Tilmann Lahme: Die Manns

Mit Tilmann Lahmes “Die Manns” erscheint in diesem Jahr schon die zweite Sammelbiographie über die neben den Wagners bekannteste deutsche Künstlerfamilie. Bereits im Sommer kam “Das Jahrhundert der Manns” von Manfred Flügge in die Buchhandlungen, einem Autor der vor einigen Jahren eine umfassende Heinrich-Mann-Biographie vorlegte und mehrfach über Personen aus dem Umfeld der Manns, wie etwa die Malerin Eva Hermann, publizierte.

Tilmann Lahme, der noch junge Literatur- und Geschichtswissenschaftler, hat für die FAZ und andere Medien gearbeitet und lehrt derzeit an der Universität Lüneburg. Er ist schon längere Zeit durch seine Forschungen und Veröffentlichungen mit Thomas Mann und seiner Familie vertraut. 2009 hat er uns Golo Mann (1909 – 1994) in einer großen Lebens- und Werkbeschreibung, die auf der Basis seiner Dissertation entstand, ganz neu nahegebracht. Vieles davon ist in sein aktuelles Werk über Thomas (1875 – 1955), Katja (1883 – 1980) und ihre sechs Kinder eingegangen. Er konzentriert sich ganz auf diese Kernfamilie, von den Geschwistern des Nobelpreisträgers schaut lediglich der Bruder und Schreib-Konkurrent Heinrich (1871 – 1950) “manchmal kurz über den Zaun”.

9783100432094-cover-lDass ich hier und heute ausschließlich über das Lahme-Buch schreibe, hängt damit zusammen, dass ich Lahmes Arbeiten schon länger verfolge und sehr schätze. Ich habe einige seiner Artikel und Aufsätze mit Gewinn gelesen und mehrere seiner kenntnisreichen und gut strukturierten Vorträge gehört. Zuletzt im Stuttgarter Literaturhaus, wo er Mitte Oktober sein neues Buch vorstellte und mit einem leicht ironischen Dauerlächeln und druckreifen Sätzen auf die fast plump wirkenden Fragen einer schlecht vorbereiteten FAZ-Redakteurin antwortete. Effektsicher las er pointierte Kapitel aus seinem Werk und beantwortete zum Schluss ausführlich die durchweg sachkundigen Fragen des Publikums. In Stuttgart berichtete er auch von dem “neuen” Quellenmaterial, das er für sein Werk verwenden konnte.

“Unordnung und späte Funde”, kalauerte die FAZ in Anspielung auf eine Thomas-Mann-Erzählung, als im Spätsommer 2013 dreizehn Kisten mit Familienkorrespondenz der Manns entdeckt wurden, die bis dahin so aufbewahrt waren, dass sie keiner entdeckte. Sie konnten deshalb in Forschung und Edtionen zu den Manns bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden. Die 3.000 Briefe stammen hauptsächlich aus dem Nachlass von Katja Mann. Tilmann Lahme ist der erste Wissenschaftler und Autor, der diese Archivalien für eine neue literaturhistorische Publikation sichten und auswerten konnte.

Nun sind die meisten Manns “kein unerforschtes Kapitel” der deutschen Literaturgeschichte. Weshalb der überraschende Fund in Zürich mit Spannung und großer Erwartung aufgenommen wurde. Doch wirklich neue Erkenntnisse sind es letztlich nicht, die dabei zu gewinnen waren. Manches tritt deutlicher hervor. Die entdeckten Dokumente bestätigen oft, was bisher nur vermutet wurde. Viele Details aus dem Alltag, über Sorgen und Probleme des Familienlebens, über die unterschiedlichen Erfahrungen im Exil und über all jene Sorgen die Eltern mit ihren Kindern haben.

Allerdings haben wir es bei den Manns mit mindestens zwei Besonderheiten zu tun. Zum einen mit einer sehr wohlhabenden, standesbewußten Familie, zum anderen mit acht Menschen, die alle, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, Veranlagung zum Künstlertum bei gleichzeitiger Distanz zum “Bürgertum” in sich trugen. Sie schrieben, musizierten, traten auf, trugen vor und waren alle mehr oder weniger schwer mit jener Form von Leiden geschlagen, die Thomas Mann als Voraussetzung wahrer Künstler-Existenz bezeichnet hätte. Sie waren Melancholiker, hatten ihre depressive Phasen, keinem fiel das Leben leicht, und mit ein wenig sehnsüchtigen Neid mussten sie auf die Leichtigkeit der Blauäugigen, Liebenswürdigen, Gewöhnlichen blicken.

Lahme kann erstmals, in einer Darstellung die für ein größeres Publikum gedacht ist, auf sexuelle Themen und den Umgang damit im interfamiliären Kontext etwas ausführlicher eingehen. Was wohl nicht zuletzt den neuen Zeugnissen zu verdanken ist. Er zeigt, dass mit dem Komplex Homosexualität familienintern offener umgegangen wurde, als Außenstehenden bisher bekannt war und es frühere Biographen belegen konnten oder wollten. Dennoch bleiben genügend Tabuzonen und Unausgesprochenes. Manch Neues erfährt man bei Lahme über die Kinder, die bisher kaum Berücksichtung fanden, weil von ihnen nur wenige Veröffentlichungen und Lebenszeugnisse vorliegen. Das betrifft die Töchter Monika (1910 – 1992) und Elisabeth (1918 – 2002), sowie den Sohn Michael (1919 – 1977).

Auf diesem Bild des Jahres

Auf diesem Bild des Jahres 1919 von links nach rechts: Monika, Golo, Michael, Katja, Klaus, Elisabeth, Erika.

Ihrem Wirken und ihren Hinterlassenschaften angemessen, stehen auch bei Lahme die vielseitigen, sehr aktiven Erika (1905 – 1969) und Klaus (1906 – 1949) immer wieder im Mittelpunkt, während Golo durchaus eine Sonderstellung zukommt. Er hat es als einziger zu einem Hochschulabschluss und einer kleinen akademischen Karriere gebracht, ist jedoch von Anlage und Neigung ebenfalls in erster Linie Schriftsteller. Ein mit stattlichem Minderwertigkeitskomplex ausgestatteter potentieller Schriftsteller, der sich als Sohn eines Welt-Autors selbst Zurückhaltung im Metier auferlegt.

Klaus ist der hochbegabte, schwierige, vielseitige, drogensüchtige Alleswoller, der mit unfassbarem Tempo durchs Leben und dem Tod entgegeneilt. Der voller Neid und Ehrgeiz dem Vater unbedingt als Künstler das Wasser reichen möchte. Lahme relativiert seine literarischen Leistungen. Er schwanke in fast jedem seiner zahlreichen Werke zwischen Genie und Kitsch.

Erika, die wandelbare Darstellerin, Kabarettistin, Vortragende, die vielen Männern und Frauen den Kopf verdreht und das Konto erleichtert, die im Leben und auf der Bühne unzählige Rollen spielt, die sich von der femme fatal zur zuverlässigen Assistentin des Großschriftsteller wandelt, ist am Ende diejenige die ihrem Vater in den späten Jahren, neben Katja, am nächsten ist. Thomas Mann akzeptiert und sucht schließlich ihre Unterstützung bei Abfassung, Gestaltung, Korrektur und Kürzung seiner Romane, Essays und Reden. Ohne diesen Einfluss wäre Manches nicht das geworden was wir heute kennen.

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1929: Katja und Thomas im Stockholmer Grand Hotel, wo sie zur Nobelpreis-Verleihung an den Autor der „Buddenbrooks“ logierten.

Michael und Monika sind die größten Sorgenkinder, entspricht ihre Entwicklung doch am wenigsten den hehren Ansprüchen der Eltern. Monika wird von der Familie als tapsiges Mauerblümchen gesehen, entwickelt sich mühsam und wird nie richtig selbständig. Ihre Schreibbemühungen bleiben im Ansatz stecken. Michael ist der mit den größten Geldsorgen. Penetrant ist fast jeder Brief an die Mutter mit entsprechenden Bitten und Forderungen verbunden. Was dieses Buch sehr deutlich macht, ist, wieviel organisatorisches, wirtschaftliches und erzieherisches Graubrot die tapfere Ehefrau dem Dichter-Gatten vom allzeit gut gekleideten Leib hält. Sie ist es zumeist, die mit den Kindern korrespondiert, die tröstet, rät, manchmal auch fordert, vor allem aber die nie versiegenden Wünsche nach finanzieller Unterstützung des stets klammen Nachwuchses erfüllt.

Lahme geht bei seinen Schilderungen chronologisch vor. Jahr für Jahr, Monat für Monat. Und immer wieder kommen alle acht an die Reihe. Es beginnt 1922, da ist Thomas bereits 47 Jahre alt, hat mit “Buddenbrooks” einen der wenigen deutschsprachigen Welt-Romane geschrieben, mit “Königliche Hoheit” heiter parodistisch nachgelegt, und ihm ist mit dem “Tod in Vendig” eine der schönsten Novellen des 20. Jahrhunderts gelungen. Katja wird in diesem Jahr 39. Sie hat sechs Kinder geboren, als letztes war 1919 der Sohn Michael zur Welt gekommen, an dem sie ein Leben lang besonders hing, obwohl er (aber nicht nur er) ihr einigen Kummer machte.

Die Lebensgeschichten werden parallel zu den wechselvollen deutschen Zeitläuften und der damit eng verknüpften Weltgeschichte erzählt. Immerhin haben die Ereignisse der Weimarer Republik, der Nazizeit und dem damit verbundenen Exil, schließlich der Zweite Weltkrieg, das Schicksal der Familie und jedes einzelnes seiner Mitglieder, ganz entscheidend beeinflusst. Das Buch endet mit dem Jahr 2002, jenem Jahr in dem Elisabeth stirbt, die kurz zuvor noch in dem eindrucksvollen mehrteiligen Dokudrama von Heinrich Breloer als aufgeweckte, altersweise Zeugin Elisabeth Mann-Borghese eine späte TV-Karriere machte.

av_fluegge_manns_korr.inddSowohl Flügges “Jahrhundert”, wie Lahmes “Die Manns” sind ausgesprochen gelungene Bücher. Man kann beide ganz ohne wissenschaftliche Ambitionen zur gehobenen Unterhaltung lesen oder sich intensiver auf die tieferen Erkenntnisse einlassen. Lahme lotet dabei etwas gründlicher aus, wuchert mit dem Pfund der neu gefundenen Briefe, ergänzt den Text mit zahlreichen Anmerkungen. Beide Bücher regen nachhaltig zur Lektüre der Mann’schen Originale an.

In Stuttgart hat Tilmann Lahme auf meine Nachfrage berichtet, dass er zusammen mit Kerstin Klein und Holger Pils an einer Auswahl-Edition von Briefen der Familie arbeitet. Ein Teil der Züricher Funde wird darin enthalten sein. Unter dem Titel “Familienbriefe” soll dieser Band im nächsten Frühjahr bei – wie könnte es anders sein – S. Fischer erscheinen. Ein Ende der Neuerscheinungen zum Komplex “Thomas Mann” ist also noch keineswegs in Sicht.

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Lahme, Tilmann: Die Manns. Geschichte einer Familie. – S. Fischer, 2015. – Euro 24,99

Flügge, Manfred: Das Jahrhundert der Manns. – Aufbau, 2015. – Euro 22,95

Flügge, Manfred: Heinrich Mann. Eine Biographie. – Rowohlt, 2006

Lahme, Tilmann: Golo Mann. Biographie. – S. Fischer, 2009

 

1875, 1955, 2015!

Notizen zu einem Thomas-Mann-Jahr

Er ist bereits seit 60 Jahren tot und geboren wurde er vor 140 Jahren. Am 6. Juni 1875 in der damaligen Stadtrepublik Lübeck. Runde Zahlen. Anlass genug für die Thomas-Mann-Gemeinde ein Jubiläums- und Jubeljahr auszurufen. Dabei ist Thomas Mann eine literarische Größe der regelmäßig und Jahr für Jahr sehr viel mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als den meisten anderen toten Dichtern. Eine Aufmerksamkeit die sicher nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit der Häufigkeit der Lektüre seiner Originalwerke steht. Dafür wird über dieses Werk, und noch viel lieber rund um die Person des Autors mitsamt seiner originellen Familie, fleißig herausgegeben, veranstaltet, ausgestellt und aufgeführt.

In Herbstvorschauen der Verlage, die dieser Tage die Druckereien verlassen oder als PDF-Dokumente auf einschlägigen Websites erscheinen, wird Vorfreude auf zwei Bücher geweckt, die in der zweiten Jahreshälfte in die gut sortierten Buchläden kommen. Tilmann Lahme kennen Kundige bereits als Verfasser einer profunden, sehr lesenswerten Golo-Mann-Biographie. Er hat nach dem Studium für die FAZ gearbeitet und lehrt heute an der Universität Lüneburg. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Familie Mann. Im Herbst legt er nun als Ergebnis dieser Forschungen seine Monographie “Die Manns. Geschichte einer Familie” vor, die – wie könnte es anders sein – bei S. Fischer erscheinen wird.

Zentralbild Thomas Mann bürgerlich-humanistischer Schriftsteller von Weltgeltung. geb.: 6.6.1875 in Lübeck gest.: 12.8.1955 Kilchberg (Schweiz) 1929 erhielt er den Nobelpreis. 41175-29, Scherl Bilderdienst,

Thomas Mann 1929 im Hotel Adlon. (Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-28795)

Lahme hat dafür die gesamte interfamiliäre Korrespondenz, darunter viele bisher nicht bekannte oder nicht beachtete Dokumente, ausgewertet und die verschiedenen Konstellationen und Abhängigkeiten des Familien-Verbundes untersucht. Der Verlag schreibt in seiner Ankündigung: “Legenden und Deutungen erscheinen in neuem Licht. Aus den verschiedenen Perspektiven entsteht ein vielschichtiges, ungeheuer lebendiges Bild einer Familie, in der um gegenseitige Anerkennung gekämpft wurde und sich auf einmalige Weise Literatur, Politik und Leben durchdrangen.” Diese Buch dürfte verschärftes Bestseller-Potential haben und die einschlägigen Filmemacher sehe ich schon in den Startlöchern für den Wettlauf um die Rechte für bewegte Bilder.

“Er ist ein Meister, er bleibt”, beginnt Thomas Manns großer Essay über Theodor Storm. “Bürger auf Abwegen” heißt das Buch, das sich mit beiden norddeutschen Künstlern beschäftigt und in dem die literarische Würdigung und durchaus kritische Einordnung des Husumers Storm durch den Lübecker Bürger und Schriftsteller eine zentrale Rolle spielt. Es ist der von Christian Demandt herausgegebene Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 11. September bis 8. November diesen Jahres zunächst im Lübecker Buddenbrookhaus und anschließend bis weit ins nächste Jahr hinein im Theodor-Storm-Haus Husum zu sehen sein wird. “Er war ein Freier – trotz aller Weichheit und Sensibililät seiner Natur ein Mann trotziger Stirn…”, urteilte der Nobelpreisträger im Essay über den Vorfahren im Geiste.

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Theodor-Storm-Büste in Husum (Foto: Thorsten Schramme)

Obwohl sie keine Zeitgenossen waren – Mann hat Storm (1817 – 1888) ja bereits als eine Art “Klassiker” – wahrgenommen, gibt es so etwas wie eine Verwandtschaft zwischen diesen beiden zutiefst bürgerlich gegrägten Persönlichkeiten, deren Lebenswege und Werke von der antibürgerlichen Ambivalenz ihres Künstlertums und der schmerzlich-kreativen Auseinandersetzung mit ihren Milieus und Determinationen zeugen. Zu entdecken sind Parallelen “in ihren Auffassungen von Kunst und bürgerlicher Tätigkeit, ihrer Liebe zu Poesie und Musik, in ihren erotischen Verwirrungen, in ihrer Neugier auf das Einbrechen des Phantastischen in die vernünftig geordnete Welt…”, heißt es im Ankündigungstext des Verlages zu “Bürger auf Abwegen”.

Im der ersten Septemberhälfte werden sich gleich zwei öffentliche Tagungen mit Gemeinsamkeiten und Trennendem der beiden großen Dichter-Persönlichkeiten beschäftigen. Von 4. bis 6. September lädt die Theodor-Storm-Gesellschaft nach Husum ein. Das traditionelle Herbst-Kolloquium der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft findet die Woche drauf vom 10. bis 13. September statt. Und da gibt es dann gleich noch etwas zu feiern: Diese Vereinigung gibt es nun seit 50 Jahren. (S. Links im Anhang)

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Auch in der Stadt in der Thomas-Mann fast 40 Jahre lebte wird “Thomas Mann zu Ehren” und aus Anlass des doppelten Gedenkjahres einiges auf die Beine gestellt. Doch die offiziellen Stellen sind es weniger, die sich dabei hervortun. Diese Aufgabe stemmen – und das nicht zum ersten Mal – die rührigen Menschen des Thomas-Mann-Forums München, allen voran der vielseitige Dirk Heißerer, deren Engagement ein umfangreiches Jubiläums-Programm mit einer großen Zahl unterschiedlichster Veranstaltungen ermöglicht. Alle Informationen dazu gibt es über die Homepage des Forums (s. Anhang) oder in der Arcisstraße 12, 80333 München.

In Russland geht ein so genanntes “Deutsches Kulturjahr” zu Ende, von dem man in deutschsprachigen Medien erschreckend wenig vernommen hat. Man hätte ja recherchieren müssen. Lieber werden die beliebten und beliebigen Fertigtexte der westlichen Unterhaltungskonzerne von den abgemagerten Redaktionen verwendet, was zunehmend zur inhaltlichen Gleichschaltung der Feuilletons, der Kultur- und Medienseiten unserer Zeitungen führt. Dem “Focus” verdanke ich aber immerhin, dass ich erfahre, dass zum Abschluss des “Deutschen Kulturjahres” im Moskauer Puschkin Literaturmuseum eine Fotoausstellung über das Leben des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann zu sehen sein wird. Bis 30. September hat man Zeit, die russische Hauptstadt zu besuchen und dabei zu erkunden, was die Kuratoren für sehens- und mitteilenswert halten.

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Während wir bei der Beschäftigung mit Thomas Mann gleich auf mehrere ausgezeichnete Biographien (von Peter de Mendelssohn bis Hermann Kurzke) zurückgreifen können, gibt es zu Storm meines Wissens derzeit nur ein adäquates wissenschaftlich fundiertes und aktuelles Werk: “Du graue Stadt am Meer. Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert” von Jochen Missfeldt. Daneben entdeckt man Kurioses, wie den Storm-Krimi “Das Nordseegrab” des Tilman Spreckelsen. “DICHTER, ANWALT, ERMITTLER – Theodor Storm und sein geheimnisvoller Gehilfe Söt in Husum: ein Nordseeküstenkrimi voller Spannung und historischer Atmosphäre”, verspricht der Verlag. Gelesen habe ich das im April erschienene Buch des bisher hauptsächlich als Journalist hervor getretenen Autors noch nicht. Sollte ich? Es wird im übrigen der erste Band einer von Spreckelsen geplanten Reihe rund um den Ermittler Storm sein.

Von Manfred Flügge liegt seit einigen Wochen “Das Jahrhundert der Manns” vor. Flügge kommt das Verdienst zu, vor knapp zehn Jahren eine dringend benötigte Biographie über den Thomas-Bruder Heinrich veröffentlicht zu haben. Weniger gelungen war sein Versuch über “Die vier Leben der Martha Feuchtwanger”, dessen über 400 Seiten vor allem mit Klatsch, Tratsch und intimen Indiskretionen zu imponieren versuchen. Nun also die “Manns”. Da er nicht der erste ist, der sich gleich die ganze Familie vornimmt (s. oben, sowie z. B. Reich-Ranickis, “Thomas Mann und die Seinen” oder die „andere Geschichte der Familie Mann“ mit dem Titel „Im Netz der Zauberer“ von Marianne Krüll) darf man gespannt sein, was er uns Neues und Interessantes zu bieten hat. “Das politische Denken und Handeln sowie die wichtigsten literarischen Werke der Manns stellt er in engem Zusammenhang mit Zeit- und Lebensgeschichte dar,” kündigt der Klappentext die Intension des Verfassers an. Das wäre ja schon mal was.

HörJüngere Zeitgenossen mögen staunen. Obwohl unser im Jahr 2015 einmal mehr gefeierter Autor bereits im 19. Jahrhundert zur Welt kam und für jüngere Erdenbürger schon seit Urzeiten tot ist, kann man ihn durchaus in Bild und Ton sehen und hören. Es gibt einiges Filmmaterial von ihm und seinem Umfeld und vor allem gibt es Tonaufnahmen. Jetzt neu erschienen im Hörverlag sind 17 Stunden Original Thomas Mann auf 17 CDs. Er liest/las darauf u. a. aus dem “Felix Krull”, dem “Zauberberg”, “Joseph und seine Brüder”. Zu hören sind außerdem die Reden “Deutsche Hörer”, die er mit der BBC aufnahm und die für die Landsleute im Nazi-Deutschland gedacht waren. Und Thomas Mann erzählt von der Musik, die er gerne hörte und von der es dann auch Hörbeispiele gibt. Diese Vorträge zeugen auch von der darstellerischen Begabung des Schriftstellers, deutlich wird das vor allem wenn er mal heiter-ironisch, mal getragen bis tragisch aus den eigenen Romanen und Erzählungen liest.

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Lahme, Tilmann: Die Manns. Geschichte einer Familie. – S. Fischer, 2015 (ersch. 8. Okt. 2015). Euro 24,99

Demandt, Christian (Hrsg): Bürger auf Abwegen. Thomas Mann und Theodor Storm. – Wallstein, 2015 (ersch. 1. Sept. 2015). Euro 24,90

Missfeldt, Jochen: Du graue Stadt am Meer. Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. – Reclam, 2014 (TB-Ausg., Original: Hanser, 2013). Euro 14,95

Spreckelsen, Tilman: Das Nordseegrab. Ein Theodor-Storm-Krimi. – Fischer TB, 2015. Euro 9,99

Flügge, Manfred: Das Jahrhundert der Manns. – Aufbau Verlag, 2015. – Euro 22,95

Mann, Thomas: Die große Originalton-Edition. 17 Audio-CDs und 1 Audiobook. – der Hörverlag, 2015. UVP Euro 49,99

Theodor-Storm-Gesellschaft

Deutsche Thomas-Mann-Gesellschaft

Thomas-Mann-Forum München e. V.