ein Kontrast zum sonst üblichen begeisternden Anstürmen und Drängeln auf den Messen. Statt den dort üblichen Menschenaufläufen herrschte diesmal eine Art Seminarcharakter. Statt Begeisterungswellen gesitteter Beifall des aufmerksamen Publikums. 

Eine interessante, intime Atmosphäre der Aufmerksamkeit und Hinwendung, die vielleicht den auftretenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern gar nicht so unrecht war. Zu erleben waren an den zwei Sofa-Tagen Karl-Markus Gauß, der Träger des Leipziger Preises zur Europäischen Verständigung, Florian Weber und Judith Kuckart, Lucy Fricke, deren neuer Roman Die Diplomatin beweist, dass es auch in deutscher Sprache Schreibende gibt, die einen guten Unterhaltungsroman zustande bringen. Michael Mittermeier, der das Publikum mit einem schlagfertigen Auftritt amüsierte. Und natürlich viele Weitere.

Zurück zum Leipziger popup im werk 2. Mitorganisator Greinus geht fest davon aus, dass es beim einmaligen Aufpoppen bleibt, dass 2023 wieder eine Messe im gewohnten Ambiente stattfinden wird. Mit Österreich als gut vorbereitetem Gastland. Im Interview mit dem Börsenblatt formulierte er seine Erwartungen: Die Leipziger Buchmesse wird 2023 wieder regulär stattfinden und die “buchmesse popup” staubsicher verpackt. Wir schmeißen allerdings nichts weg! Wenn wieder mal irgendwo eine Buchmesse abgesagt wird, haben wir eine schnell umzusetzende Alternative im Koffer.

Man kann dankbar sein für das, was in diesem Jahr realisiert wurde. Leipzig blieb präsent. Naturgemäß fehlte es an Breite, das war so nicht anders möglich. Es fehlte jedoch auch eine gewisse Tiefe. Darunter fallen für mich die vielfältigen fachlichen wie menschlichen Kontakte, die unerwarteten Begegnungen, die überraschenden Entdeckungen. Es fehlten die meisten Kollegen, Freunde und Freundinnen aus Ost- und Südosteuropa. Die Medienwirkung fiel bescheiden aus und gönnerhaft gleichlobend.

Leipzig im März 2022 verließ man mit der dringlichen Hoffnung, dass im nächsten Jahr wieder alles so sein möge wie bis 2019. Die Messe dort, wo sie hingehört. Das begleitende Lesefestival Leipzig liest. Das Gedränge in der Straßenbahnlinie 16, vor dem Blauen Sofa, in der Autorenarena und vor den vielen abendlichen Veranstaltungsorten in der Innenstadt. Pandemiefrei. In einem Europa ohne Krieg.

Stadt ohne Messe

Über die Gefahr weiterer Verluste

2018 erschien ein ebenso originelles wie großartiges Buch der Schriftstellerin und Buchgestalterin Judith Schalansky. Das Verzeichnis einiger Verluste. Im Herbst desselben Jahres konnte ich Werk und Autorin auf der BuchWien (eine Art österreichische Buchmesse) kennenlernen. Es war zu einer unbeschwerten Zeit, als Gedränge in Messegängen und in überfüllten Veranstaltungsräumen sorglos selbstverständlich waren. Niemand ahnte, dass ein gutes Jahr später Begriffe wie Corona, Covid-19, Epidemie und Pandemie in aller Munde sein würden.

Judith Schalansky schreibt, in dem von ihr selbst gestalteten, bibliophil anmutenden Band, von dem, was nicht mehr ist. Dem kaspischen Tiger, der ausgestorben ist, dem Hafen von Greifswald, dessen Verbindung zum Meer inzwischen verlandet ist, dem Palast der Republik in (Ost)-Berlin, einst vitales Repräsentations- und Veranstaltungszentrum des DDR-Staates, inzwischen abgerissen. 

Von den Sieben Büchern des Mani, eines Predigers und Missionars, Begründer des Manichäismus; Glaubensrichtung und verfasste Schriften des Persers, der im 3. Jahrhundert n. Chr. lebte, sind bis auf Rudimente aus der Welt verschwunden. Schalansky schreibt über die Sängerin und Dichterin Sapphos, von deren legendären Liebesliedern die aufgefundenen Schnipsel allenfalls eine Ahnung ermöglichen. Sollte sich Judith Schalanskys Verlag eines Tages zu einer erweiterten Neuauflage ihres Buches entschließen, wird sie möglicherweise einen Beitrag über die verschwundene Leipziger Buchmesse hinzufügen müssen.

Die Leipziger Buchmesse 2022 wurde abgesagt. So ging es dieser Tage durch Presse, Funk und Foren. Coronabedenken und Querrechner in großen Medienkonzernen, die ihre Teilnahme zunächst zugesagt hatten, später zurückzogen, gaben den Ausschlag für die Entscheidung von Stadt, Freistaat und Messeleitung. Um welche Art Firmen handelt es sich?

Zum Beispiel das Holtzbrinck-Konglomerat. In Deutschland findet man unter dessen Dach traditionelle Marken wie S. Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, Droemer Knaur. Das große Rad dreht der Konzern international. Über MacMillan Publishers gehört er zu den großen Mitspielern im Geschäft mit der Vermarktung digitaler wissenschaftlicher Information. Dass hier Milliardenumsätze generiert werden, ist weniger bekannt. Science journals, Datenbanken, Forschungsdaten und deren Management, sprich Verwertung und Vermarktung, übersteigen die Erlöse traditioneller Literaturverlage um ein X-faches. Dazu kommen Beteiligungen an Zeitungsverlagen, Fernsehsendern, Plattformen und Streamingdiensten. Bleibt ein Name wie Holtzbrinck, für Bertelsmann, Bonniers und Co. gilt Gleiches, einer Angebotsmesse fern, fehlen dieser mehr als nur ein paar Stände.

Allerdings wird in der aktuellen Berichterstattung kaum deutlich, dass man die Marke Leipziger Buchmesse nicht auf seine Standaufbauten reduzieren kann. Nicht auf adrettes Verkaufspersonal, reichlich fließenden Perlwein, stets gut gefüllte Schälchen mit Knabberzeug. Es geht keineswegs lediglich um die nicht auszurottende Prospekt- und Flyerflut, um verschenkte Kugelschreiber, um bunte Luftballons für den Konsumentennachwuchs.

Leipzig im März, ob es schon blüht oder, wie nicht selten, das Winterweiß zurückkehrt, ist neben der traditionellen Messe der Buch- und Medienbranche ein dicker Strauß weiterer Veranstaltungen und Ereignisse. Wie die Manga-Comic-Con, das junge farbenfrohe Event, zu der Fans aus ganz Deutschland anreisen, um sich, als Comic- oder Mangafiguren verkleidet, zu treffen, auszutauschen, miteinander zu feiern – für viele ein lang erwarteter Jahreshöhepunkt.

Von zentrale Bedeutung ist seit über 20 Jahren das Lesefestival Leipzig liest, mit hunderten Lesungen und Präsentationen über die ganze Stadt verteilt. In Buchhandlungen und Apotheken, Theatern und Kulturzentren, Bahnhöfen und Kneipen, alten Sälen und angesagten Cafés. Die Auftritte bieten Autoren, deren Werke nicht auf den Sellerlisten vertreten sind, vielleicht erst am Anfang ihrer Karriere stehen, nicht zu unterschätzende Einkommensmöglichkeiten.

Dazu kommen Fortbildungen, Branchentreffs, Angebote für den Berufsnachwuchs, Leseförderung und Medienpädagogik für Kinder und Jugendliche. Schulungen und Informationen, die sich an Pädagogen, Buch- und Medienschaffende, Blogger und andere Influencer, Netzwerker, Schreibende aller Art oder solche, die es werden wollen, richten. Nicht zu vergessen die Antiquariatsmesse, ein eher ruhiger Ort im Messetrubel, der wie ein Relikt aus anderer Zeit wirkt. Hier werden sehr traditionelle Formen der Buchverehrung gepflegt, treffen sich exzellente Experten, Sammler, Händler und Neugierige.

Die Leipziger Messe bildet einen bewussten, gewollten Gegenpol zum Herbstereignis in Frankfurt. Hier stehen kleinere Verlage, die Leserschaft, Bildungs- und Leseförderung, im Fokus. Und man erlaubt sich eine Blickrichtung, die in den Osten und Südosten Europas gerichtet ist, während andernorts der dominante angelsächsische Markt im Vordergrund steht. Dieser Frühjahrshöhepunkt ist zudem von einiger merkantiler Bedeutung für die Stadt, ihren Handel, Hotels und Gastronomie.

Die Geschichte der Buchmesse in Leipzig geht weit zurück. Leipzig war nach der Reformation und dem folgenden Erfolgszug des Buchdrucks einer der wichtigsten Druckorte Europas. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begann der Aufstieg zur bedeutenden Messestadt. Der erste Ratsmessekatalog mit Neuerscheinungen erschien 1594, vier Jahre früher als in Frankfurt am Main, das sich zum Konkurrenten entwickelte.

Auch die Stadt am Main hat eine lange Buchmessetradition, wichtige Institutionen der Buch- und Verlagswelt haben hier ihren Sitz. Hier befindet sich die Paulskirche, in der alljährlich der Friedenspreis des deutschen Buchhandels vergeben wird. Frankfurt ist die Geburtsstadt der Klassikerikone Goethe, den es später für kurze Zeit nach Leipzig zog, wo er es recht wild trieb und dabei auf Ideen kam, die im Lebenswerk Faust ihren Niederschlag fanden.

Dieser Tage, noch vor dem Leipziger Messestorno, verbreitete sich von Frankfurt am Main aus ein Raunen in der Republik. Brauchen wir Leipzig eigentlich? Sind zwei Buchmessen im Jahr notwendig? Fällt nach dreimaligem Ausfall ein endgültiges Verschwinden überhaupt auf? Sind nicht die meisten Betriebe einer einst blühenden Druck- und Verlagslandschaft, die lange die Stadt prägte, längst in den Westen oder nach Berlin abgewandert? Und ein maßgeblicher Journalist stellte in Frage, inwieweit eine unwirtschaftliche, auf staatliche und städtische Unterstützung angewiesene Veranstaltung, überhaupt vertretbar sei.

Viel Salz in der Suppe. Wer löffelt sie aus?

Fiele Leipzig tatsächlich wie auch immer gearteten Zwängen oder Absichten zum Opfer, wären die Leidtragenden kleine unabhängige Verlage, die hier ihren Platz haben, weil sie in Frankfurt untergehen würden und sich den Auftritt ohnehin nicht leisten können. Es wäre dies der von Ladenketten unabhängige Buchhandel, eine Vielzahl Autoren und Autorinnen, denen Präsentations- und Einkommensmöglichkeiten entfielen. Betroffen wäre eine begeisterte Leserschaft samt Lesernachwuchs, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses kleinen und besonderen Kulturbereichs. Betroffen wären einmal mehr die Messebauer. Die Gastronomie und die Gastgeber der sächsischen Metropole.

Die Konsequenz wäre darüber hinaus eine tendenzielle Verschiebung von Marktsegmenten hin zu den großen globalen Playern, wäre eine Zunahme der Monopolisierung, eine Gemengelage, in der es für Originalität, Nischenprodukte, Neues, immer schwerer würde einen Platz, einen Weg zum Publikum zu finden. Der Vorrang für Absatzchancen und grenzenlose Gewinnorientierung bedeutet einen Verzicht auf Vielfalt und Ideenreichtum. In Leipzig wurden bisher Kompetenzen und Kreativität unterstützt und gefördert. Ein Nährboden, eine Talentschmiede, auf die mittel- und langfristig ausgerechnet die Marktgrößen im Interesse der Zukunft ihrer Geschäftsmodelle angewiesen sind. 

Inzwischen protestieren betroffene Interessengruppen gegen das aus ihrer Sicht kurzsichtige und unangebrachte Vorgehen und verurteilen die vorschnelle Absage. Sie fordern ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung der Leipziger Buchmesse. Sehr schnell meldete sich die Kurt-Wolff-Stiftung zu Wort, ein Zusammenschluss eben jener kleineren unabhängigen Verlage, und bekräftigte die Teilnahmebereitschaft für dieses und kommende Jahre. Eine Solidaritätsaktion, die sich für den Erhalt der Leipziger Buchmesse einsetzt, verbunden mit einer Unterschriftensammlung, läuft im Netz und findet regen Zuspruch.

Sehr deutlich wird die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom Samstag, den 13. Februar: 

Verstörung. Berlinale, Londoner Buchmesse, Lit.Cologne. Alle Großveranstaltungen finden statt, nur die Leipziger Buchmesse nicht. Chronologie eines kulturellen Desasters in Deutschland. 

Resümierend heißt es im Blatt: Die Leipziger Buchmesse hätte stattfinden können, wenn die drei großen westdeutschen Verlagskonzerne sich aufgerafft … hätten. Wenn es in den Konzernzentralen ein Bewusstsein gegeben hätte für die Rolle, die die Leipziger Buchmesse in der ostdeutschen Gesellschaft spielt …, und … was für ein wichtiger Brückenkopf sie ist für die liberalen, demokratischen Gesellschaftsteile in Polen, Ungarn, der Ukraine

Ein Bewusstsein für gesellschaftspolitische Verpflichtungen und eine Mitverantwortung für demokratische Gesellschaftsteile ist eben nicht profitabel, Ostdeutschland und ganz Osteuropa kein vielversprechendes Geschäftsfeld.

Unter dem Titel Drei Jahre ohne den Frühling der Literatur macht sich der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer, einst Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse, in der Leipziger Volkszeitung Gedanken über die geistige Leere, die im Frühjahr mit der dritten abgesagten Buchmesse in Leipzig einhergehen wird. Er glaubt, dass man in Leipzig vieles ertragen kann, was dem Osten zugemutet wird, wenn die Literatur fünf Tage Einzug hielt. Wir müssen sie ja nur ein wenig pflegen, unsere Dichter und ihre Werke. Die letzten Buchhandlungen unserer Stadt (und damit meine ich die kleinen, privat geführten) sind die Denkmäler einer immer währenden Revolution, friedlich, aber gar nicht niedlich …

Bleibt die Hoffnung, dass Judith Schalanskys Verzeichnis einiger Verluste noch viele Neuauflagen erleben wird, und dass diese ohne ein ergänzendes Kapitel auskommen.

Bis nächstes Jahr – in Leipzig!

Alles hat ein Ende.

Auch die längste Erzählung ist irgendwann zu Ende, die längste Netflix-Serie hat einen letzten Teil, beim Lesen selbst des dicksten aller Romane taucht schließlich der hintere Umschlag auf, und es soll sogar Besessene geben, die Prousts Verlorene Zeit von allem Anfang bis zum bitteren Ende gelesen haben. 

Tage, Wochen, Monate sind ebenso endlich wie ein jedes Jahr. Der magersüchtige Abreißkalender an der Küchenwand zeigt es Ende Dezember unmissverständlich. 

Menschliches Leben ist ohne die Erfahrung von Verlust nicht vorstellbar. Jede und jeder erfährt vor dem eigenen Ende das Verschwinden von Mitmenschen, vertrauten Orten, Gegenständen oder Konventionen, mitunter sogar der eigensten Erinnerungen. Seit Menschen denken, versuchen Schriftsteller unser Denken und Handeln, unsere Orte, die Eigenheiten der jeweiligen Epoche, erzählerisch gestaltet zu bewahren und weiter zu geben.

In ihrem großartigen Verzeichnis einiger Verluste schreibt Judith Schalansky resümierend, dass das Entstehen ihres  Buches von dem Begehren angetrieben (wurde), etwas überleben zu lassen, Vergangenes zu vergegenwärtigen, Vergessenes zu beschwören … 

Nicht nur Kalender werden dünner. Derzeit wird deutlich, auf welch schwachem Fundament unsere Wohlstandswelt erbaut ist. Die Nachschubströme beginnen zu versickern und versiegen. Vom Rohöl wissen wir es seit Jahrzehnten. Neu hinzu kommen weitere Bodenschätze und Substanzen, seltene Erden, Metalle, Halbmetalle und Elemente, selbst scheinbar Selbstverständliches wie Sand, Kies oder Wasser wird rarer, teurer sowieso und in der Konsequenz umkämpfter. 

Es fehlen plötzlich Materialien und Produkte, die für eine vernetzte smarte Zukunft unabdingbar sind. Ihre Knappheit, das absehbare Ausbleiben, gefährdet die Herstellung und damit den Einsatz von elektronischen Rechnern und digitalen Systemen aller Art, den Einsatz künstlicher Intelligenz nicht weniger wie selbstlernende Systeme, den Betrieb gigantischer Cloud-Cluster oder die gerade entwickelten autonom fahrenden Automobile.

Gerade einmal 500 Jahre ist es her, dass Martin Luther mit seiner Übertragung des Neuen Testaments zur Schaffung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache beitrug. Ganz nebenbei, allerdings nicht ohne Absicht, war damit die Geheimnistuerei der Pfaffen zu Ende, die mit ihrem Latein eine inhaltliche Teilhabe ihrer Gemeinden ausschlossen. Breiten Schichten wurde das Lesenlernen ermöglicht und Bildungschancen eröffnet. Ein einzigartiger Emanzipationsprozess breiter Schichten begann.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gerät diese Entwicklung offenbar ins Stocken. Lesebereitschaft und -vermögen gehen nachweislich zurück. Immer mehr Menschen haben Probleme mit dem Verständnis längerer Texte und komplexer Zusammenhänge. Gleichzeitig kaufen und lesen immer weniger Menschen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen.

Macht nichts! – hört man rufen – gibt eh viel zu viele! 

Es sieht ganz so aus, dass sich das derzeit ändert. Neben den eben erwähnten, aus banalen materiellen Gründen. Die Abwärtsspirale ist längst aktiv. Um Bücher zu produzieren wird Papier benötigt. Für viele Bücher viel Papier. Papier wird nicht zuletzt aus Altpapier gewonnen. Altpapier wird rar, weil die gedruckten Zeitungen immer dünner werden undoder zu Digitalausgaben mutieren. Wenn Bücher und gedruckte Zeitschriften weniger werden, wird weniger Papier makuliert, also zu Altpapier. So beißt sich die Schlange in den sprichwörtlichen Schwanz und allen Arten von Druckwerken läutet in absehbarer Zukunft möglicherweise das Sterbeglöckchen.

Die Folge könnte die endgültige Flucht ins Digitale sein. Doch siehe oben: Thema Rohstoffe. So verschwinden nach und nach auch Laptop und Server, Pad und Pod, Cloud und Sound. Und natürlich hat dann das sich bis neulich lustig ausbreitende E-Book ebenfalls keine Zukunft mehr. Bücher analog oder digital, gedruckt oder gespeichert, verschwinden. Sie werden zu musealen Ausstellungsstücken, nähren, soweit es besondere Ausgaben oder Exemplare sind, ein Weilchen noch die wenigen verbliebenen Antiquare, erzielen als wertvolle Einzelstücke gelegentlich beachtliche Erlöse auf Versteigerungen.

Szenenwechsel. Ein kurzer Ausflug in das Jahr 2122. 

Elektronische Geräte wurden letztmals um 2040 produziert, sie sind längst unbrauchbar, siffen auf Spezialdeponien, die auf Atomendlagern errichtet wurden, vor sich hin. Bücher werden schon lange nicht mehr produziert und sind entsprechend rar, viele Zeitgenossen haben in ihrem ganzen Leben kein einziges Exemplar zu Gesicht bekommen. Wenn irgendwo eines auftaucht, wissen die meisten nicht mehr was das eigentlich ist und was man damit anfangen kann. Die Lesekompetenz der Bevölkerung tendiert gegen Null, sie reicht oft nur mehr, um die ohnehin vertrauten Schilder mit Orts- und Straßennamen zu entziffern. 

Doch Menschen brauchen Geschichten. Und wenn auch seit langem nicht mehr gedruckt wird, so ist an Erzählstoff keineswegs Mangel. Am beliebtesten sind Geschichten aus der Vergangenheit. Von inzwischen verschwundenen Tannenwäldern, von Automobilen, die mit etwas angetrieben wurden, das man Benzin nannte, von Schulen, in die alle Kinder gehen mussten, von warmen Sommern und kalten Wintern. Die Erzählungen verbreiten sich jetzt wieder mündlich. In Erzählkreisen, an Seeufern, an Lagerfeuern und bei Wind und Regen in den klammen Stuben.

So wie im brandenburgischen Örtchen Wittenhagen, inmitten des Feldberger Seenlandes gelegen. Auch hier können die Bewohner nicht mehr oder nur noch schlecht lesen. Mit Ausnahme jener sehr alten Frau. Sie wohnt in einer ehemaligen Bauernkate am Ortsrand; alle nennen sie nur Grethe. Klein ist sie, geht gebückt und hat das schüttere graue Haar zu einem Dutt geflochten. Vor Jahrzehnten kam sie aus der Stechliner Gegend nach Wittenhagen. Sie hat damals ein gutes Dutzend zerlesener Bücher mitgebracht, die bis heute in ihrer Wohnstube im Regal über der Eckbank stehen. Kinder lieben die Alte sehr, weil sie besonders viele aufregende, manchmal gruselige und manchmal lustige Geschichten kennt. Am liebsten hören sie, was die Alte Märchen nennt.

Hin und wieder liest sie sogar in einem Kreis von erwachsenen Bewohnern vor. Häufig aus einem bestimmten, besonders seitenreichen Buch. Es stammt von einer Dichterin, die, so berichtet Grethe, im 21. Jahrhundert selbst in Brandenburg lebte und noch richtige Bücher schrieb und drucken ließ. Sie soll gerade deshalb sehr berühmt gewesen sein. Ihr Name war Juli und das Buch, aus dem Grethe mit leicht brüchiger Stimmer liest, trägt den seltsamen Titel Unterleuten

Grethe geht jeden Tag mehrmals mit ihrem Hund vors Haus. Es ist ein Spitz mit weißem Fell, eine Hündin, also eigentlich eine Spitzin. Das Tier hört auf den Namen Effy. Nach jedem Spaziergang steht Grethe in der Haustür und ruft: Komm, Effy, komm. 

Nun, vielleicht sieht die Zukunft ganz anders aus. Wer will das schon wissen? Vielleicht wird ausgerechnet das gedruckte Buch all die Durststrecken, die Zeiten strengen Mangels und dauernder Lieferschwierigkeiten, einigermaßen unbeschadet überstehen. 

Eine andere Möglichkeit wäre, es wird so, wie Judith Schalansky es sich vorstellen möchte: Und für wenige kostbare Momente erschien mir während der langjährigen Arbeit an diesem Buch die Vorstellung, dass das Vergehen unvermeidlich ist, genauso tröstlich wie das Bild seiner in den Regalen verstaubenden Exemplare

Zu Ende geht ein Jahr: 2021. 

Es war ein ziemlich pandemisches Jahr. Wir warten auf ein neues. Das mit der Nummer 2022. Es hält hoffentlich mehr bereit als Virenvarianten und neue Kalender. 

Vielleicht sogar ein neues Buch von Juli Zeh.

Ein November-Gedicht von Heinrich Seidel

November

Solchen Monat muß man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
keiner so verdrießlich sein
und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie naß er alles macht!
Ja, es ist ′ne wahre Pracht.
 
Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
wie sie tanzen in dem Wind
und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
und sie durcheinander wirbelt
und sie hetzt ohn′ Unterlaß:
Ja, das ist Novemberspaß!
 
Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
ihren feuchten Himmelstau
ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt′s an jedem Zweig,
einer dicken Träne gleich.
 
Oh, wie ist der Mann zu loben,
der solch unvernüft′ges Toben
schon im voraus hat bedacht
und die Häuser hohl gemacht;
sodaß wir im Trocknen hausen
und mit stillvergnügtem Grausen
und in wohlgeborgner Ruh
solchem Greuel schauen zu.

Heinrich Seidel
(* 25.06.1842, † 07.11.1906)

Dieses Gedicht gönnt sich eine eigene Sicht auf einen Monat, der sonst meist in Moll besungen wird. Verse eines Dichters, der dem herbstlichen Graugrauen letzte Farben entlocken kann, den Tristesse nicht schreckt, der immer Gutes sieht und im Zweifel auf Besseres hofft. Wohl dem, der so durchs Jahr kommt.

Heinrich Friedrich Wilhelm Karl Philipp Georg Eduard Seidel wurde am 25. Juni 1842 im mecklenburgischen Perlin geboren, einem kleinen Nest knapp 20 Kilometer südwestlich von Schwerin. Schon bald verkürzte sich der Vornamenreichtum des Pastorenkindes auf ein handliches Heinrich. Heinrich Seidel war das älteste von sechs Geschwistern. Als er heranwuchs, mussten sich die Eltern fragen, was wohl aus dem Sohn werden sollte. Das Gymnasium ertrug der Jüngling mit Unlust und schlechten Noten in den alten Sprachen. In den verzweigten Wegen des Schelfwerder war ich besser zu Hause als in den Irrgängen der lateinischen Grammatik, blickte er in seinen Erinnerungen zurück.

So musste er reichlich nacharbeiten, um das Polytechnikum in Hannover zu absolvieren und in die Berliner Gewerbeakademie aufgenommen zu werden. Während dieser Zeit wendete sich das Blatt: Mein Aufenthalt in der Stadt an der Leine hat zwei Jahre gewährt, die ich zu den glücklichsten meines Lebens zählte. Seidel wurde Ingenieur, und das kein ganz schlechter, er erwies sich als kreativ und originell, entwarf und konstruierte für die Bahn, unter anderem in Berlin das Dach des längst zerstörten Anhalter Bahnhofs. 1880 wechselte er die Kreativbranche und widmete sich fortan ganz der Schriftstellerei. Für ihn lag das nah’: “Konstruieren ist Dichten”, hab’ ich gesagt, als ich mich noch für die Werkstatt geplagt. Heute führ’ ich die Feder am Schreibtisch spazieren und sage “Dichten ist Konstruieren!”

Heinrich Seidel war Teil einer bemerkenswerten Familie. Schon der Vater Heinrich Alexander Seidel (1811 – 1861) hatte im geistlichen Amt gedichtet, wortgewaltige, ideenreiche Predigten, wie berichtet wurde, zudem allerhand Weltliches. Der Titel einer Abhandlung hieß Das Saufen, im Lichte des Evangeliums betrachtet. Was heute kurios erscheint, war damals der ernsthafte Versuch einer tiefschürfenden Exegese. Heinrich Junior und seine Frau Agnes (1856 – 1917) durften drei Söhne heranwachsen sehen. Der älteste, einmal mehr als Heinrich (Wolfgang) getauft, wurde ebenfalls Schriftsteller. Und er heiratete eine seiner Cousinen – keine geringere als die später recht bekannte und erfolgreiche Dichterin Ina Seidel.

Viel zu wenig kenne ich die Bäume, / Die vor meinem Fenster stehn und rauschen, / Viel zu selten baun sich meine Träume / Nester, um die Winde zu belauschen, / Und des Himmels Silberwolkenspiel / Gehn vorüber, ohne mich zu trösten – / Ganz vergessen habe ich so viele / Wunder, die mir einst das Herz erlösten.

Das Versäumnis heißt dieses Gedicht von Ina Seidel, das zeigt, dass sie wohl nicht über die heiter-naive Weltsicht des Schwiegervaters verfügte. Sie schrieb Gedichte, Romane und Erzählungen, neigte in ihren Werken zur Melancholie, sah sich in romantischer Nachfolge, verkörperte eine christlich konservative Haltung. Zu ihren bekanntesten Büchern gehört der umfangreiche Roman Das Wunderkind. Ein Sohn Inas und Heinrich III. wurde zur Abwechslung Georg genannt. Dieser Georg Seidel (1919 – 1992) begann unter dem Pseudonym Simon Glas in den 1950er-Jahren eine Autorenlaufbahn und versuchte sich durch den gewählten Namen bewusst von der familiären Tradition abzusetzen. Als Christian Ferber verfasste er allerdings eine Chronik mit dem Titel Die Seidels. Geschichte einer bürgerlichen Familie, die 1979 bei der DVA erschien.

Zurück zum mittleren Heinrich, dessen Novembergedicht der Anlass zu diesem Beitrag ist. Er war viel auf Reisen und liebte es, aus fernen Regionen fremdartige Samen mitzubringen, um sie im Berliner Boden heimisch werden zu lassen. Selbstironisch nannte er sich Florafälscher und Ansalber. Sprachspielereien liebte er – wie diese: Dem Ingenieur ist nichts zu schwer. Wahrscheinlich hätte es ihn gefreut, dass diese Redewendung in leicht abgewandelter Form selbst im 21. Jahrhundert noch in aller Munde sein würde. Dafür gesorgt hat die promovierte Kunsthistorikerin Erika Fuchs, die sich mit der Eindeutschung von Donald Duck und Mickey Mouse Comics einen Namen gemacht hatte. Sie legte der Zeichenfigur Daniel Düsentrieb in die Sprechblase: Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.

Heinrich Seidel schrieb Märchen, Gedichte, verfasste Kinderbücher und eine Autobiographie mit dem Titel Von Perlin nach Berlin. Sein bekanntestes Erzählwerk wurde der Episodenroman Leberecht Hühnchen, erschienen in den Jahren 1882 – 1890. Die Hauptfigur dieser Prosaidyllen ist ein Lebenskünstler, der sich und seine Familie dank seines skurrilen Humors, seines sonnigen Gemüts und dank seiner Fähigkeit, jede Lebenslage in rosigem Licht zu sehen, mehr schlecht als recht durch den entbehrungsreichen Alltag bringt.

Der beste Freund Hühnchens, der hin und wieder ins laufende Geschehen tritt, ist unschwer als der Verfasser zu erkennen, schließlich sind die beiden Seelenverwandte. Der Autor ist also gleichzeitig Protagonist seiner Schilderungen. Gar nicht unmodern ist das Bemühen und die Bereitschaft Leberecht Hühnchens, Bescheidenheit zum Maßstab seines Handelns und Konsumierens zu machen, hilfreich und vielleicht sogar zum Vorbild taugend, seine Veranlagung, Anfechtungen der Realexistenz mit einer positiven Grundhaltung zu begegnen. In der Beschränkung zeigt sich der Meister, ist Leberecht überzeugt. Das Buch verkaufte sich gut. In den ersten 50 Jahren erreichte die Auflage über 300.000 Exemplare und bis heute ist es in einer Insel Taschenbuchausgabe lieferbar, sowie in einer ausgesprochen wohlfeilen E-Book-Version.

Der Dichter und Ingenieur Heinrich Friedrich Wilhelm Karl Philipp Georg Eduard Seidel starb am 7. November 1906 in Groß-Lichterfelde, längst ein Teil des Kosmos Groß-Berlin. Er ruht in einem Ehrengrab auf dem Alten Friedhof in der Moltkestraße.